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14:18 Uhr - 17.08.2015

«Wallstreet hat es krass übertrieben»

Brian Reynolds, Chefstratege von New Albion Partners, sieht im Kollaps der Rohstoffpreise bedenkliche Parallelen zur Krise im US-Häusermarkt.

Der Crash im Rohstoffsektor sorgt an den Börsen für wachsende Nervosität. Der Ölpreis ist diese Woche auf den tiefsten Stand seit sechs Jahren gefallen. Erneut unter Druck sind in den vergangenen Tagen auch Gold (Gold 1121.21 0.62%) und Industriemetalle wie Kupfer geraten.

Für Brian Reynolds ist klar, wer für die schweren Verwerfungen verantwortlich ist: «Wallstreet hat wie immer eine zentrale Rolle gespielt», sagt der erfahrene Spezialist für Kredit- und Geldmärkte.

Mit komplizierten Finanzinstrumenten hätten Investmentbanken den Rohstoffboom zunächst kräftig angeheizt, weshalb die Korrektur jetzt umso heftiger ausfalle. Das gleiche Spiel habe bereits zur Blase in der Internetbranche und im US-Immobiliensektor geführt, hält Reynolds fest. Anzeichen für die nächsten Exzesse sieht er im Markt für Geschäftsliegenschaften.

Herr Reynolds, ob Gold, Öl oder sogar Agrargüter wie Getreide: Überall brechen die Preise ein. Was ist der Grund dafür?Zur PersonNur wenige kennen das innere Räderwerk von Wallstreets Geldmaschine so gut wie Brian Reynolds. Der Chef-Marktstratege des Brokerhauses New Albion Partners hat dreissig Jahre Erfahrung in den oft undurchsichtigen Geld- und Kreditmärkten.

Seine Investmentkommentare zählen für viele Finanzprofis zur Pflichtlektüre. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie Entwicklungen im Kreditsektor in Zusammenhang mit dem Geschehen an den Börsen bringen. Zudem nimmt er oft Bezug auf charttechnische Aspekte. Bereits seit mehr als vier Jahren hat er dabei den Boom an den Rohstoffmärkten thematisiert.

Vor seiner Tätigkeit bei New Albion arbeitete Reynolds in derselben Funktion für den Broker Rosenblatt Securities. Seine Karriere begann er 1984 in der Investmentfirma Babson Capital Management, wo er als Portfoliomanager arbeitete.

Die Blase am Rohstoffmarkt ist geplatzt. Begonnen hat der Crash bereits vor zwei Jahren, als der Preis für eine Unze Gold erstmals unter 1530 $ fiel. Im letzten Herbst hat er sich dann intensiviert, als der Ölpreis unter 75 $ tauchte.

Beides waren technisch wichtige Widerstandsgrenzen. Nachdem sie durchbrochen worden waren, mussten Kontrakte mit strukturierten Finanzierungen massenweise aufgelöst werden, weshalb es zu solchen wasserfallartigen Preisstürzen kam.

Warum bildete sich überhaupt eine Blase?
Der Haupttreiber hinter allen grossen Blasen der letzten Jahrzehnte ist die Auflage der öffentlichen Pensionskassen in den USA, übermässige Renditen zu erzielen. Ihre verwalteten Gelder sind in den letzten dreissig Jahren von 2 auf 18 Bio. $ gestiegen. Sie sind damit der grösste Akteur an den Finanzmärkten, sogar noch grösser als das Federal Reserve.

Was haben die Pensionskassen denn mit diesen Spekulationsblasen zu tun?
Wallstreet orientiert sich immer an den Bedürfnissen der grössten Kunden. In den Neunzigerjahren mussten die Pensionskassen eine jährliche Rendite von 10% erzielen. Das stellte sie schon damals vor enorme Herausforderungen.

Selbst der Wachstumsschub durch die Internetrevolution reichte dafür nicht aus. Wallstreet konstruierte deshalb aus den Bilanzen von Konzernen wie WorldCom und Enron irrsinnige Deals, die als vermeintlich sichere Investments daherkamen und letztlich in den Geldmärkten landeten.

Was waren das für Deals?
WorldCom zum Beispiel «verkaufte» seine Fiberglasleitungen an sogenannte Special Purpose Vehicles.

Die Investmentbanken veräusserten diese Zweckgesellschaften dann weiter in den Geldmärkten. WorldCom musste die Glasfaserleitungen damit nicht mehr auf der Bilanz führen und konnte eine höhere Rendite auf dem Gesamtkapital ausweisen, als das tatsächlich der Fall war. Gleichzeitig wurden dadurch all die neu gebauten Fiberleitungen vor der Öffentlichkeit versteckt und eine Angebotsknappheit suggeriert.

Weshalb endete das in einer der grössten Unternehmenspleiten?
Bei strukturierten Finanzierungen gibt es immer eine Ausstiegsklausel. Die Kontrakte erscheinen damit sicherer, als sie in Wirklichkeit sind, doch insgesamt nimmt das Systemrisiko zu.

Was löste die Klausel aus?
Bei WorldCom war das die Herabstufung der Kreditwürdigkeit. Der Konzern musste darauf die an die Zweckgesellschaften veräusserten Fiberleitungen zurück auf die Bilanz nehmen, konnte sie nicht mehr finanzieren und ging pleite. Plötzlich sahen die Analysten all die zusätzlichen Fiberkapazitäten und stellten schockiert fest, dass anstatt Knappheit ein massives Überangebot herrschte.

Der Markt war darauf für die nächsten fünfzehn Jahre tot. Das gleiche Szenario spielte sich beim Konkurs des Energiehändlers Enron ab, der seine Pipelines über strukturierte Finanzierungen ausgelagert hatte. Als nächstes folgte das Desaster am US-Häusermarkt, wo Banken wie Citigroup (C 57.59 0.45%) ihre Engagements im Subprime-Segment ebenfalls in solchen Spezialgesellschaften versteckten.

Anders als beim Platzen der Immobilienblase hat der Crash im Rohstoffsektor die Finanzmärkte bislang aber nicht in Panik versetzt. Woran liegt das?
Im Gegensatz zu den Krisen um WorldCom, Enron und US-Hypotheken waren Geldmarktfonds dieses Mal nicht involviert.

Nach der Finanzkrise kam es in den Vereinigten Staaten zu einer echten Reform in diesem Bereich. Manager von Geldmarktfonds mussten besser auf die Qualität ihrer Investments achten und konnten nicht mehr in Zweckgesellschaften investieren. Deshalb konzentrierte sich Wallstreet fortan auf direkte Deals.

Wie funktionierten diese Deals?
Wegen der ultralockeren Geldpolitik der US-Notenbank hatten viele Pensionskassen Angst vor Inflation. Schutz davor sahen sie in Rohstoffen. Das Volumen ihrer Mittel übersteigt den Rohstoffmarkt jedoch weit. Auch gibt es an Rohwarenbörsen wie in Chicago Positionslimiten.

Wallstreet löste dieses Problem, in dem gigantische Rohstoff-Divisionen aufgebaut wurden. Die Investmentbanken mieteten Öltanker, die sie vor den Küsten parkten, und deponierten Metalle in Lagerhäusern, um Knappheit vorzuspiegeln. Dann verpackten sie die Rohstoffe in ausserbörslich gehandelte, kreditunterlegte Derivate, die sie mit dem Versprechen auf überdurchschnittliche Renditen an Pensionskassen und Hedge Funds verkauften.

Weshalb ging das schief?
Bei Rohstoffderivaten tritt die Ausstiegsklausel dann in Kraft, wenn der Preis des Basiswerts eine bestimmte Untergrenze übertritt. Das Problem dabei ist, dass die meisten Akteure im Markt für strukturierte Finanzierungen ähnlich denken und diese Schwellen oft am gleichen Ort ansetzen.

Bei Gold war das wie gesagt 1530 $ und bei Öl 75 $. Als diese Grenzen durchbrochen wurden, sassen die Investmentbanken unerwartet auf grossen Positionen und stiessen sie in einem ohnehin schwachen Markt ab, was den Zerfall der Preise beschleunigte.

Was hat das nun für Konsequenzen?
Die Banken haben nur einen kleinen, einmaligen Verlust erlitten für die kurze Phase, in denen sie die Rohstoffe selbst besassen. Die echten Leidtragenden sind die Pensionskassen, die Fonds, in die sie investiert haben, sowie rohstoffproduzierende Konzerne und Länder.

Wie geht es nun weiter?
Viele Rohstoffkontrakte mussten geändert werden. Bei Gold ist die neue Untergrenze 1138 $ und wurde kürzlich durchbrochen. Bei Öl beläuft sie sich auf 44 $ und ist diese Woche ebenfalls gefallen. Möglich ist, dass sich der Ölpreis noch ein paarmal temporär aufbäumt. Zu einer echten Erholung wird es aber nicht kommen.

Weshalb?
Die Mehrheit der Analysten glaubt noch immer, dass sich Öl nächstes Jahr auf rund 65 $ erholt. Was wir gegenwärtig erleben, ist jedoch das Platzen einer Blase. Genau wie bei den vorangegangenen Exzessen hat es Wallstreet erneut krass übertrieben. Den Pensionskassen ist die Lust auf Investitionen im Rohstoffsektor vergangen. Die Nachfrage kommt nicht mehr zurück.

Was hat das für Folgen für die Aktienmärkte?
Das Umfeld an der Börse fühlt sich ähnlich an wie bei den letzten Turbulenzen im Dezember und Januar. Damals hat der S&P 500 jeweils rund 100 Punkte oder 5% eingebüsst. Zu einer grösseren Korrektur kam es aber nicht. Ich halte das auch dieses Mal für unwahrscheinlich.

Warum?
Erstens sind die Geldmärkte vom Crash an den Rohstoffmärkten kaum betroffen. Zweitens sitzen die Pensionskassen seit dem Konkurs von Detroit sogar noch auf mehr Mitteln, die sie investieren müssen. Das reduziert das Risiko einer Kreditkrise.

Was hat Detroit damit zu tun?
Die Pensionskassengelder aus dem öffentlichen Sektor sind durch die Verfassung des jeweiligen Bundesstaats garantiert. Das hat die Kassen bislang bei Konkursen geschützt. Im Fall von Detroit haben die Gerichte jedoch entschieden, dass nationales Gesetz über dem des Bundesstaats Michigan steht.

Dadurch hat der Konkurs von Detroit den Pensionskassen dort einen harten Schlag versetzt. Überall in den USA schlugen die Gewerkschaften darauf Alarm und forderten von den Politikern mehr Geld, um die Finanzierungslücken ihrer Pensionskassen zu schliessen. Von Kalifornien und Texas über Colorado bis nach Kansas und Connecticut hat ein Bundesstaat nach dem anderen den Kassen mehr Geld zugesprochen oder ist im Begriff dazu.

Was machen sie mit diesem Geld?
US-Pensionskassen müssen heute eine jährliche Rendite von 7,5% erwirtschaften. Im aktuellen Tiefzinsumfeld stehen sie daher enorm unter Druck. Auf die Risiken von Aktien wollen sie sich jedoch nicht einlassen, weshalb sie aggressiv an den Kreditmärkten investieren.

Bläht sich dort also die nächste Blase auf?
Das bezweifle ich. Eine Blase entsteht dann, wenn die Leute glauben, dass die Preise immer weiter steigen. Das Beste, worauf Investoren hingegen im Kreditmarkt hoffen können, ist, ihr Geld mit Zinsen zurückzuerhalten.

Das heisst aber nicht, dass es im Kreditmarkt keine Boomphasen gibt. Sie führen dann dazu, dass sich in anderen Bereichen Blasen bilden, wie das Ende der Neunzigerjahre in der IT-Branche, danach am Häusermarkt und zuletzt im Rohstoffsektor passierte.

Wo könnte es künftig also zu neuen Übertreibungen kommen?
In Geschäftsliegenschaften: Wenn das Portfolio einer Pensionskasse im gegenwärtigen Umfeld jährlich 7,5% abwerfen soll, muss sie eine Anlageklasse übergewichten, wo hohe Renditen erwartet werden.

Das sind Kredite im Bereich Geschäftsimmobilien. Hier stehen wir am Anfang der nächsten Blase. Das zeigt sich etwa daran, dass in den Anlagegremien der Pensionskassen immer mehr Investitionen in Geschäftsliegenschaften beschlossen werden. Auch hier wird es letztlich zu einem Desaster kommen.

 

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