Das FuW-Verwaltungsrats-Ranking 2022 hat 171 Schweizer Gremien analysiert und präsentiert die Gewinner und Verlierer des Jahres.
Kaum haben sich die Unternehmen von der Pandemie erholt, sehen sie sich mit steigender Inflation und gestressten Lieferketten konfrontiert. Von einer Rückkehr zu einer vorpandemischen Normalität kann nicht die Rede sein. Und die Situation hat sich Anfang 2022 weiter verschärft, mit dem Beginn des Ukrainekriegs und dem Paradigmenwechsel in der Geldpolitik.
Schon im vergangenen Geschäftsjahr 2021 mussten sich die Unternehmen in einem anspruchsvollen Marktumfeld bewegen. Für dieses hat «Finanz und Wirtschaft» in Zusammenarbeit mit dem auf Corporate-Governance-Fragen spezialisierten Beratungsunternehmen Inrate zum zehnten Mal in Folge die besten Verwaltungsräte (VR) der Schweiz bestimmt.
Wieder hat es kein Unternehmen geschafft, Swisscom den Spitzenplatz streitig zu machen. Der Verwaltungsrat des Telecom-Konzerns schwingt im Ranking 2022 ein weiteres Mal in Folge obenaus. Auf dem Podest finden sich mit Lonza und Georg Fischer auf dem zweiten und dritten Platz wieder zwei Unternehmen, die sich in den letzten Jahren regelmässig mit hervorragenden Rangierungen hervorgetan haben. Abgesehen vom Spitzentrio gab es wie im Vorjahr aber viel Bewegung im Ranking. Das ist einerseits den Veränderungen bei der Zusammensetzung der entsprechenden Gremien geschuldet. Andererseits der Erweiterung des Kriterienkatalogs um zwei weitere Qualitätskriterien (vgl.Methodologie).
Bemerkenswert ist die Verbesserung von Zur Rose. Das Aufsichtsgremium der Versandapotheke hat ganze 113 Plätze gutgemacht und sich auf den 11. Rang nach vorne katapultiert. Das hat einerseits mit den Rücktritten von Thomas Schneider und Volker Amelung zu tun, dank derer das Gremium nun weitgehend unabhängig ist. Zudem hat sich der Frauenanteil erhöht. Als Mitglied des SMIM werden für Zur Rose zudem höhere Vergütungen als zulässig taxiert. Das zeigt, dass einfache Personalwechsel grosse Auswirkungen auf die Beurteilung haben können.
Ebenfalls deutlich verbessern konnten sich die Verwaltungsräte von Dufry (um 68 Plätze), Allreal (47) und Forbo (41). Das SMI-Unternehmen Logitech machte 34 Plätze gut und konnte sich damit in den Top Ten platzieren. Auch wenn dem Ranking eine robuste Methodologie zugrunde liegt, «die Governance-Leistung aus dem Ranking allein abzuleiten, greift zu kurz», sagt Christophe Volonté, Leiter Corporate Governance bei Inrate. «Unternehmen können auch mit guter Governance operative Probleme haben.» Einzelfälle oder Probleme lassen sich also auch mit einer guten Governance an der Spitze des Unternehmens nicht verhindern.
Starke Spitzengruppe, viele Verfolger
«Finanz und Wirtschaft» hat die Verwaltungsräte von 171 SPI-Gesellschaften unter die Lupe genommen. Die Unterschiede sind enorm.
Dennoch stellt Volonté fest: «Die Corporate Governance kotierter Unternehmen verbessert sich stetig. Die Rolle des Verwaltungsrates wird dabei immer komplexer». Heutzutage stehen nicht mehr nur die Kernthemen Strategie und Nachfolgeplanung im Zentrum der VR-Tätigkeit. Digitalisierung, Vergütung und das ausufernde Feld der Nachhaltigkeit erfordern breit gefächerte Kompetenzen im Gremium, um die entsprechenden Fragestellungen kompetent angehen zu können.
Die Diversität punkto Geschlecht, aber auch bezüglich Alter, bleibt weiter auf der Agenda. Einflussreiche Stimmrechtsberater, besonders aus dem angelsächsischen Raum, verweigern Verwaltungsräten neuerdings die Decharge, falls gewisse Diversitätsvorstellungen nicht erfüllt werden.
Das ist ein starkes Signal und geht selten spurlos an den entsprechenden Gremien vorbei. Doch Volonté warnt: «Verwaltungsräte müssen verhindern, dass Regulierung oder Anspruchsgruppen sie vor sich hertreiben.» Schliesslich liegt es in der Verantwortung des VR, die eigene strategische Agenda zu setzen und interne Prioritäten durchzuziehen. Besonders bei der Nachhaltigkeit (Economic, Social and Governance, ESG) sehen sich VR mit einer Vielzahl von Erwartungen von verschiedensten Anspruchsgruppen konfrontiert.
«Bei ESG rückt die finanzielle Wertschaffung schnell in den Hintergrund. Es ist jedoch wesentlich, dass das Unternehmen erfolgreich ist», sagt Volonté. Wobei die Verankerung der «langfristigen Wertgenerierung» im Unternehmenszweck den VR ein Stück weit aus der Schusslinie nimmt.
Verwaltungsräte müssen also aufpassen, dass sie die langfristige Wertschöpfung, insbesondere die finanzielle, nicht aus den Augen verlieren. «Dieser Aspekt wird noch anspruchsvoller zu erfüllen sein, sobald die Traktandierungshürde tiefer liegt», glaubt Volonté. Denn dadurch wird sich der VR mit einer Vielzahl zusätzlicher Bedürfnisse befassen müssen, darf sich aber gleichzeitig nicht zu stark von seinen Kernaufgaben ablenken lassen.
Die Methodik
So wurde bewertet: Die 171 kotierten Unternehmen, die im Verwaltungsrats-Ranking 2022 der «Finanz und Wirtschaft» untersucht wurden, konnten an-hand von 30 Kriterien maximal 42 Punkte erzielen. Bewertet wurden die Organisation und die Zusammensetzung des Verwaltungsrats (VR), die Unabhängigkeit der Mitglieder, die Beachtung der rechtlichen Vorschriften (Compliance), die Informationspolitik (Transparenz von Organisation und Arbeit) sowie die Entschädigungs- und Beteiligungsmodelle.
Der Kriterienkatalog orientiert sich inhaltlich an anerkannten Grundsätzen der korrekten Unternehmensführung, gesetzlichen Grundlagen (insbesondere am Aktienrecht) und Selbstregulierungsinstrumenten. Gegenüber dem letztjährigen Ranking wurden zwei neue Kriterien aufgenommen (2.7. und 5.5). Da es sich um geringfügige Anpassungen handelt, dürfte die Vergleichbarkeit und Entwicklung über die Jahre dennoch weiterhin gewährleistet sein.
Neu hinzugekommen sind die Verankerung der nachhaltigen Wertschaffung als Unternehmenszweck, sowie das Opting in der Nachhaltigkeitsberichterstattung der SIX. Beide geben je einen zusätzlichen Punkt. Die Kriterien und die Gewichtung nach Punkten entsprechen denen des von Inrate erstellten Ratings, das die Corporate Governance von Schweizer Publikumsgesellschaften auf der Basis der Geschäftsberichte 2021 und der Generalversammlungen 2022 untersucht. Ein Unternehmen erhielt die volle Punktzahl, wenn es fünf bis zwölf (SMI-Gesellschaften), fünf bis neun (SMI Mid) respektive fünf bis sieben (übrige Firmen) VR-Mitglieder hat (2 Punkte). Wenn die Mitglieder zusammen über genügend Kompetenzen verfügen (3), der Frauenanteil im VR 30% oder mehr beträgt (2), es nicht mehr als drei VR-Ausschüsse gibt (1), die Gremiumsgrösse auf maximal neun Personen limitiert ist (1), sechs oder mehr VR-Sitzungen pro Jahr stattfinden (1), die gesamte Sitzungsdauer mindestens sechs Tage betrug (1) und Angaben über Sitzungsdauer und individuelle Sitzungsteilnahme vorhanden waren (2).
Führte der VR eine Selbstevaluation durch, gab es 1 Punkt. Maximale Punkte gab es weiter, wenn die VR-Mitglieder höchstens zehn Drittmandate, davon höchstens fünf in anderen kotierten Unternehmen, haben (1). Wichtigstes Kriterium ist die Unabhängigkeit der Mitglieder. Die volle Punktzahl (4) gab es, wenn mehr als 75% der VR-Mitglieder unabhängig sind, der Präsident des Vergütungsausschusses nicht objektiv abhängig ist (1), der VR-Präsident nicht mehr als ein zusätzliches, wesentliches Drittmandat wahrnimmt (1) und die Positionen von VR-Präsident und CEO unterschiedlich besetzt sind (1). Waren der Code of Conduct (1) und das Organisationsreglement (1) auf der Website zu finden, resultierte ebenfalls die maximale Punktzahl. Wurde das GV-Protokoll mit den vollständigen Abstimmungsergebnissen zeitnah auf der Website veröffentlicht, gab es einen weiteren Punkt.
Bewertet wurde auch die Nachhaltigkeit des Unternehmens anhand von ESG-Kriterien. Wurde die Firma von Inrate als «nachhaltig» bewertet, gab es 1 Punkt. Kamen ESG-Kriterien im Vergütungssys-tem zur Anwendung, gab es 2 Punkte. Die höchste Punktzahl gab es zudem, wenn die Gesamtvergütung des VR-Präsidenten maximal 900 000 Fr. (SMI), höchstens 450 000 Fr. (SMI Mid) und nicht mehr als 150 000 Fr. (übrige) betrug (2), relative oder absolute Vergütungsobergrenzen beim Bonus bestehen, der maximal fünfmal die Fixvergütung betra-gen kann (1), es ein Aktienprogramm für den VR gibt (1), Austrittsregeln beim langfristigen Anreizplan vorhanden sind (1), Regeln zum Mindestaktienbesitz vorgesehen sind (1) und das Vergütungsmodell langfristig ausgerichtet ist (1). Bewertet wurden schliesslich die Gesamtvergütung von VR und Geschäftsleitung in Relation zum Betriebsgewinn (Ebitda, 1) sowie die Transparenz und die Verständlichkeit des Vergütungsmodells (je 2). Bei gleichem Punktestand gab die Unabhängigkeit des VR den Ausschlag, basierend auf dem prozentualen Anteil unabhängiger Mitglieder.
Die 171 in das Verwaltungsrats-Ranking 2022 einbezogenen Unternehmen werden alle im marktbreiten Swiss Performance Index (SPI) geführt (ausser Transocean). Sie entsprechen denjenigen Ge-sellschaften, für die Inrate ein Corporate-Governance-Rating erstellt und eine Stimmrechtsempfehlung abgibt. EM
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