Börsenneuling Siemens Energy und auch andere Siemens-Titel haben einen Lauf. Joe Kaesers Schnellboot-Strategie scheint zu fruchten.
Wer hätte das gedacht. Nur vier Monate nach Kotierung ist Siemens Energy schon ein Börsenstar. 21.21 € kosteten die Aktien am Ende des ersten Handelstags am 21. September 2020. Aktuell stehen die Papiere bei rund 33 €, ein Plus von 56%. Und das bei einer Aktie, die «Siemens» im Namen trägt. Der Begriff steht für Solidität, ist bislang aber nicht gerade der Stoff von Anlegerfantasien. Kann das der «grüne Hoffnungsträger» Siemens Energy korrigieren?
Das Ziel des abtretenden Siemens-CEO Joe Kaeser wäre es. Zumal die Abspaltung des grossen, wenig rentablen Energiegeschäfts das Kernstück seiner Vision 2020 ist: Aus dem schwerfälligen Siemens-Konzern will Kaeser einen Verband autonomer «Schnellboote» machen, die einzeln erfolgreicher und mehr wert sind als zusammen. Doch nicht nur Siemens Energy, auch die anderen Siemens-Aktien haben derzeit einen Lauf. Bis jetzt scheint Kaesers Wette also aufzugehen.
Mit Siemens Energy, Siemens Gamesa Renewable Energy, Siemens Healthineers und dem Mutterkonzern sind derzeit vier Siemens-Einheiten kotiert. Sie sind unterschiedlich mit dem Stammhaus verbunden. FuW beleuchtet den Siemens-Verbund und legt offen, welche Chancen sich Anlegern bieten.
Dass der Markt von Siemens Energy neuerdings so schwärmt, überrascht. Als Gasturbinenhersteller hängt der MDax-Konzern stark an fossilen Energieträgern. Dieser Markt schwächelt. Man will zwar aus dem renditeschwachen Kraftwerks- und Energietechnik-Geschäft aussteigen, doch für zwei Drittel des Umsatzes ist Siemens Energy darauf angewiesen.
Im eben rapportierten ersten Quartal konnte der Spin-off die Erwartungen erfüllen und erstmals in die Gewinnzone vorrücken, hauptsächlich dank Sparmassnahmen. Der Gewinn pro Aktie dürfte sich dieses Jahr deutlich erhöhen, das Jahresziel von 2 bis 12% Umsatzwachstum steht. Doch die Pipeline für Grossaufträge ist weniger gefüllt als auch schon, zudem belastet eine Milliardenklage von GE wegen Industriespionage.
Dass Siemens Energy das Etikett «grüne Aktie» trägt und damit vom Öko-Trend profitiert, hängt mit Siemens Gamesa zusammen, die zu 67% Siemens Energy gehört. Gamesa ist eine der weltgrössten Anbieterinnen von On- und Offshore-Windanlagen. Obwohl die in Madrid kotierte Gamesa hoch defizitär ist, hat Siemens Energy rund 70% ihres Börsenwerts von 24 Mrd. € ihrer Windkraft-Tochter zu verdanken. Entsprechend niedrig bewertet sind die restlichen Aktivitäten. Angesichts des Booms bei zyklischen Werten profitieren sowohl Siemens Energy wie Siemens Gamesa weiter, wobei die Aktien Letzterer zusätzlich von Gerüchten über einen möglichen Verkauf beflügelt wurden.
Der Kurs der Gamesa-Titel hat sich in den letzten sechs Monaten fast verdoppelt und so auch die Energy-Aktien angetrieben. Beide Titel sind volatil und entsprechend risikobehaftet. Und beide sind reif für eine Konsolidierung. Zurzeit entspricht die Bewertung der Siemens-Energy-Aktien mit Blick auf das Verhältnis von Unternehmenswert zu Ebitda dem Branchenschnitt (11). Die Gamesa-Aktien sind mit 24 teurer als jene von Konkurrenten wie Vestas (19) oder Nordex (15).
Nachhaltigeres Kurspotenzial versprechen derzeit die Titel von Siemens Healthineers, dem Medizinaltechnik-Geschäft. Healthineers ist seit 2018 am MDax kotiert und bringt einen Börsenwert von rund 47 Mrd. € auf die Waage; das bei geschätzten 15 Mrd. € Umsatz in 2021 und 5% jährlichem Wachstum. Die Ebita-Marge steht mit 17% im Vergleich zum Industriegeschäft auf hohem Niveau.
Der Milliardenkauf von Varian hat Anleger wegen des grossen Finanzierungsbedarfs verunsichert (vgl. Box). Doch die Investitionen der Spitäler, etwa in Radiologie-Geräte, haben sich nach dem Covid-Einbruch schnell erholt, besonders in den USA. Zudem winken Synergien aus der Akquisition. Eine Kurserholung im Laufe des Jahres scheint auch angesichts der relativ moderaten Bewertung (KGV 2021: 26) im Branchenvergleich (28) realistisch.
Ebenfalls mehr Beständigkeit versprechen die Aktien des Mutterhauses (Börsenwert 111 Mrd. €). Siemens hat angesichts der Konjunkturabhängigkeit des industriellen Geschäfts, das Gebäudetechnik, Industrieautomation und Mobilität umfasst, einen Lauf. Der Konzern überraschte jüngst mit einer positiven Gewinnwarnung für das erste Quartal. Der Betriebsgewinn im Industriegeschäft kam 30% höher als erwartet. Aus China ist die Nachfrage stark, die Jahresziele dürften am 3. Februar angehoben werden. Trotz des jüngsten Kurssprungs sind Siemens mit einem aktuellen KGV von 21 gegenüber Konkurrenten wie ABB (24) oder der Branche (29) mit einem Abschlag bewertet. Für Investoren ist das ein Kaufsignal.
Vier Unternehmen sind derzeit kotiert, die ihren Ursprung im Siemens-Konzern haben. Sie sind direkt oder indirekt über Besitzverhältnisse noch mit ihm verbunden. Zuletzt wurde im Frühjahr 2020 Siemens Energy abgespalten. Der Spin-off mit 28 Mrd. € Umsatz gehört noch zu 35% dem Mutterhaus. Das Unternehmen hat einen Börsenwert von 24 Mrd. € und dürfte in den Dax aufgenommen werden, sobald er im September auf vierzig Werte erweitert wird. Siemens Energy hält seit Gründung 67% an Siemens Gamesa, die 2017 aus der Fusion der spanischen Gamesa und Siemens’ Windenergiebereich entstanden ist. Der Hauptsitz liegt nahe Bilbao, umgesetzt wurden 2020 rund 9,5 Mrd. €. Im vierten Quartal resultierte ein positives Betriebsergebnis, was aussergewöhnlich ist.
Seit 2015 abgespalten und 2018 kotiert ist das Gesundheitsgeschäft, Siemens Healthineers. Es steht zu 72% im Besitz von Siemens. Im Herbst 2020 zahlte Healthineers rund 14 Mrd. € für den Krebstherapiespezialisten Varian, was eine Kapitalerhöhung nötig machte. Auch der Photonikspezialist Osram gehörte bis 2013 zu Siemens, steht aber seit 2020 im Besitz des österreichischen Chipherstellers AMS, der an der SIX kotiert ist. Ausgliederungen waren schon vor der Ära Kaeser üblich. So wurde das Halbleitergeschäft 1999 abgetrennt und agiert heute als Infineon erfolgreich.
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