Jedes Jahr muss der Chef des OpenAir St. Gallen von neuem beginnen und darauf hoffen, dass ihm das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht.
Christof Huber hat Musik im Blut. Und das muss er auch. Seit zwanzig Jahren ist er für das Programm des OpenAir St. Gallen verantwortlich. Nach einer Banklehre stieg er 1993 beim Festival ein. Seit elf Jahren ist der 45-Jährige Geschäftsführer. Seine Leistung beeindruckt. Inklusive der aktuellen Ausgabe war das Festival unter seiner Leitung nur zwei Mal nicht ausverkauft. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn die Schweiz hat eine der höchsten Festivaldichten. Und während Ausgaben für Bands, Infrastruktur und Sicherheit steigen, ist der Platz im Tobel durch Fluss und Wald beschränkt.
30 000 Besucher fasst das Gelände im Sittertobel – wenig im internationalen Vergleich. Das gleichzeitig stattfindende Festival in Roskilde in Dänemark zählt 80 000 und das legendäre Glastonbury in England gar 135 000 Zuschauer. «Mit den Topfestivals aus England und den USA können wir nicht mithalten», sagt Huber. Bands wie Coldplay kommen nicht in Frage. Sie erhalten laut Huber mehrere Millionen pro Auftritt. Das würde sein Musikbudget von 2 Mio. Fr. sprengen. Kein Wunder spielen Coldplay lieber zwei Mal im Zürcher Stadion Letzigrund vor total 96 000 Zuschauern.
Das Programm der 40. OpenAir-Ausgabe hat dennoch viel positives Feedback erhalten– auch dank einer der einflussreichsten Bands der letzten zwanzig Jahre. «Radiohead zu bekommen, war ein Glückstreffer», sagt Huber. «Auf einer regulären Tour hätten wir wohl keine Chance gehabt», ergänzt er. Dank der speziellen Lage im Sittertobel, dem guten Renommee und einer grossen Portion Glück hat es geklappt. Grundsätzlich muss Huber wegen des kleinen Budgets auf junge, aufstrebende Musiker setzen. Dafür hat er ein ausgezeichnetes Händchen. Das jüngste Beispiel ist Jack Garratt, der 2015 in St. Gallen spielte. «Ein Agent zeigte mir ein Video von ihm – ich sagte sofort zu», erzählt Huber. Garratt wurde danach von der BBC zum Künstler des Jahres gewählt und spielte im Mai im ausverkauften Kaufleuten in Zürich.
Der Programmchef geht an viele Festivals, um zu lernen. Generell sei der Austausch zwischen den Organisatoren intensiv. «Wir sind wie eine Familie», sagt er. Das klinge zwar merkwürdig, treffe es aber recht genau. Seit 2003 ist er auch Geschäftsführer von Yourope, dem Verein europäischer Festivals. Mit den Chefs der Festivals, die am selben Wochenende stattfinden wie das OpenAir St. Gallen, treffe er sich drei Mal im Jahr.
«Ich habe auch schon gedacht, jetzt möchte ich am liebsten abhauen und die Welt bereisen», sagt Huber. Die Branche ist «spannend, manchmal aber auch verflucht». Früher hat er bei Absagen von Bands noch gekämpft und gedroht. Er hat aber gemerkt, dass dies sinnlos ist. Die Musiker mit Agenten und Plattenfirmen sitzen am längeren Hebel.
Noch einflussreicher ist das Wetter. Schlechtes Wetter kann die Arbeit eines gesamten Jahres vernichten. Es wird weniger konsumiert, die Leute gehen früher, und die Rekultivierung des Geländes wird teurer. Absagen von Festivals wie in den vergangenen Wochen in Deutschland werden genaustens verfolgt und intern besprochen.
Dank höherer Aufwendungen ist die Sicherheit für die Besucher in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Huber würde seinen zwei Kindern wohl erlauben, «mit sechzehn Jahren ans Festival zu gehen». Er selbst war mit siebzehn zum ersten Mal am OpenAir. Damals, Ende der Achtzigerjahre, musste man noch aufpassen, nicht in Spritzen zu treten – kein Vergleich zu heute.
Ausser für das Festival in St. Gallen ist er mit seiner Eventagentur Incognito für Openair-Kinos in der ganzen Schweiz, weitere Festivals und das Lokal Oya in St. Gallen verantwortlich. «Ich kann mir auch vorstellen, einmal ein kleines Hotel zu leiten», sagt Huber. Mühe hätte er aber, in ein Angestelltenverhältnis zurückzugehen. Kein Wunder bei den Freiheiten als Chef und der Freude, die ein begeistertes Publikum auslösen kann.
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