Peking hat eine breite Palette an Massnahmen ergriffen. Doch mit den Konjunkturprogrammen schiebt die Regierung strukturelle Probleme nur vor sich her.
Der Handelskrieg und die nachlassende Binnennachfrage bremsen das chinesische Wirtschaftswachstum. Das haben die Konjunkturdaten vom Mai gezeigt, die mehrheitlich deutlich schwächer als im Vormonat ausgefallen sind. So ist die für China weiterhin extrem wichtige Industrieproduktion mit einem Plus von noch 5% gegenüber dem Vorjahr am langsamsten seit 1995 gewachsen.
Peking will sich mit allen Kräften gegen den Abwärtstrend stemmen. Doch trotz der verschärften Rhetorik sind bisher noch keine groben Geschütze aufgefahren worden – etwa eine massive Abwertung des Yuans gegenüber dem Dollar.
Hoffnung auf Einigung
Ein solcher Schritt könnte zwar der Exportindustrie helfen, doch würde das Schockwellen an den Finanzmärkten auslösen und den Handelskrieg mit den USA eskalieren lassen. Dabei ist in der Zwischenzeit eine gütliche Beilegung des Streits mit Washington wahrscheinlicher geworden, denn US-Präsident Trump und sein chinesischer Amtskollege wollen sich Ende nächster Woche am G-20-Gipfel um eine Beilegung des Streits bemühen.
Peking kämpft wohl gerade auch in der Hoffnung auf ein baldiges Einlenken der USA weiterhin vor allem mit feineren fiskal- und geldpolitischen Instrumenten gegen die sich abkühlende Konjunktur. So ist bereits die Mehrwertsteuer für die verarbeitenden Industrien gesenkt worden. Der Absatz von Autos oder Haushaltsgeräten wurde wiederum durch die Reduzierung der Umsatzsteuer gestützt.
Damit sind allerdings auch die Fiskaleinnahmen deutlich zurückgegangen. Nachdem sie im April gegenüber dem Vorjahreszeitraum noch 2,8% gestiegen sind, schrumpften sie im Mai 2,1%. Die Regierung hat denn auch schon Anfang März die Obergrenze des Haushaltsdefizits gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP) von 2,6 auf 2,8% heraufgesetzt.
Ökonomen von Morgan Stanley (MS 43.58 0.28%) gehen davon aus, dass die Fiskaldisziplin im Verlauf des Jahres weiter gelockert wird. Doch angesichts der gesamtwirtschaftlichen Verschuldung, die sich 300% des BIP nähert, verfügt Peking nur noch über einen beschränkten fiskalpolitischen Freiraum. Premierminister Li Keqiang hat wiederholt betont, dass das Volumen aller neu erteilten Kredite nicht schneller als das nominale BIP wachsen soll.
Trotzt ihrer knappen Kassen haben lokale Körperschaften auf Anweisung der Zentralregierung jüngst ihre Investitionen in Infrastrukturprojekte deutlich erhöht. Dabei zeigt sich der Staat, was die Finanzierung neuer Strassen und Brücken betrifft, kreativ. Das illustriert etwa das Auflegen sogenannter spezieller Bauanleihen. Diese über zwanzig Jahre laufenden Instrumente werden nicht als Fremd-, sondern als Eigenkapital verbucht. Sie werden damit von der Notenbank, der Volksbank von China, nicht in die breite Messgrösse aller Emissionen eingeschlossen.
Solche Bonds kommen nicht zum ersten Mal zum Einsatz, sondern wurden bereits nach 2015 nach dem Crash der chinesischen Börsen auf den Markt geworfen. Damit kann, wie Berechnungen des Brokerhauses Nomura zeigen, auch die selbst auferlegte Grenze der Neuverschuldung ausgehebelt werden.
Mit der zunehmend an Schwung verlierenden Wirtschaft wächst auch der Druck auf die Notenbank, das ihre zur Stützung des Wachstums beizutragen. Notenbankgouverneur Yi Gang liess auf alle Fälle schon einmal wissen, dass sein Institut «geldpolitisch über enorm viel Freiraum» verfüge. Yi bezieht sich unter anderem darauf, dass der Zinssatz für einjährige Ausleihen seit 2015 unverändert 4,35% beträgt und damit Welten von der Nullzinspolitik Europas und Japans entfernt ist. Obwohl die Reserven, die Geschäftsbanken bei der Notenbank hinterlegen müssen, seit Anfang 2018 in sechs Schritten gesenkt worden sind, bleibt der Mindestreservesatz hoch. Ende der Vorwoche hat die Notenbank über eine ganze Reihe von Kreditfazilitäten zusätzlich Liquidität in den Geldkreislauf gespeist.
Weitere Öffnung notwendig
Damit sind allerdings die Sorgen über die wachsenden faulen Kredite erneut in den Vordergrund getreten. Das hat zusätzlich die wegen ihrer schwachen Bilanz im Mai vom Staat aufgefangenen Baoshang Bank deutlich vor Augen geführt.
China mag mit den bisher ergriffenen Massnahmen die Abkühlung der Konjunktur verlangsamt haben. Doch schiebt Peking strukturelle Probleme vielfach einfach vor sich her. Li Jiange, einer der einflussreichsten chinesischen Ökonomen des Landes, meint denn auch, dass China nicht noch mehr Beton, sondern mehr gut bezahlte Arbeitsplätze für Universitätsabgänger benötigt. Und solche kommen nicht mit Konjunkturprogrammen, sondern mit einer längst fälligen weiteren wirtschaftlichen Öffnung.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.