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15:51 Uhr - 13.03.2020

«Eine V-förmige Erholung ist möglich»

Gemäss dem französischen Vermögensverwalter Carmignac wird die globale Erholung in diesem Jahr durch den Corona-Virusausbruch zwar verzögert, aber nicht zunichtegemacht.

Hinter dem französischen Vermögensverwalter Carmignac liegen zwei schwierige Jahre. Zwischen November 2018 und Dezember 2019 sind allein aus dem Flaggschifffonds Carmignac Patrimoine 5 Mrd. € abgeflossen. 2020 könnte den Wendepunkt markieren. Gründer Eduard Carmignac hat sich aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen und tritt nur noch als Mitglied des strategischen Anlagekomitees ins Rampenlicht. Dies hatte eine lang ersehnte Personalrochade auf allen Managementebenen zur Folge. Eine wichtige neue Rolle bei künftigen Investitionsentscheidungen soll der neue Chefvolkswirt Raphael Gallardo spielen. Im Gespräch mit FuW erklärt der quantitative Risikoanalyst seine Tätigkeit.

Herr Gallardo, wie muss man sich das Zusammenspiel zwischen Ihnen und den Fondsmanagern vorstellen?
Grundsätzlich verfolgen Analysten und Ökonomen sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Ich berechne makroökonomische Modelle, die einen Horizont von sechs Monaten haben. Dazu integriere ich in die ökonometrischen Modelle die wichtigsten fundamentalen Parameter, die sich aus den Entscheidungen der Zentralbanken, dem Ölpreis, dem Kreditzyklus in China und der Entwicklung des US-Dollars zusammensetzen.

Und wie lauten Ihre Erkenntnisse?
Ende 2019 signalisierten die Modelle eine Erholung der Weltwirtschaft Anfang 2020, gefolgt von einer leichten Abflachung im zweiten Quartal 2020. Diese Art von quantitativem Ansatz hilft uns dabei, einen disziplinierten Ansatz für den Wirtschaftszyklus beizubehalten. Hinzu kommen letztendlich natürlich subjektive Analysen der globalen Situation. Zudem verändern geopolitische Ereignisse oder Naturkatastrophen regelmässig die Situation – und zwingen uns, die Aussichten auf eine idiosynkratische Art und Weise völlig neu zu bewerten, wie es jetzt mit dem Ausbruch des Coronavirus geschieht.

Für 2020 sind Sie optimistisch, aber nicht zu euphorisch. Warum?
Für uns wird die globale Erholung durch den Virusausbruch zwar verzögert, aber nicht zunichtegemacht. Wir glauben immer noch an eine V-förmige Erholung, die im zweiten Quartal in China beginnt. Dennoch wird das im ersten Quartal verlorene BIP im Rest des Jahres nicht aufgeholt werden können, sodass das Gesamtwachstum für 2020 deutlich schwächer sein wird als das von der Regierung angestrebte Wachstum von rund 6%.

Könnten Sie etwas konkreter werden?
In der übrigen Welt wird das Nachbeben der chinesischen Wirtschaftssperre im ersten und im zweiten Quartal zu spüren sein, aber ab dem dritten Quartal sollten Exporte nach China auf den Pfad der Erholung vor dem Ausbruch zurückkehren. Wenn wir uns auf das von der OECD kalibrierte Szenario einer globalen Pandemie zubewegen, bedeutet dies, dass sich das globale Wachstum im Jahr 2020 gegenüber 2019 halbiert, also von 2,9 auf 1,4% sinkt. Der Joker ist die US-Wahl, die zu einer zögerlichen Investitionsentscheidung der Unternehmen und einer Verschärfung der finanziellen Bedingungen führen könnte.

Was befürchten Sie genau?
Sorgen bereiten die strukturellen Schäden für Chinas Wirtschaft, mit länger dauernden Unterbrechungen in der Lieferkette – etwa für Unternehmen, die Güter von ausländischen Lieferanten beziehen – und einer schwächeren Inlandnachfrage, sowohl was Unternehmensinvestitionen als auch die Ausgaben der Haushalte betrifft. Wie bereits erwähnt besteht auch das politische Risiko im Zusammenhang mit den Wahlen in den USA.

Was passiert, wenn China für längere Zeit schwächelt?
Die Folgen wären sehr weitreichend für den Rest der Schwellenländer, deren Rohstoffexporte von China abhängig sind, aber auch für einige grosse Industriemächte wie Deutschland, Schweden und Japan, die langlebige Güter wie Autos und Investitionsgüter wie Maschinen nach China exportieren. Das wäre ein dauerhafter deflationärer Schock für die Welt, der in den Bereichen, in denen die Zentralbanken die Leitzinsen bereits auf null oder negativ festgelegt haben, schwer zu bekämpfen wäre.

Was bedeutet das für die übrigen Schwellenländer und den US-Dollar?
Der Dollar würde eine sehr starke Aufwertung erleiden, was der Realwirtschaft grosse Schwierigkeiten bereiten und auch eine weitere Abschwächung der Inflationserwartungen bewirken würde – was wiederum das Fed zwingen würde, die Zinsen ebenfalls nahe null zu senken. Von den Schwellenländern wären solche mit hohem Leistungsbilanzdefizit anfällig für einen plötzlichen Stopp des Kapitalzuflusses.

Wie schätzen Sie das Potenzial des Euros ein?
Sein fairer Wert liegt nach unseren Modellen bei etwa 1.14. Vor allem weil das Gebiet einen grossen Überschuss in der laufenden Rechnung und einen langfristigen Kapitalzufluss aufweist. Aber im Moment scheint es, dass der Euro gegenüber dem Dollar schwach sein muss, weil er gegenüber den Währungen der Schwellenländer sehr stark ist. Im Gegensatz dazu dürften sich einige andere Währungen mit Leistungsbilanzüberschüssen wie der Franken und insbesondere der Yen viel stärker aufwerten. Ich sehe vor allem beim Yen viel Aufwärtspotenzial. Aber bei allen drei Währungen verhindern einige kurzfristige oder vorübergehende Kapitalströme eine Aufwertung des Wechselkurses gegenüber dem US-Dollar. Etwa von Pensionsfonds in Japan, Interventionen der Schweizer Zentralbank und der europäischen Banken, die im Falle des Euros ausländische Vermögenswerte anhäufen. Diese Ströme dürften in den kommenden Quartalen zu einem Ende kommen.

Rechnen Sie in absehbarer Zeit mit einer Rezession, etwa in den USA?
Im Basisszenario gehe ich nicht von einer Rezession in den nächsten zwölf Monaten in den USA aus, obwohl dort die Wirtschaft ab dem zweiten Quartal unter ihren Möglichkeiten wachsen dürfte, aufgrund des spätzyklischen Status und des Virenschocks. Ein Regime eines wachsenden Subtrends könnte US-Unternehmensanleihen im BBB-Bereich unter Druck setzen, die teilweise ohnehin schon zu hoch eingestuft sind. Die Ratingagenturen könnten also einige BBB-Anleihen auf Non Investment Grade herabstufen. Wenn diese sogenannten Fallen Angels den Markt für spekulative Anleihen überfluten, entsteht ein grosses Risiko, da der Markt keine Kapazitäten hat, sie leicht zu absorbieren. Vergleichbar wäre das mit der Panik 2005, als grosse Autohersteller wie Ford (F 10.01 1.62%) und GM herabgestuft wurden. Der jüngste Einbruch des Ölpreises und der Virenschock könnten der Katalysator für einige Herabstufungen in bestimmten Sektoren, wie Energie und Fluggesellschaften, sein. Doch wenn die Ratingagenturen auf Downgrade-Modus umschalten, sollten die Anleger wachsam sein.

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