Banken dürfen Wertpapiere von «Fallen Angels» als Sicherheiten hinterlegen. Direkt kauft die Euro-Notenbank aber noch keine spekulativen Ramschpapiere.
Wichtige Entscheidungen treffen die Euro-Währungshüter derzeit gerne auch zwischen den geldpolitischen Sitzungen. Das nächste reguläre Treffen des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) ist eigentlich erst für den nächsten Donnerstag vorgesehen. Doch bereits diese Woche riefen sich die Währungshüter ausserplanmässig zusammen. Dabei beschlossen sie, den Geschäftsbanken die Geldleihe bei der EZB nochmals zu erleichtern.
Die Notenbank lässt vorübergehend Wertpapiere als Sicherheiten zu, auch wenn sie demnächst so weit herabgestuft werden, dass sie sogar ihre Investment-Anlagequalität verlieren und damit unter die Mindestbonitätsschwelle von BBB fallen. Emittenten solcher Anleihen werden oft auch «Fallen Angels» genannt.
Ramschanleihen im Blick
Beobachter rätseln, ob der EZB-Rat nächste Woche beschliessen könnte, auch Obligationen mit spekulativer Anlagequalität direkt zu kaufen: also Hochzinspapiere (High Yield), vor allem von Unternehmen. In den USA hatte die Notenbank Federal Reserve vor wenigen Wochen beschlossen, eine begrenzte Summe von Unternehmensanleihen mit schlechter Bonität auch indirekt über ETF aufzukaufen. Sie versucht damit das Segment am Anleihenmarkt zu stützen, das derzeit starke Mittelabflüsse verkraften muss.
Vorerst sind die Zinsaufschläge in den USA und in Europa gegenüber Staatspapieren wieder gesunken. Sie bleiben erhöht, auch weil die Welle an Herabstufungen noch rollt, womit auch die Zahl der «Fallen Angels» steigt.
Nach Schätzungen der Bank ING wird 10% des Euro-Volumens an Unternehmensanleihen in den nächsten 12 bis 18 Monaten in das High-Yield-Segment abrutschen, was einer Summe von 70 Mrd. € entspricht. Die EZB-Entscheidung hilft somit Banken und anderen Investoren, dass diese die Papiere nicht verkaufen müssen. Zum anderen schwinden damit auch Sorgen, dass Banken Finanzierungsschwierigkeiten bekommen könnten.
Unter Beobachtern wird zudem gemutmasst, dass die Währungshüter ihr Pandemieprogramm für Anleihenkäufe noch bis zum Sommer aufstocken müssen. Dessen Summe hatte der Rat am 18. März vorerst mit 750 Mrd. € bis Ende des Jahres festgelegt. Es dient dazu, dass die Zinsaufschläge der Eurostaatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen nicht übermässig steigen, was in der Sprache der Notenbanker die Übertragung der Geldpolitik behindern würde. Höhere Summen könnten notwendig werden, da sich EU-Staaten noch immer nicht auf die Grundlinien eines Wiederaufbaufonds einigen konnten.
Ruhe bei den Zinsen
Die Leitzinsen dürfte der EZB-Rat vorerst nicht anrühren. Die Terminkontrakte zeigen: Zinsschritte nehmen die Anleger 2020 keine mehr vorweg. Dies dürfte die Schweizerische Nationalbank in ihrem geldpolitischen Kurs bestätigen. Sie versucht vor allem, mit Fremdwährungskäufen die Aufwertung des Frankens zu bremsen, der bei vielen Anlegern als sicherer Hafen beliebt ist. Aktuell rechnen Schweizer Banken in der FuW-Umfrage mit keinen Zinssenkungen mehr auf Sicht von zwölf Monaten. Die markbasierten Inflationserwartungen für den Euroraum liegen aktuell bei rund 0,9%.
Der Hintergrund für die EZB-Entscheidung in dieser Woche zu den Sicherheiten könnte auch darin bestehen, dass Ratingagenturen bereits dabei sind, die Bonitätseinschätzung der Emittenten von Euro-Obligationen reihenweise herabzustufen: also von Unternehmen, Banken sowie bald verstärkt auch von Regierungen.
Im Fokus steht dabei besonders Italien. Für die drittgrösste Volkswirtschaft im Euroraum wird aktuell bereits im Zuge der Coronakrise ein Anstieg der Staatsverschuldung von derzeit rund 135% des Bruttoinlandprodukts auf 150 bis 160% bis Ende des Jahres erwartet. Staatsanleihen sind für viele Geschäftsbanken die gebräuchlichsten Sicherheiten für die Geldleihe bei der Notenbank.
Genau wie Portugals wird Italiens Regierung aber nur noch mit BBB bei den Ratingagenturen Standard & Poor’s und Fitch bewertet. Dies sind nur noch zwei Stufen über Ramschstatus, wie die spekulative Kreditwürdigkeit auch genannt wird. Moody’s liegt mit Baa3 nur eine Stufe darüber. Sollte also Italien in den nächsten Wochen seine Anlagequalität bei den grossen Ratingagenturen verlieren, droht ein Ausverkauf. Viele Vermögensverwalter in Banken, Fondsgesellschaften oder in Versicherungen müssten laut interner Regeln diese Papiere abstossen.
Zumindest bei den Refinanzierungsgeschäften der EZB gilt aber der Bestandsschutz für die Sicherheiten. Die EZB beschloss diese Woche, alle Ratings für zugelassene Wertpapiere mit dem Stand vom 7. April einzufrieren. Anleihen, die bis dahin noch Investment-Anlagequalität hatten, können mindestens bis September 2021 als Sicherheiten eingereicht werden. Sie dürfen aber nicht tiefer als BB sinken, also zwei Stufen unter der letzten Bonitätsbewertung im Investment Grade. «Mit diesem Schritt will der EZB-Rat eine potenzielle prozyklische Dynamik verhindern», teilt der EZB-Rat mit.
Wenn Italien allerdings bei den Ratingagenturen S&P, Moody’s, Fitch, DBRS sein Investment Grade verliert, müsste die EZB für Anleihenkäufe zusätzliche Ausnahmen einführen, wie sie etwa für Griechenland gelten. Wie die Notenbank diese Woche mitteilte, hat sie bis Freitag vergangener Woche bereits eine Summe von 71 Mrd. € im Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) erworben, was zuletzt auf eine Summe von 20 Mrd. € pro Woche hinausläuft oder 5 Mrd. € am Tag aufgrund der Ostertage. Viele Beobachter schätzen, dass ein Grossteil in italienische Staatspapiere fliesst. Zuletzt sind die Risikoaufschläge gegenüber deutschen Bundesanleihen wieder gestiegen, Ende dieser Woche beruhigte es sich etwas.
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