Jeremy Cunningham, Bondspezialist bei Capital Group, setzt auf Obligationen von Frontier Markets und findet auch in Kerneuropa noch Anlagechancen.
Herr Cunningham, die US-Notenbank zieht Geld aus den Finanzmärkten ab, und die Europäische Zentralbank hat ihre Anleihenkäufe reduziert. Was bedeutet das für die Zinsentwicklung an den Bondmärkten?
Im Fokus stehen derzeit die USA. Das Fed baut die Bilanz ab – betreibt also ein Quantitative Tightening – und erhöht gleichzeitig die Leitzinsen. Die Schlüsselfrage für Bondanleger ist, was dieser Rückzug für die Renditen amerikanischer Staatsanleihen bedeutet. Das wird umso wichtiger, weil die USA in Zukunft voraussichtlich ein grösseres Staatsdefizit ausweisen und deshalb mehr Staatsanleihen emittieren werden. Das heisst, die Nachfrage dürfte für weniger Unterstützung sorgen. Deshalb könnte man argumentieren, dass die Renditen deutlich anziehen werden und auf ein Niveau steigen, das sie seit Jahren nicht mehr erreicht haben. Wir teilen diese Ansicht allerdings nicht. Wir erwarten, dass die Zinsen weitere sechs bis achtzehn Monate niedrig bleiben.
Derzeit liegen die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen bei knapp 2,9%. Wird es also dabei bleiben?
Vergangene Woche sind sie kurzfristig über 3% geklettert, erstmals seit Dezember 2013. Wahrscheinlich dürften die Renditen sich um diese Marke bewegen. Wir werden aber nicht Sätze von 5 oder 6% sehen wie beispielsweise vor der Finanzkrise. Die Finanzmärkte haben für dieses Jahr bereits vier Zinserhöhungen des Fed eingepreist. Sie sind auf den Wechsel der Geldpolitik vorbereitet. Das eröffnet durchaus Anlagechancen, etwa am kurzen Ende der Zinskurve. So sind die Renditen zweijähriger US-Treasuries erstmals seit langem höher als die Dividendenrendite des S&P 500 (SP500 2629.73 -0.23%). Anleger können also den Bond kaufen, der vom amerikanischen Staat garantiert wird, oder in den Aktienindex investieren, der erheblich volatiler ist. Dabei handelt es sich nicht um eine strategische Positionierung. Aber wir versuchen, solche Konstellationen, die von Zeit zu Zeit auftreten, zu nutzen.
Sie halten einen starken Anstieg des Zinsniveaus kurzfristig eher für unwahrscheinlich. Sollen sich Anleger dennoch gegen steigende Zinsen schützen?
Viele Anleger haben sich über Derivate gegen steigende Zinsen abgesichert oder sind in Anleihen mit kurzer Laufzeit investiert. Das Zinsänderungs- oder Durationsrisiko ist aber nicht immer der Feind des Investors. So sind das Durations- und das Kreditrisiko typischerweise negativ korreliert. Wenn also das Durationsrisiko reduziert wird, bleibt das Kreditrisiko übrig. Das Resultat ist eine erheblich höhere Volatilität im Portfolio. Da wir im laufenden Jahr eine Zunahme der Volatilität erwarten, empfehlen wir also nicht, das Durationsrisiko zu eliminieren. Wir raten stattdessen, auf Qualität im Portfolio zu setzen und nicht der Rendite hinterherzurennen.
Die Renditen von Unternehmensanleihen sind seit Jahresbeginn gestiegen. Ist der Zeitpunkt gekommen, einzusteigen?
Unternehmensanleihen mit Anlagequalität werfen in den USA knapp 4% ab. Das ist nicht schlecht, wenn wir schauen, woher wir kommen. Im heutigen Marktumfeld ist das Niveau attraktiv. Zudem wächst die Weltwirtschaft synchron, ohne dass es Anzeichen einer Überhitzung gibt. Unter diesen Voraussetzungen dürfte das Interesse an riskanten Anlageklassen gross bleiben. Aber natürlich müssen Investoren die Bewertungen im Auge behalten. Die Risikoaufschläge sind nach wie vor gering, eine aggressive Allokation in risikoreiche Instrumente ist daher nicht ratsam. Wir empfehlen, eine kleine Position in Unternehmensanleihen zu investieren. Anleger sollten aber Reserven halten, um ihr Engagement aufzustocken, wenn die Risikoprämien im Zuge anziehender Zinsen steigen.
Steigen die Zinsen, nimmt die Zinslast verschuldeter Unternehmen zu. Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass Kreditausfälle zunehmen werden?
Im Moment beobachten wir noch keine Zunahme der Zahlungsausfälle. Investoren waren in den letzten Jahren rund um den Globus auf der Jagd nach Rendite. Das hat es Unternehmen ermöglicht, sich zu günstigen Konditionen zu finanzieren. Dazu haben sie nicht nur einen Bond begeben, sondern sie haben das Geld gestaffelt aufgenommen. Daher haben viele Gesellschaften ihren Finanzbedarf für die kommenden Jahre gesichert. Die Zinslast der Unternehmen bleibt derzeit vergleichsweise gering. Darüber hinaus ist die Konjunkturlage nach wie vor günstig. Dennoch bevorzugen wir Bonds von fundamental starken Schwellenländern gegenüber Hochzinsanleihen.
Was spricht für Emerging Market Bonds?
Das Anlageuniversum in diesem Segment hat sich enorm vergrössert. Vor etwas mehr als zehn Jahren gab es rund zwölf Schwellenländer, in die Anleger investieren konnten. Dabei handelte es sich mehrheitlich um lateinamerikanische Staaten. Heute umfasst das Universum über siebzig Emerging Markets. Immer häufiger werden Anleihen mittlerweile in Lokalwährungen emittiert. Das beobachten wir etwa in China und Indien, deren Volkswirtschaften stark wachsen. Der Anteil der internationalen Investoren nimmt in diesen Märkten zu. Gute Konjunkturaussichten und relativ hohe Renditen locken Investoren an. Auch wir bevorzugen Bonds in Lokalwährungsanleihen gegenüber Dollarbonds.
Sie haben China erwähnt. In welchen Segmenten werden Anleger fündig?
In unseren Portfolios halten wir Anleihen von chinesischen Staatsunternehmen. So gibt es etwa unter Versorgern interessante Anlagechancen. In Bezug auf die Staatsanleihen sind wir derzeit defensiv positioniert. Wir sind zudem der Meinung, dass die Währung leicht überbewertet ist. Im Moment sind die Opportunitäten also überschaubar. Doch die weitere Entwicklung wird interessant zu beobachten sein: Die Kreditpapiere von China wurden kürzlich in einen der weltweit wichtigsten Bondindizes aufgenommen. Sobald die Anleihen Teil der globalen Indizes sind, werden Investoren angehalten, die Papiere zu kaufen. Dazu trägt auch die hohe Nachfrage nach passiven Anlagestrategien bei.
China erlebt einen massiven Kreditboom. Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass die Schuldenblase platzen könnte?
Die Wirtschaft wird sich weiterhin gut entwickeln. Wir erwarten, dass das Wachstum in den kommenden sechs bis zwölf Monaten zwischen 5 und 6% zu liegen kommt. Es gibt aber ein paar Schlüsselrisiken. Eines sind die Schattenbanken, die die Kreditblase anheizen. Im Bankensektor steigt zudem der Anteil der schlechten Kredite. Diese Risiken beunruhigen uns, doch sie wirken sich noch nicht auf unsere Einschätzung zum Konjunkturverlauf aus. Neben Schwellenländern setzen wir aber auch auf Anleihen aus Frontier Markets, das sind Märkte, die noch nicht die Reife von Schwellenländern erreicht haben.
Können Sie Beispiele von Frontier Markets nennen, in die Sie investieren?
Wir erachten Sambia als interessant. Die Wirtschaft wird stark vom Kupferpreis getrieben, die Inflation ist unter Kontrolle, und politische Reformen werden vorangetrieben. In Nigeria ist die Ausgangslage ähnlich, wobei die Konjunktur eher vom Ölpreis abhängt. Auch Ägypten bietet Chancen, nachdem sich die Währung stark abgewertet hat und ebenfalls Reformen angepackt werden. In diesem Fall investieren wir in sehr kurze Laufzeiten, also in ägyptische T-Bills, und bewegen uns auf der Zinskurve nach oben, sobald das Wachstum an Schwung gewinnt.
Welche Möglichkeiten haben Obligationenanleger, die in traditionelle Anlageklassen investieren wollen?
Die Märkte in Osteuropa haben sich ausgezeichnet entwickelt. In unseren Portfolios halten wir etwa Staatsanleihen von Polen oder Rumänien. In Kerneuropa finden wir Italien, Spanien und Portugal nach wie vor interessant. Ähnlich wie Schwellenländer profitieren diese Staaten von der guten Konjunkturentwicklung in Europa. Wir sehen grosse Fortschritte etwa bei der Sanierung der Staatsfinanzen. In Italien sorgen die Wahlen für Volatilität, doch wir sind zuversichtlich für die langfristige Perspektive. Bei europäischen Unternehmensanleihen investieren wir in nachrangige Anleihen von Grossbanken.
Die anhaltend niedrige Teuerung bereitet den Finanzmärkten Kopfzerbrechen. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?
Wir schliessen uns dem Marktkonsens an und erwarten, dass die Inflation stetig steigen wird. In diesem Umfeld bieten inflationsgebundene Bonds Schutz, nicht nur in den Industrienationen, aber auch in Schwellenländern. Wir beobachten bereits ein Wachstum der Löhne, und zwar in Europa und in den USA. Auch in Emerging Markets nimmt der Aufwärtsdruck auf die Inflationsrate zu, und das ist an den Finanzmärkten noch nicht voll eingepreist. Wir sind darüber nicht beunruhigt, denn viele Staaten, zum Beispiel Russland und Indien, sind bestrebt, die Teuerung unter Kontrolle zu halten.
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