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18:17 Uhr - 21.07.2017

EZB-Chef Mario Draghi bricht mit der Tradition der Notenbank

Unter Draghis Führung beschreitet die EZB neue Wege. 2019 endet seine Amtszeit.

Als Mario Draghi das Zepter bei der Europäischen Zentralbank (EZB) übernimmt, steckt die Eurozone mitten im Sturm der Schuldenkrise. Der neue Präsident fackelt nicht lange.

In den ersten zwei Monaten nach seinem Amtsantritt am 1. November 2011 krempelt er die Geldpolitik seines Vorgängers Jean-Claude Trichet um. Er macht die beiden Zinserhöhungen rückgängig, die die EZB früher im Jahr beschlossen hat.

Die erste Zinssenkung kündigt Draghi bereits am 3. November an. Zudem beschliesst die EZB im Dezember, den Banken über die Kreditlinie LTRO Liquidität zur Verfügung zu stellen.

Draghi hat verstanden: Die Eurokrise ist nicht nur eine Schuldenkrise, sie ist eine Bankenkrise. «Draghi war ein Segen für die Eurozone», sagt Finanzprofessor Charles Wyplosz im Interview. «Er ist ein erstklassiger Ökonom und versteht die Problematik genau.»

Unter der Führung von Draghi beschreitet die EZB neues Terrain. Damit bricht er mit der – freilich noch jungen – Tradition der Zentralbank.

Ein makelloses Zeugnis

Gegründet wird die EZB 1998 nach dem Vorbild der konservativen deutschen Bundesbank, deren Ziel die Kontrolle und Bekämpfung der Inflation war. Das spiegelt sich im einzigen Mandat der EZB, nämlich der Wahrung der Preisstabilität.

Der Vertrag von Lissabon verbietet es ausserdem, monetäre Finanzierung zu betreiben, also etwa Geld zu drucken, um die Ausgaben eines Mitgliedstaates zu finanzieren.

In diesem engen Korsett bewegt sich Trichet nach dem Ausbruch der Eurokrise. Ihm wird immer wieder nachgesagt, er sei in der Ausübung seines Amtes deutscher als die Deutschen.

Im Entscheidungsgremium der EZB sorgen Jürgen Stark, der im Direktorium sitzt, und Axel Weber, der damalige Chef der Bundesbank, dafür, dass die strikte Position von Deutschland Gehör findet.

Die Preisstabilität bleibt denn auch in der grössten Krise der Eurozone Trichets oberstes Ziel. Doch der Franzose gerät gegen Ende seiner Amtszeit an die Grenzen der konventionellen Geldpolitik.

Im Mai 2010 startet die EZB den Kauf von Staatsanleihen von Krisenländern. Als Kritik an der EZB-Politik laut wird, verliert Trichet an einer seiner letzten Pressekonferenzen kurz die Contenance.

«Unser Leistungsausweis ist makellos, makellos!», erklärt er den Journalisten. «Ich würde gerne Gratulationen dafür hören, dass wir in den vergangenen fast dreizehn Jahren für Preisstabilität gesorgt haben, und zwar auch in Deutschland.» Derweil schwelt die Krise an den europäischen Finanzmärkten weiter.

Das Ende der Ära Draghi

Draghi ist noch nicht ein Jahr im Amt, als im Sommer 2012 die Bewährungsprobe folgt. Im Epizentrum der Krise steht mittlerweile Spanien. Am 26. Juli verspricht der EZB-Chef, alles Nötige zu unternehmen, um den Euro zu retten. Damit sorgt er für Entspannung an den Finanzmärkten und schafft die Wende in der Eurokrise.

Das Verständnis für den Mechanismus der Märkte verdankt der Ökonom unter anderem seiner jahrelangen internationalen Karriere. Er arbeitete für die Weltbank, war Gouverneur der italienischen Zentralbank und lehrte an der Universität Harvard.

Von 2002 bis 2005 war Draghi bei der Investmentbank Goldman Sachs (GS 220.008 -1.03%) in London angestellt – ein Umstand, der bei seiner Ernennung zum EZB-Chef wegen möglicher Interessenskonflikte für Kontroversen sorgt. Promoviert hat Draghi am Massachusetts Institute of Technology bei den Nobelpreisträgern Franco Modigliani und Robert Solow.

Die Kritik an Draghis Interpretation des EZB-Mandats lässt nicht lange auf sich warten. Insbesondere in Deutschland ist die Sorge gross, dass der Italiener mit der lockeren Geldpolitik die Inflation schürt.

Allerdings: Draghi geniesst in der heissen Phase der Eurokrise die Rückendeckung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie stellt die EZB-Politik in dieser Zeit öffentlich nie in Frage.

Welche Noten Draghi für seinen Einsatz in der Eurokrise erhält, wird die Zukunft weisen. Klar ist: Die Ära Draghi neigt sich dem Ende. Im November 2019 übernimmt sein Nachfolger den Posten. Noch dreht sich das Kandidatenkarussell langsam.

Glaubt man ersten Spekulationen, hat einer von Draghis grössten Kritikern Ambitionen auf das Amt des obersten Währungshüters; nämlich Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank. Das meldet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Er wäre der erste Deutsche, der die Geschicke der EZB leitet.

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