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11:04 Uhr - 16.01.2018

«Hohe Vermögenspreise bereiten Sorgen»

Bruce Kasman, globaler Chefökonom von J.P. Morgan, sieht die Weltwirtschaft kräftig wachsen. Europa sei nun ein wichtigerer Wachstumstreiber als die USA.

Herr Kasman, wie schätzen Sie die Politik der Regierung unter Donald Trump ein?
Die Finanzmärkte waren gegenüber der US-Regierung positiv gestimmt, denn sie unterschieden zwischen dem Risiko einer aus der populistisch-nationalistischen Rhetorik resultierenden nachteiligen Politik und den Initiativen zur Steuersenkung und zur Deregulierung. Bis jetzt haben sich die meisten populistischen Initiativen – etwa die Änderungen in der Einwanderungspolitik – nicht negativ auf die Wirtschaft ausgewirkt. Doch für die nächsten Wochen sind neue Initiativen im Bereich der Handelspolitik zu erwarten. Sie könnten die positive Sicht der Anleger in Frage stellen.

An welche Massnahmen denken Sie?
Besonders wichtig ist Nafta, das nordamerikanische Freihandelsabkommen. Die Absicht, an Nafta heranzugehen, folgt einem populistisch-nationalistischen Gedanken. Wird Nafta auseinandergenommen, wird sich zeigen, dass populistische Rhetorik in Politik übersetzt werden kann, die der Gesamtwirtschaft schadet. Der Effekt wäre grösser als die spezifischen Massnahmen, die ergriffen werden.

Warum wäre der Effekt so gross?
Die Ankündigung, Nafta zu verlassen, würde zu einer ähnlichen Situation führen wie nach dem Brexit-Referendum. Die Entscheidung umzusetzen, würde eine lange Zeit benötigen. Eine Scheidungsvereinbarung müsste abgeschlossen und die Handelsbeziehungen müssten neu verhandelt werden. Ein weiteres Risiko im Bereich der Handelspolitik sind allfällige protektionistische Instrumente gegenüber China. Sie könnten zu Vergeltungsmassnahmen führen.

Was resultiert vom neuen US-Steuergesetz?
Es hat zwar Auswirkungen, aber sie sind wohl nicht so gross, dass sie verändern, wie Unternehmen ihr Kapital über die Welt verteilen. Doch das Gesetz wird Unternehmensgewinne und das Wirtschaftswachstum für dieses und nächstes Jahr stützen. Wir sehen einen Effekt von einem halben Prozentpunkt für das Wirtschaftswachstum, hauptsächlich dank höherer Ausgaben der Unternehmen.

Was ist der Nettoeffekt der Trump-Politik – populistische Massnahmen auf der einen, Steuersenkungen und Deregulierung auf der anderen Seite?
Wir haben unseren Ausblick für die US-Wirtschaft hinaufgestuft. Die Steuersenkungen sind zwar nicht grösser als erwartet, haben jedoch in den ersten zwei Jahren einen grösseren Effekt. Aber die wichtigere Entwicklung hängt nicht mit der US-Politik zusammen. Unsere wesentliche Einsicht ist, dass wir endlich die Widerstände überwinden, die uns seit der Finanzkrise zurückgehalten haben. Das Verhalten der Wirtschaftsakteure normalisiert sich, nachdem es von etwas zurückgehalten wurde, was ich als posttraumatisches Stresssyndrom bezeichne.

Was sind Zeichen dieser Normalisierung?
Beispiele sind die Erholung der Kreditvergabe in Europa und in einem Teil der Schwellenländer wie auch höhere Unternehmensinvestitionen in den USA. Und sowie die Widerstände schwinden, sehen wir einen synchronen globalen Aufschwung mit kräftigen Feedback-Schlaufen zwischen Wachstum, Stimmung und Finanzierungskonditionen. Diese globale Rückkopplung ist wichtiger als Veränderungen in der US-Politik. Das gilt besonders, da Europa nun ein stärkerer globaler Wachstumstreiber ist als die USA.

Wie lange hält der Wachstumszyklus noch?
Solche Zyklen enden nicht einfach von selbst. Am häufigsten enden sie durch einen Zinsanstieg, der in schwierigeren Finanzierungskonditionen resultiert. Da die Zinsen noch tief sind und es wenig Angst vor höherer Inflation gibt, sind die Märkte überzeugt, dass die Finanzierungsbedingungen positiv bleiben. Aber dieses Jahr könnte die Überzeugung weiterhin niedriger Zinsen und tiefer Inflation hinterfragt werden. Ich erwarte eine langsame Bewegung in Richtung höherer Zinsen und strafferer Finanzierungsbedingungen.

Droht die Gefahr, dass die US-Notenbank die Zinsen zu schnell erhöht?
Das Fed muss einen Balanceakt vollführen. Die US-Geldpolitik wurde letztes Jahr vier Mal gestrafft, zählt man den Beginn der Bilanzreduktion im September hinzu. Wir erwarten vier weitere Schritte dieses Jahr. Die Geschwindigkeit erscheint angemessen, da so die Zinsen in Bezug auf Inflation und Wachstum erst auf ein neutrales Niveau angehoben werden. Ich erwarte auch, dass sich der Ton bei der Europäischen Zentralbank verändern und man über eine straffere Geldpolitik reden wird.

Wird sich die veränderte Fed-Leitung auf die Geldpolitik auswirken?
Wir wissen zwar noch nicht, wer die drei offenen Sitze im Fed-Board ausfüllen wird. Aber die US-Regierung scheint nicht darauf aus, das Fed ideologisch zu verändern. Zumindest bei der Geldpolitik scheint es Kontinuität zu geben. Aber es gibt Entwicklungen in Bezug auf eine laxere Finanzregulierung. Unter dem Fed-Vorsitzenden Jerome Powell wird es eine Evolution geben, aber vorerst werden wir keine grossen Veränderungen sehen. Es braucht Zeit, bis Powell und die neuen Board-Mitglieder eine Übereinstimmung über das weitere Vorgehen finden.

Könnten die Aktienkurse trotz Wachstumsaufschwung durch höhere Zinsen in Gefahr geraten?
Die Geldpolitik wird die Aktienmärkte weiter stützen. Aber da die Bewertungen hoch sind, muss man als Anleger darauf vertrauen, dass die Unternehmen ihre nun steigenden Investitionen richtig einsetzen, um höhere Renditen zu erzielen. Und das ist schwierig, wenn die Arbeitskräfte knapp werden. Tendenziell baut sich bei niedriger Arbeitslosigkeit Kostendruck auf, und das Produktivitätswachstum verlangsamt sich. Andererseits haben wir einen schönen Aufschwung bei den Investitionsausgaben. Wie sich diese zwei Kräfte entwickeln werden, ist entscheidend für die Aktienmärkte.

Bis 2016 wurde das Weltwachstum durch die Unsicherheit um China zurückgehalten. Weshalb ist es darum so still geworden?
Die Entscheider in China haben bewiesen, dass sie das Wirtschaftswachstum stabil halten wollen. Aber in einer Welt, in der sich das Wachstum beschleunigt, sehen wir das nicht für China. Das Land hemmt also den globalen Aufschwung. Der Ausblick für China ist nicht nur nach unten, sondern auch nach oben begrenzt. Die Politik hat entschieden, die nötigen Anpassungen der Wirtschaft nicht abrupt durchzuführen. Das Abwickeln der problematischen Kredite wird sich über eine lange Zeit erstrecken. Die Vorsicht bei den Anpassungen führt aber zu einer Verlangsamung der notwendigen Reformen.

Wie sehen Chinas Reformen aus?
Das Land hat deutliche Probleme bei der Öffnung des Kapitalverkehrs, der Verkleinerung der staatseigenen Betriebe und dem Aufbau eines Bankensystems, das Kapital effizient verteilt. Die Verzögerung der Reformen belastet das Wachstum. Mit den richtigen Reformen könnte China hohes Wachstum auf lange Sicht erreichen.

Im Jahr 2013 erschütterte die Aussicht auf eine straffere US-Geldpolitik die Schwellenländer. Gibt es diese Gefahr auch jetzt?
Damals ist das Kapital nicht wegen der Geldpolitik zurück in die USA geflossen, sondern weil Auswüchse in den Schwellenländern abgewickelt wurden. Diese Auswüchse hatten sich in wichtigen Ländern wie Brasilien, Indonesien und Südafrika aufgebaut. Die Schwäche wurde verstärkt, da so Probleme im Rohstoffbereich zutage kamen. Die Erwartung, dass sich die US-Geldpolitik strafft, war nur der Auslöser, nicht der Grund. Die gute Nachricht ist: Insgesamt haben die Schwellenländer die Probleme überwunden, und sie sind heute weniger anfällig für Auswirkungen der US-Geldpolitik. Gleichzeitig sind die Schwellenmärkte aber weniger stark als noch vor fünfzehn Jahren, als sie ein weitaus höheres Wachstum als die Industrieländer erreichten.

Auf Sicht von fünf Jahren: Bilden sich gegenwärtig Ungleichgewichte, die zur nächsten Krise führen könnten?
Dazu muss man nicht fünf Jahre vorausschauen. Die Ungleichgewichte könnten sich in den nächsten zwei oder drei Jahren auswirken. Die Verschuldung der US-Unternehmen ist ein Thema. Auch bereiten die Preise von Vermögenswerten Sorge, die wegen der niedrigen Zinsen hoch sind. Hohe Bewertungen selbst führen zwar nicht zu grossen Schwierigkeiten, sie könnten aber Probleme zutage fördern.

Würde der Geldpolitik bei einer neuerlichen Krise die nötige Munition fehlen?
Das gilt nicht nur für die Geld-, sondern auch für die Fiskalpolitik. Die US-Notenbank könnte bei den Zinsen in solch einem Fall zurück auf die Untergrenze um null fallen. Normalerweise hat das Fed die Zinsen um 300 Basispunkte gesenkt, um einer Rezession zu begegnen. Gleichzeitig scheint das Haushaltsdefizit in den USA arg strapaziert. Es wird sich auf 5% des Bruttoinlandprodukts ausweiten. Solch ein hohes Haushaltsdefizit, während sich die Wirtschaft nahe der Vollbeschäftigung befindet, ist beispiellos.

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