Zurück zur Übersicht
14:31 Uhr - 19.11.2014

«Der Luxusgütersektor hat den Tiefpunkt durchschritten»

Nathalie Longuet, Senior Consumer Goods Analyst im Private Banking von Lombard Odier, betrachtet die globalen Touristenströme als Wachstumstreiber, wie sie im Interview mit der FuW erklärt.

Frau Longuet, die Luxusgüterindustrie ist gefordert wie schon lange nicht mehr. Welche Herausforderungen würden Sie als die grössten bezeichnen?
Es gilt, zwischen zyklischen und strukturellen Herausforderungen zu unterscheiden. Kurzfristig werden die Proteste in Hongkong das organische Wachstum des Sektors schmälern. Das kann bis zum ersten Quartal 2015 dauern, während sich die Lage zunehmend normalisiert. Bis Sommer waren die Wechselkurse ein Hindernis. Das ändert sich nun, was in zweierlei Hinsicht von Vorteil ist. Es fallen Transaktionsverluste weg, und der Strom der Touristen aus China und den USA nimmt wieder zu. «Markenschmuck wird seinen Anteil bis 2020 verdoppeln. Damit zählt er zu den schnell wachsenden Luxusgüterkategorien.»Nathalie Longuet, Senior Consumer Goods Analyst im Private Banking von Lombard Odier. Bild: ZVGBeides hilft den Unternehmen mit hohen Fixkosten in Europa, ihre Margen zu steigern.

Ab wann erwarten Sie Rückenwind von den Wechselkursen?
Das dürfte bereits im laufenden Quartal sichtbar werden. Die Marktbeobachter von Global Blue beispielsweise haben eine um 25% höhere Nachfrage von chinesischen Touristen in Europa im September ermittelt.

Beurteilen Sie die Folgen der Antikorruptionskampagne in China ebenfalls als zyklische Herausforderung?
2015 und 2016 wird ihr Einfluss schrittweise zurückgehen.

Wo sehen Sie die strukturellen Probleme der Branche?
Zwei Veränderungen beeinflussen den Sektor besonders. Das volatilere Konsumverhalten und die zunehmende Abhängigkeit vom Tourismus, der den ganzen Sektor zyklischer macht. Modeströmungen werden anders als bisher nicht nur den Modesektor – wie unlängst Prada – treffen, sondern auch das Segment Lederwaren. Chinesen sind Marken weit weniger treu als Europäer. Unternehmen, die auf Loyalität setzen, müssen deshalb umdenken. Der teure Aufbau eines engmaschigen eigenen Vertriebsnetzes kann sich als Bumerang erweisen, wenn sich die Konsumenten rasch von der Marke abwenden oder neue Destinationen hip werden. Ein Beispiel: Nach Japan reisten dieses Jahr 90% mehr Chinesen als im Vorjahr, nach Korea waren es 45% mehr.

Was heisst das konkret für die Luxusgüterhersteller?
Sie müssen ihr Geschäftsmodell anpassen, indem sie sich verstärkt auf Neuheiten fokussieren. Die wechselnde Gunst der Reisenden kann zudem durch die Zusammenarbeit mit Dritten in der Distribution besser aufgefangen werden. Wer die raschen Wechsel am besten parieren kann, wird sich auf der Siegerseite wiederfinden. Das gilt auch für einen weiteren Wandel, der erst ansatzweise spürbar ist: die Verschiebung des Umsatzes in die Online-Kanäle. Im Durchschnitt macht die Branche 5% des Umsatzes im Internet, das variiert von 2% bei Uhren bis 10% bei Mode. Bis 2020 dürfte sich der Online-Umsatz verdoppeln, das bedeutet eine deutlich zweistellige Zunahme pro Jahr.

Können Sie die Bedeutung des globalen Kunden illustrieren?
Der «Global Shopper» wird immer wichtiger. Wegen der Chinesen, die gegen 70% ihrer Luxuseinkäufe inzwischen auf Reisen machen, aber auch wegen anderer Wachstumsländer werden die weltweiten Touristenströme in den nächsten zehn Jahren der zentrale Wachstumstreiber der Luxusbranche sein. Vergessen Sie nicht: Touristen geben auf Reisen doppelt so viel aus wie zu Hause.

Wenn Sie die chinesischen Touristen als wichtigste Wachstumstreiber sehen, heisst das, China wird tonangebend bleiben?
Soziodemografische Trends wirken unterstützend. In den nächsten zehn Jahren werden 200 Mio. Chinesen in den Mittelstand aufsteigen. Es ist allerdings schwierig, daraus eine effektive Nachfrageentwicklung für das Land selbst abzuleiten. Der Heimmarkt hat in den vergangenen beiden Jahren stagniert, der Reisemarkt ist dagegen gewachsen, und zudem ist es für Chinesen günstiger, im Ausland einzukaufen. Die Kombination dieser Faktoren wird sich längerfristig positiv auswirken. Gemäss den Marktforschern von Altagamma sind 29% des gesamten für das laufende Jahr auf 223 Mrd. € geschätzten Luxusgütermarktes mit dem Grossraum China verbunden.

Richemont-Finanzchef Gary Saage schreibt den USA derzeit die Rolle eines Emerging Market für die Branche zu. Können Sie dieser Aussage zustimmen?
Die USA sind in der Tat in die Rolle des Wachstumstreibers geschlüpft. Und das Potenzial ist nicht ausgeschöpft. Für den US-Konsumenten muss das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen, was Marken mit einem erschwinglichen Angebot Möglichkeiten eröffnet. Nicht von ungefähr ist Michael Kors so erfolgreich. Auch Uhrenmarken haben Raum nach oben. Die Dynamik des US-Marktes ist gleich mehrfach von Rückenwind begünstigt. Die Einkommen steigen, die Vermögen wachsen durch den Aktienboom und die Wende am Immobilienmarkt, die Steuerbelastung nimmt tendenziell ab, und die Energiepreise sinken. Das ist vielversprechend für das Weihnachtsgeschäft. Aber auch längerfristig werden sich für die Luxusgüterproduzenten Investments in den USA bezahlt machen, sofern sie die Veränderungen im Zielpublikum – mehr ältere Konsumenten, mehr onlineaffine Kunden – berücksichtigen. Burberry etwa hat sich gut auf Online eingestellt.

Welche Wachstumsrate trauen Sie dem Sektor zu, und was sind die Wachstumstreiber?
2014 stellt für mich den Tiefpunkt der Branchenentwicklung dar. Im kommenden Jahr dürfte der Markt zwischen 5 und 6% expandieren, das heisst wie in normalen Zeiten zwei- bis dreimal so rasch wachsen wie die Weltwirtschaft. Argumente dafür gibt es mehrere. Zunächst geht der Einfluss der Antikorruptionspolitik in China zurück. Die Lage in Hongkong wird sich zusehends normalisieren. Wechselkurse stimulieren den Tourismus, Japan fängt sich auf, und die USA sind die Lokomotive.

Bedeutet die Tendenz zu erschwinglichen Luxusgütern, dass Unternehmen mit einem solchen Angebot derzeit bessere Chancen haben als ihre Konkurrenten, die sich auf das Topsegment konzentrieren?
Elitäre Marken funktionieren gut. Auf Aspirational Brands – ehrgeizige Aufsteiger – zu setzen, kann sich ebenfalls lohnen, ist aber mit Risiken verbunden. Gucci und Louis Vuitton etwa sind daran, die Marke höher zu positionieren, müssen aber gleichzeitig gegen die Verlangsamung des Marktes kämpfen. Im Schmucksegment sind die Voraussetzungen anders als in den Bereichen Mode und Lederwaren. Die Nachfrage nach Markenschmuck wächst, was Topbrands Vorteile verschafft.

Reihen Sie demnach Markenschmuck unter die am schnellsten wachsenden Luxusgüterkategorien ein?
Auf jeden Fall. Nur 20% des verkauften Schmucks fallen darunter, im High-End-Bereich ist der Anteil noch kleiner. Freizeitartikel sind dagegen zu 50% Markenartikel, Parfum zu 80%. Eine Analyse von McKinsey erwartet, dass bis 2020 der Anteil von Markenschmuck auf 30 bis 40% steigen wird. Das würde jährliche Wachstumsraten von mehr als 15% in den nächsten sieben Jahren bedeuten. Die Hauptschwierigkeit ist es, die Marke an einem Schmuckstück sichtbar zu machen. Ein gutes Beispiel hat Bulgari mit der Wiederbelebung von alten Klassikern vorexerziert oder auch Chopard mit der Happy-Diamonds-Kollektion.

Andere Kategorien oder einzelne Unternehmen, die Sie favorisieren?
Im Schmuckbereich ist Tiffany gut positioniert. Auch die Uhrenhersteller haben ihr Potenzial nicht ausgeschöpft, besonders im Vertrieb. Richemont (CFR 83.25 0.3%) gefällt mir. Für Lederwaren ist das Umfeld anspruchsvoll und das Retailnetz bereits sehr engmaschig. Da liegt wenig drin.

Im Modesektor kam es in den letzten Jahren vermehrt zu Übernahmen, im Uhrensektor dagegen weit weniger. Ist eine Konsolidierung fällig?
Die Uhrenbranche hat bereits konsolidiert. Die fünf Tophäuser bestreiten mit 58% des Marktes weit mehr als etwa im Schuhgeschäft. Um einzelne unabhängige Marken ranken sich immer wieder Spekulationen, das ist klar. Aber auch der Wegfall des Lieferzwangs für Uhrwerke sollte keine weitere Konsolidierung einleiten. Kleine Anbieter haben bereits ausreichend vielfältige Alternativen zu den gängigen Eta-Werken.

Betrachten Sie die Smartwatch als Gefahr für die Schweizer Uhrenindustrie?
Aktuell ist die Smartwatch kein Thema für das Topsegment, für die untere bis mittlere Preislage ja. Ob ein Kannibalisierungseffekt eintritt und in welchem Ausmass, ist schwer vorherzusagen. Partnerschaften von Uhrenproduzenten mit grossen Technologiekonzernen sind schwierig auszuhandeln, weil diese über den Zugang zu Technologien entscheiden und die neuesten Entwicklungen meist für sich allein beanspruchen. Eine Win-Win-Situation stellt sich unter solchen Bedingungen kaum ein.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.