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16:25 Uhr - 06.12.2016

«Gut für Aktien: Die Gewinnrezession ist zu Ende»

Renato Flückiger, Leiter Investment und CIO von Valiant, sieht die Unternehmensgewinne am Wendepunkt und sagt für 2017 ein Wachstum von rund 10% voraus.

Herr Flückiger, was schliessen Sie daraus, dass das Italienvotum und der Rücktritt von Ministerpräsident Renzi zum Nichtereignis an den Finanzmärkten wurden?
Die im Vorfeld kolportierten Panikszenarien habe ich nie geteilt. Brexit und US-Präsidentenwahl haben gezeigt, dass sich Extrempositionierungen in einem Portfolio nicht lohnen. Erstens handelt es sich um politische Ereignisse, die nicht zu prognostizieren sind, und zweitens ist die Reaktion an den Finanzmärkten jeweils sehr unberechenbar.

Renato Flückiger«Bewertung und Dividende sprechen für Schweizer Aktien.» Bild: ZVGDie Europäische Zentralbank werde jeweils schon für Ruhe sorgen, heisst es am Markt. Möglichen Turbulenzen rücke sie mit
zusätzlichen Wertpapierkäufen zu Leibe. Trifft dieses Argument zu?
Davon halte ich nicht viel, weil sich die EZB an ein relativ enges Korsett halten muss. Da sie inzwischen hohe Anteile der ausstehenden Staatsanleihen der Euroländer hält, war am Markt wenig Stress zu erkennen. Die Rendite der zehnjährigen italienischen Staatspapiere war schon in den Wochen vor der Abstimmung stabil.

Die EZB schaltet mit dem Kauf von Anleihen die Marktkräfte aus und hält die Zinsen niedrig. Wie lange geht das gut?
Schauen wir die Situation aus einem anderen Blickwinkel an: Was wäre passiert, wenn die EZB passiv geblieben wäre, aber alle anderen Notenbanken weiter massiv Staatsanleihen gekauft und ihre Währungen geschwächt hätten? Dann hätte der Euro aufgewertet, die Exporte hätten gelitten, und die wirtschaftliche Situation hätte deutlich schlimmer ausfallen können. Aus meiner Sicht setzt die EZB das richtige Signal, wenn sie ihr Kaufprogramm diesen Donnerstag noch einmal verlängert. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass sie an ihre Grenzen stösst und im späteren Verlauf von 2017 wohl reduzieren muss.

In welchem Licht sehen Sie das neue Anlagejahr, in Europa und auf globaler Ebene?
In einem recht hellen. Das globale Wirtschaftswachstum sollte sich gegen 3,3% moderat beschleunigen. Die Vorlaufindikatoren stimmen für die nächsten sechs bis neun Monaten ziemlich zuversichtlich. Die Risikoprämien für Aktien gehen zwar zurück, und die Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen verlieren wegen leicht steigender Zinsen an Attraktivität. Trotzdem sollte die Gewinndynamik stark genug sein, um diese Effekte zu kompensieren. Und – das Wirtschaftswachstum ist robust genug, um Unternehmen gegenüber Staatsanleihen zu favorisieren. Das federt den Einfluss moderat steigender Zinsen am Obligationenmarkt ab.

Was sind die Risiken, worauf müssen Investoren achten?
Erstens auf die Politik: Was kann und wird Donald Trump mit seiner Wirtschaftspolitik bewirken? In der Eurozone sind die Gegner des politischen Establishments ebenfalls auf dem Vormarsch. Die Regierungen werden versuchen, das Wachstum durch eine expansivere Finanzpolitik anzuschieben, was im Euroland mit der ungelösten Staatsschuldenkrise und dem bröckelnden politischen Zusammenhalt wesentlich gefährlicher ist als in den USA. Zweitens auf die Zinsen: Der Wechsel von der geldpolitischen zur fiskalpolitischen Expansion wird sich fortsetzen. Daher gilt es, die Duration im Bondportfolio kurz zu halten und den Fokus, wie gesagt, auf Unternehmensanleihen zu setzen.

In den USA ist die Zinswende spätestens mit der bevorstehenden Zinserhöhung des Fed vollzogen. Was passiert in Europa, in der Schweiz?
Ich gehe davon aus, dass der Zinsanstieg in den USA die europäischen Zinsen ebenfalls anheben wird. Da gehört auch die Schweiz dazu, wenngleich in kleinerem Ausmass.

Welchen Spielraum hat die SNB (SNBN 1792 0.56%), werden die Negativzinsen verschwinden?
Nein, aber der Druck, den Negativzins zu erhöhen, lässt nach. Die Deviseninterventionen könnten sogar zurückgehen, weil sich die Wirtschaftslage in Europa bessert. Die SNB wird wohl eine Bandbreite von 1.05 bis 1.08 Fr. zum Euro anstreben.

Zum Aktienmarkt: USA oder Europa – welcher Region geben Sie den Vorzug?
In den USA ist bereits sehr viel Goodwill eingepreist, und ich teile die Euphorie vieler Marktteilnehmer nur bedingt. Besonders die massive Sektorrotation, weg von Pharma und Konsum zu zyklischen Werten wie Industrie oder Banken, scheint übertrieben zu sein. Da wird etwas viel Hoffnung gekauft. Inzwischen ist die Bewertungslücke zwischen Europa und den USA signifikant: Die risikofreien zehnjährigen Treasuries rentieren 2,45%, die erwartete Dividendenrendite im US-Aktienmarkt liegt mit 2,2% darunter. Deutsche Bunds rentieren 0,3% verglichen mit einer erwarteten Dividendenrendite von 3,9% der Aktien. Europa wirkt somit auf den ersten Blick deutlich attraktiver.

Und auf den zweiten Blick?
Die Diskrepanz ist ein Beweis für den Vertrauensverlust und die Risikoaversion gegenüber Europa. Wegen der Unsicherheit wegen der Wahlen in verschiedenen europäischen Ländern im neuen Jahr wird  dieser Bewertungsabschlag noch länger bestehen bleiben. Wir haben Europa und Nordamerika taktisch gleich gewichtet.

Was verspricht die Schweizer Börse 2017?
Der Abgabedruck auf die Indexschwergewichte dürfte abflauen, die Investoren werden sich wieder vermehrt auf fundamentale Kriterien wie Bewertung und Dividende fokussieren. Diese sprechen weiterhin für Schweizer Aktien, denn die Risikoprämie gegenüber Obligationen bleibt attraktiv. Wir setzen auf den Schweizer Aktienmarkt und haben mittelkapitalisierte Werte in den Portfolios übergewichtet.

In welche Richtung steuern die Unternehmensgewinne?
Es gibt klare Anzeichen, dass die nun zwei Jahre andauernde Gewinnrezession langsam zu Ende geht. Für 2017 ist in den meisten Regionen eine Rückkehr zu einem positiven Gewinnwachstum zu erwarten. In der Eurozone und den USA sollte eine Gewinnwachstums von gut 10% zu erreichen sein, in der Schweiz leicht weniger. Aktien können also weiter in einem vernünftigen Masse steigen, ohne dass wir in eine Bewertungsexpansion kommen. Das wirkt unterstützend für die Aktienmärkte.

Wie setzen Sie im Aktienportfolio die Schwerpunkte, einschliesslich Fremdwährungen?
Wir haben den Schweizer Aktienmarkt mit mittelkapitalisierten Werten taktisch übergewichtet. Dabei wollen wir weiterhin gezielt Faktorprämien abschöpfen, indem wir die vier Anlagestile Qualität, Marktkapitalisierung, Dividende und Minimumvarianz, also das Risiko minimieren, kombinieren und gegenüber den klassischen Indizes Mehrwert mit einem vernünftigen Risiko generieren. Die Mehrheit unserer Investoren umgeht die Fremdwährungsrisiken, indem sie die Positionen strategisch absichert. Fremdwährungen bringen einem Frankenanleger ausser höherer Volatilität empirisch keinen Mehrwert.

Die aktuelle Begeisterung für zyklische Werte halten Sie für übertrieben. Weshalb?
Ein Grund für den Schub der zyklischen Titel sind der Anstieg der langen Zinsen und die darin ausgedrückte Wachstumshoffnung. Die Bewegung war rasch und heftig. Dabei wissen wir noch gar nicht, ob wie in welchem Ausmass die Investitionen in die Infrastruktur fliessen werden. Falls sich die Wachstumseuphorie als übertrieben erweist, werden die defensiven Titel wieder teigen oder zumindest stabil bleiben.

Bleiben das Dividendenthema und generell die Vorzüge von Aktien intakt, auch wenn die Zinsen steigen?
In der Schweiz und in Europa auf jeden Fall. Trotz moderat steigender Zinsen haben wir immer noch eine expansiv ausgerichtete Geldpolitik der EZB. Im Verhältnis zu den Dividendenrenditen bleiben europäische und Schweizer Staatsanleihen unattraktiv. Das wird die Nachfrage nach qualitativ soliden Dividendenaktien weiter hochhalten. Etwas weniger überzeugt sind wir in den USA, wo wir  zyklischen Aktien – bei allen Vorbehalten, dass die aktuelle Begeisterung übertreibe Züge aufweist – eher bessere Chancen einräumen.

Welchen fünf Titeln, Schweiz und international, trauen Sie im kommenden Jahr die beste Performance zu?
Das sind aus dem mittleren Segment Bossard (BOSN 137 -0.72%) und Clariant (CLN 16.39 0.74%) und unter den Grossen Givaudan (GIVN 1782 0.79%), ABB (ABBN 21.11 -0.52%) und Novartis (NOVN 69.25 -0.36%).

Was spricht für mittelkapitalisierte Werte?
Das Gewinnwachstum sollte dank den soliden Konjunkturaussichten und der zyklischeren Ausrichtung höher sein als im eher defensiven SMI (SMI 7887.75 0.54%). Und die reinen Small Caps sind teurer und weniger liquid. Deshalb der Fokus auf Mid Caps.

Wie sieht der Plan B aus, fünf Aktien, die auch einem schweren Unwetter trotzen?
Das sind Novartis, Nestlé (NESN 68.3 0.44%) und Roche (ROG 223.2 0.5%) sowie – dank ihrer Immobilien- beziehungsweise Sachwertausrichtung, Mobimo (MOBN 242 0.58%) und Flughafen Zürich (FHZN 175.8 0.17%).

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