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07:07 Uhr - 27.12.2016

Wer hat Angst vor Blockchain?

Nach dem Blockchain-Hype wird die zugrundeliegende Technologie von Bitcoin 2017 zum ersten Mal Anwendung in der etablierten Finanzbranche finden. Es gibt jedoch erhebliche Herausforderungen.

Unter den Schweizer Bergen liegt digitales Gold. In einem Bunker bei Attinghausen (UR) stehen Computer und Server mit und ohne Internetzugang. Jeden Tag kommt eine Person vorbei und überträgt mithilfe eines USB-Sticks die digitale Währung Bitcoin von den Online- zu den Offline-Rechnern. Ihren Tresor nennen es die Mitarbeiter von Xapo, einem der grössten Bitcoin-Unternehmen der Welt.

Bitcoin: Die weltweit grösste Kryptowährung, verwaltet und erzeugt durch ein dezentrales Online-Netzwerk. Aufgezeichnet werden Bitcoin-Transaktionen in einem digitalen Register, genannt Blockchain.

Blockchain: Unter Blockchain versteht man eine Art Online-Grundbuch, in dem Informationen für alle angeschlossenen Personen zugänglich gemacht werden. Neue Informationen werden im Konsensverfahren in Datenpaketen (Blocks) an die Kette bestehender Pakete gereiht (deshalb: Blockchain). Einmal angehängt, können Daten nicht mehr verändert werden. Das ermöglicht hohe Sicherheit, obgleich eine zentrale Instanz fehlt.

10% der weltweiten Bitcoin-Transaktionen laufen über die Plattform der Zuger Gesellschaft. Und Xapo ist nur eines von vielen Bitcoin-Start-ups, die sich in den vergangenen Jahren im Innerschweizer Kanton niedergelassen haben. Doch das wirklich Faszinierende ist nicht Bitcoin selbst, sondern die zugrundeliegende Technologie: die Blockchain.

Die Blockchain ist ein digitales Register, das angeschlossenen Parteien erlaubt, Informationen, Werte oder Besitzansprüche auszutauschen, ohne die Vermittlung einer zentralen, unabhängigen Instanz.

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Einer, der sich mit der Technologie auskennt, ist Emmanuel Aidoo, Blockchain-Stratege der Credit Suisse in New York: «2015 war das Jahr des Hypes, 2016 haben wir bewiesen, was die Technologie alles kann, und 2017 werden wir sie in Aktion erleben.» Allein im dritten Quartal 2016 sind laut dem Beratungsunternehmen KPMG 360 Mio. $ an Wagniskapital in Blockchain- und Bitcoin-Unternehmen geflossen.

Das Ende der dritten Partei

Blockchain «verspricht vor allem die Reduzierung von Kosten», sagte Thomas Jordan, Chef der Schweizerischen Nationalbank (SNB), im September an der Finanzmesse Sibos. «Dezentralisierung scheint nun die grössten Effizienzgewinne zu versprechen.»

Laut Michael Mainelli, Gründer des Londoner Think Tank Z/Yen, können zentral organisierte Datenbanken jedoch genauso effizient sein. Der Hauptnutzen liege «im Potenzial, das Monopol von Trusted Third Parties, TTP, einzuschränken», sagte er dieses Jahr dem Magazin «Red».

TTP: Eine Third Trusted Party (TTP) – zu Deutsch: vertrauenswürdige dritte Partei – ist eine unabhängige Instanz, die Transaktionen zwischen mehreren Parteien koordiniert, abwickelt, beglaubigt und aufzeichnet. In der Finanzindustrie kann diese Rolle von einer Bank oder einem anderen zugelassenen Finanzdienstleister eingenommen werden. Eine Blockchain ist nicht auf eine TTP angewiesen.

TTP sind Banken, Zentralbanken oder Finanzdienstleister wie die Schweizer Börsenbetreiberin SIX, die als vertrauenswürdige Drittparteien Tausende von Transaktionen zwischen Finanzinstituten überprüfen, abwickeln und aufzeichnen. Der Nachteil: Der Prozess ist unter Umständen langwierig, die Risiken sind konzentriert. «Wenn ich über eine Blockchain-Plattform den Beteiligten Sicherheit und Transparenz über jede Transaktion geben kann, braucht es die zentrale Gegenpartei in ihrer heutigen Form nicht mehr», sagt Thomas Zeeb, Chef der Division Securities Services der SIX Group. «Und ich habe Kosten und vor allem Risiken aus dem System genommen.»

TTP mit der Blockchain-Anwendung überflüssig zu machen, daran arbeitet die Schweizer Börsenbetreiberin zurzeit. Ähnlich die Credit Suisse. Sie entwickelt eine Blockchain-Anwendung für Konsortialkredite.

Das sind grosse Kreditlinien, die Unternehmen von zwei oder mehreren Banken zur Verfügung gestellt bekommen. Eine Bank koordiniert dabei das Ganze, die Kommunikation passiert oft noch via Fax. Ein eigentlich simpler Prozess umfasst viele Personen und verschiedene getrennte Datenbanken. «Das kostet viel Zeit und Geld und limitiert dadurch die Grösse des Marktes», sagt CS-Mann Aidoo.

Durch Blockchain lässt sich der Prozess automatisieren, alle Datenbanken werden zugleich in Sekundenschnelle auf den neusten Stand gebracht, jeder verfügt über dieselben, fälschungssicheren Informationen. Die Rolle eines Vermittlers wird überflüssig.

Mitte 2017 könnte das neue System für einige Kreditformen online gehen. Und: «Es wird noch einiges folgen», sagt Aidoo. Überall dort, wo sich mehrere Parteien über Datenaustausch koordinieren müssen und der bisherige Prozess zeitaufwendig und kostenintensiv ist, kann Blockchain Abhilfe schaffen.

So wickelten die Commonwealth Bank of Australia und die US-Grossbank Wells Fargo im September den ersten internationalen Rohstoffhandel über Blockchain ab. Dabei wurde Baumwolle im Wert von 35 000 $ von Texas nach China verschifft. Die Blockchain, die verwendet wurde, enthielt sogenannte Smart Contracts.

Smart Contract: Ein Smart Contract – zu Deutsch: schlauer Vertrag – ist ein Computerprotokoll, das herkömmliche Verträge digital abbildet. Das Protokoll kann automatisch Klauseln des Vertrags in Kraft setzen, wenn gewisse vordefinierte Ereignisse eintreten. Smart Contracts können so beispielsweise in Blockchains zum Einsatz kommen.

Das sind Algorithmen, die automatisch Zahlungen und Eigentümerschaft auslösen und übertragen, wenn die Fracht einen bestimmten Ort erreicht. Dank dieser Technik müssen sich mehrere Parteien weder kennen noch einander vertrauen, um erfolgreich zusammenzuarbeiten. In Zug entwickelt beispielsweise das Unternehmen Ethereum solche smarten Verträge.

Bei der Credit Suisse übertragen Emmanuel Aidoo und sein Team die Technologie auf die Bereiche Kreditausfallversicherungen und strukturierte Produkte. «Die bisherigen Abwicklungssysteme im Backoffice sind teilweise Jahrzehnte alt, weswegen bei manchen Zeit für eine Erneuerung ist», sagt Aidoo.

Doch nicht alle Systeme wird die Blockchain sofort ersetzen. So zum Beispiel das System zur Zahlungsabwicklung der Schweizer Banken. Das sogenannte Swiss Interbank Clearing (SIC) wird zentral von der SIX im Auftrag der SNB betrieben.

Im Durchschnitt läuft darüber täglich eine Summe von über 300 Mrd. Fr. – die Hälfte der Schweizer Wirtschaftsleistung eines Jahres –, und das in Echtzeit. Erst vor kurzem hat die SIX das System erneuert, Blockchain wurde dafür geprüft, kam aber nicht zum Einsatz. Ein anderes Beispiel ist der Börsenhandel selbst. «Der ist heute schon günstig, effizient und relativ einfach», sagt Christoph Landis, Chef der Schweizer Börse. «Was würde man durch Blockchain noch gewinnen?»

Keine Revolution, sondern Evolution

Anders der ausserbörsliche Wertpapierhandel. Unter der Führung der Hochschule Luzern (HSLU) arbeiten Swisscom, SIX, Zürcher Kantonalbank, ti&m, Inventx und Incore Bank an einer Blockchain-Anwendung. «Die Demo-Version funktioniert, Mitte 2017 könnte die fertige Lösung stehen», sagt Projektleiter Mathias Bucher von der HSLU.

Für das Posttrading, sprich die Abwicklung im Anschluss an eine Transaktion an der Börse, würde sich zwar ebenfalls ein Blockchain-Ersatz anbieten: «Den Prozess könnte man unter Umständen mit einer Blockchain-basierten Lösung vereinfachen», sagt Thomas Zeeb. Und tatsächlich prüft die SIX dies zusammen mit der Digital Asset Holdings, die auch für die australische Börse das Posttrading auf Blockchain umstellt. Allerdings: Das heutige System sei stabil, zuverlässig und günstig. Die Frage einer Kompletterneuerung werde sich also erst am Ende seines Lebenszyklus stellen.

Bestehende gut funktionierende Systeme sind ein Grund, warum die Blockchain-Revolution eher eine Evolution ist. Ein anderer liegt in den regulatorischen Rahmenbedingungen. So teilte Wells Fargo nach ihrer erfolgreichen Blockchain-Baumwolltransaktion mit, es müssten noch signifikante regulatorische, rechtliche und weitere Fragen geklärt werden.

Das Zuger Bitcoin-Unternehmen Xapo hat da Erfahrung. Es hofft, bald von der Finanzmarktaufsicht (Finma) die Erlaubnis zu bekommen, sich einer Selbstregulierungsorganisation (SRO) anzuschliessen. Finma-Direktor Mark Branson bezeichnete Xapo jüngst an einem Vortrag in Zürich als «interessantes Modell». Es gibt bereits eine Handvoll Bitcoin-Unternehmen, die sich einer SRO angeschlossen haben. Die Finma legt dabei das bestehende Recht pragmatisch aus und will technologieneutral sein.

Auf der Suche nach neuen Standards

Doch die Verbreitung von Bitcoin und Blockchain hat auch eine Schwäche des bestehenden Rechts offengelegt. «Wir haben ein relativ altes vermögensrechtliches System», sagt Corinne Zellweger-Gutknecht, Dozentin für Geld- und Währungsrecht an der Universität Zürich. Daten gelten heute nicht als Sache und fallen daher unter keine bestehende Kategorie.

Das mache Bitcoin oder Assets, die rein auf der Blockchain existieren, zu «Vermögenswerten eigener Art». Geht zum Beispiel der Betreiber einer Blockchain in Konkurs, ist nicht eindeutig, wie die Inhaber der digitalen Assets geschützt sind. «Hier bietet sich die Chance, ein neues, kohärentes Vermögensrecht samt Insolvenz- und Kollisionsregeln zu erarbeiten, das auch digitale Daten erfasst», sagt Zellweger-Gutknecht. Im Finanzdepartement wird dazu bereits ein Bericht zuhanden des Bundesrats erstellt.

Standards für die Blockchain sind längst ein internationales Thema geworden. Bei der International Securities Services Association (ISSA), in deren Rahmen 120 Banken Industriestandards beschliessen und die zurzeit von Zeeb präsidiert wird, hat man eine Blockchain-Arbeitsgruppe eingerichtet.

ISSA: Die International Securities Services Association (ISSA) ist eine Vereinigung von rund 120 Finanzinstituten. Diese tauschen sich über Entwicklungen in der Wertpapierdienstleistung aus und erarbeiten gemeinsame Standards.

ISO: Die International Organization for Standardization (ISO) ist eine weltweite Vereinigung nationaler Normungsorganisationen. Sie erarbeitet internationale Standards in vielen Bereichen und nimmt nun auch die Blockchain unter die Lupe.

Auch innerhalb der International Organization for Standardization (ISO) will ein Komitee Regeln für die Kommunikation zwischen verschiedenen Blockchains festlegen. Kommendes Jahr könnte die Blockchain also nicht nur im Bunker bei Attinghausen eine wichtige Rolle spielen, sondern auch in der etablierten Finanzindustrie ihren Durchbruch erleben.

Bitcoin: Weltgrösste BlockchainBitcoin ist eine digitale Währung. Sie existiert nicht wie Franken, Euro oder Dollar in physischer Form, dennoch erfüllt Bitcoin alle Kriterien von Geld. Es wird vielerorts vor allem im Onlinehandel als Zahlungsmittel anerkannt. Personen halten Bitcoin aber auch als Wertanlage oder Spekulationsobjekt. Als erste staatliche Behörde akzeptiert die Einwohnerkontrolle des Kantons Zug seit 2016 Bitcoin.

Zum ersten Mal tauchte der Begriff 2008 im Diskussionspapier eines gewissen Satoshi Nakamoto auf. Rund ein halbes Jahr später wurde seine Idee bereits Realität, als das Bitcoin-Netzwerk in Betrieb ging.

Jede Bitcoin-Transaktion ist darin in einem Datenpaket, genannt Block, aufgezeichnet. Kommt ein neuer Block hinzu, wird er an die bestehende Kette von Blocks angefügt (daher: Blockchain). Die Blocks werden mit hochkomplizierten Berechnungen erzeugt. Dafür stellen Teilnehmer des Netzwerks Rechenleistung zur Verfügung. Als Gegenleistung entstehen nach Berechnung der Blocks neue Bitcoin. So findet eine dezentrale Geldschöpfung statt.

Dieser Mining genannte Prozess löst das sogenannte «Problem der byzantinischen Generäle». Die Teilnehmer im Netzwerk vertrauen prinzipiell der längsten Blockchain im Umlauf, da dahinter die grösste Rechenleistung, sprich die meisten Teilnehmer stehen. Ein Betrüger müsste mehr Rechenleistung aufwenden als die Mehrheit der «Miners» zusammen. So ist das Bitcoin-Netzwerk nicht auf eine zentrale Instanz angewiesen, die es verwaltet oder die digitale Währung erzeugt.

Die maximale Menge an Bitcoin ist durch das Netzwerkprotokoll auf 21 Mio. beschränkt. Sie ist damit, anders als viele Zentralbankwährungen, deflationär angelegt. So wurden bis November 2012 50 Bitcoin je neuen Block ausgezahlt, anschliessend bis Juli 2016 25 und seitdem 12,5.

Lange kam der Wert eines Bitcoin nicht über die Marke von 10 $ hinaus. Dann schoss er im Jahr 2013 zunächst über 200 $ und danach auf mehr als 1100 $. Der Konkurs der Bitcoin-Handelsplattform Mt. Gox im Jahr 2014 liess den Kurs abstürzen. In der Folge erholte er sich, ist aber nach wie vor sehr volatil. Zurzeit ist ein Bitcoin für rund 780 $ zu haben. Die Identität von Vordenker Satoshi Nakamoto ist übrigens bis heute unbekannt.

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