Der starke Anstieg der Energiepreise erhöht den Druck auf die Regierungen. Den privaten Haushalten könnten gezielte Eingriffe in die Preise helfen.
Wer heutzutage Preiskontrollen für den Kampf gegen die Inflation ins Spiel bringt, hat es nicht leicht. Sie sind bei vielen Ökonomen verpönt, selbst wenn diese nicht gerade zu den liberalsten Vertretern ihrer Zunft gehören. Einige glauben sogar, dass solche Eingriffe ins Marktgeschehen heute fast nur noch in autokratisch regierten Ländern wie Ungarn oder in der inflationsgeplagten Türkei zu finden sind.
Doch weit gefehlt: Auch in freieren Marktwirtschaften gibt es viele regulierte Preise. «Preisinterventionen sind durchaus üblich», sagt Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt der UniCredit Bank Austria in Wien. Im Euroraum liegt der Anteil administrierter Preise bei 13%.
Die Schweiz kommt sogar auf 30%, sie toppt schon seit Jahren jedes EU-Land, was jedoch auch an der unterschiedlichen Messung von Gebühren in den Ländern liegen mag. Dies ist aber mit ein Grund dafür, dass die Eidgenossenschaft über Jahre eine geringe Inflation misst, was wiederum den Franken immer wieder aufwerten lässt.
In Washington brachte das Weisse Haus erst kürzlich einen Plan zur Bekämpfung der Marktmacht in der Fleischindustrie auf den Weg. Und das dürfte nicht das Ende sein: «Aufgrund des starken Anstiegs wichtiger Preise wie für Energie ist wohl damit zu rechnen, dass es kurzfristig zu Interventionen des Staats kommt, sei es durch Unterstützung für gefährdete Haushalte, aber auch in Form von Preisregulierung», sagt Bruckbauer.
Dabei zeigt die Geschichte, dass Politiker immer wieder pragmatisch abgewogen haben, ob Eingriffe in die Preise einer Marktordnung nicht bessere Ergebnisse für die Bevölkerung bringen. Bruckbauer:
«Effizienz des Marktes ist nicht das alleinige Kriterium für die Politik, es kann durchaus angebracht sein, Effizienzverluste, zumindest vorübergehend, hinzunehmen, um andere Probleme zu lösen.»
In den Vereinigten Staaten gab es vor gut 50 Jahren den vorerst letzten Versuch, Preise und Löhne auf breiter Linie zu kontrollieren. Ausgerechnet von der Notenbank Federal Reserve ging die Initiative aus. Dies zeigt ein Memorandum des Fed-Chefs Arthur Burns ans Weisse Haus, das kürzlich in den Archiven aufgetaucht ist.
Am 15. August 1971 verkündete Präsident Richard Nixon einen allgemeinen Lohn- und Preisstopp für die Dauer von 90 Tagen. Die Inflationsrate fiel zunächst von 4% auf 3% im Jahr 1972. Auch wenn einige Preiskontrollen beibehalten wurden, zog die Teuerung danach aber wieder erheblich an.
Wichtigster Preistreiber waren wie schon Ende der Sechzigerjahre die Löhne, die deutlich schneller als die Wirtschaftsleistung stiegen. Der Beitrag der Löhne zum Preisanstieg bei den Unternehmen nahm von 2 Prozentpunkten 1972 auf 8 Prozentpunkte 1974 zu. Dazwischen lag der erste Ölpreisschock 1973, mit einer Preissteigerung in einem Jahr von 300%.
Auch wenn die Teuerungsschübe der Siebzigerjahre kaum etwas mit den Kontrollen unter Nixon zu tun hatten: Die Preisregulierung wurde ab 1980 vielerorts zum Tabu oder sollte zumindest aufgeweicht werden. Es begann die Epoche der Wirtschaftspolitik, die heute als neoliberal bezeichnet wird. Zuerst in den fortgeschrittenen Industrieländern, dann in den Schwellenländern und am Ende besonders in den Staaten des Ostblocks.
Diese durchschritten zu Beginn der Neunzigerjahre – auf Empfehlung westlicher Ökonomen und Institutionen – eine Phase der Schocktherapie, mit der sie dann erste Eindrücke von den «Segen der Marktwirtschaft» sammeln sollten.
Wie die Preisliberalisierung zum zentralen Dogma für den Übergang zur Marktwirtschaft wurde, beschreibt die Ökonomin Isabella Weber von der Universität Massachusetts Amherst in ihrem neusten Buch «How China Escaped Shock Therapy». Dort beleuchtetet die Autorin, wie ausgerechnet die chinesische Volkswirtschaft dem bitteren Schicksal vieler Länder Osteuropas entgehen konnte: Auch weil die Regierung in Peking flexibler mit der Preisregulierung umging.
Webers Buch steht auf vielen Toplisten für Fachliteratur zur Wirtschaftspolitik im Jahr 2021, mit zahlreichen renommierten Empfehlungen aus den Medien und der akademischen Welt.
Ein Kapitel ist allein den erfolgreichen Preiskontrollen in den USA während des Zweiten Weltkriegs gewidmet, die die unkontrollierte Inflation im Ersten Weltkrieg vergessen machen sollten. Denn die Eingriffe der Amerikaner waren auch für die chinesische Reformdebatte prägend.
Wie unbeliebt Preiskontrollen noch immer unter Ökonomen sind, musste Weber jetzt auf äusserst unangenehme Art in den Sozialen Medien erfahren (vgl. Textbox).
Ende 2021 hat sie im britischen «Guardian» einen Kommentar veröffentlicht und damit eine breite Debatte losgetreten. Darin schrieb sie, dass die Gründe, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges für Preiskontrollen gesprochen hatten, auch für die heutige Zeit gelten würden.
Im Jahr 1946 wurden die Kontrollen auf Druck der Wirtschaft zwar beendet. Wie heute habe es damals wegen der hohen Ersparnisse der Haushalte einen Nachfragestau gegeben, der dazu beitrug, dass es einen schnellen Preisanstieg für knappe Güter gab.
Wie nach dem 2. Weltkrieg treffen diese Preissteigerungen – damals waren es in der Spitze 20% –, Haushalte mit niedrigem Einkommen besonders hart, die während des Krieges und der Pandemie bescheidene Ersparnisse gebildet haben, sagt Weber gegenüber FuW.
«Politische Massnahmen gegen explodierende Preise für Mangelwaren können ein Instrument sein um kritische Zeit zu gewinnen in der Engpässe beseitigt werden, die so lange ein Problem sind, wie die Lieferketten durch die Pandemie gestört sind», sagt sie.
Eingriffe gegen extreme Preissteigerungen seien aber nicht als Allheilmittel sondern als Vorsichtsmassnahme gedacht. Die Idee ist keineswegs ein allgemeiner Preisstop. Es müsse eine sorgfältig zugeschnittene politische Antwort auf die Engpässe geben, strategisch ausgewählt, zeitlich begrenzt und auf die spezifischen Preisdynamiken zugeschnitten.
Die Bedenken gegen die Eingriffe lassen sich so zusammenfassen: Kontrollen gefährden die Signalwirkung der Preise in einer Marktwirtschaft. «Grundsätzlich sind Interventionen des Staates in Preise keine gute Sache. Die meisten Analysen zeigen, dass damit die dahinterliegenden Probleme von Knappheit nicht gelöst werden», sagt auch Bank-Austria-Chefvolkswirt Bruckbauer. So können oft auch Schwarzmarktpreise die gezielten Preiskontrollen unterlaufen.
Einen aktuellen Einwand beschreibt der Ökonom Joseph Politano in seinem Blog: Die Preise für Vorprodukte sind bisher sehr viel stärker gestiegen als die Preise für Endprodukte. Dies signalisiere, dass die Unternehmen die gestiegenen Kosten gar nicht so einfach an die Verbraucher weiterreichten.
Das berührt einen Punkt, den Weber auch in ihrem Kommentar angesprochen hat, der jedoch weniger eindeutig ist als gedacht: «Ein entscheidender Faktor, der die Preise in die Höhe treibt, wird weitgehend übersehen: eine Explosion der Gewinne», schrieb Weber.
Doch es gibt unterschiedliche Berechnungsweisen, wie die Statistiker in den USA den Anteil der Gewinne an der Wirtschaftsleistung messen, was oft erheblich von den bilanziellen Gewinnen abweichen kann.
Gleichwohl zeigt sich, dass die Betriebsüberschüsse (pro Einheit der Wirtschaftsleistung) tatsächlich seit Anfang 2021 allein die Inflation treiben – zumindest bis zum dritten Quartal, für das bisher Daten vorliegen.
Allerdings treten derzeit auch bei den Gewinndaten grosse Basiseffekte auf. Sie ergeben sich aus dem scharfen Rückgang 2020 und der starken Erholung 2021. So stiegen seit 2019 die Stückgewinne nur um 1,9% im Schnitt pro Jahr, was unter dem Inflationsziel des Fed von 2% liegt.
In den Margen zeigt sich wiederum, dass der Vorkrisenstand auch in Europa noch nicht wieder erreicht worden ist.
Aktuell besteht das Risiko, dass der Aufschwung versackt, wenn Unternehmen Engpässe allein für Preiserhöhungen nutzen und dabei Produktion und Jobaufbau vernachlässigen. Dies dürfte bislang in den USA also keine Rolle spielen.
Zumal sich der Arbeitsmarkt zuletzt weiter verbessert hat, zugleich aber die Erwerbsbeteiligung der Älteren durch die Pandemie gesunken ist. Folge davon sind bereits jetzt stark steigende Löhne, was die US-Notenbank in Alarmbereitschaft versetzt.
Entscheidend für die Inflation sind die Lohnstückkosten – das Pendant zu den Stückgewinnen: Sie messen, ob die Löhne stärker steigen als die reale Wirtschaftsleistung der Unternehmen – entweder pro Kopf oder Arbeitsstunde. Steigen sie, ist der Lohnzuwachs nicht von der Produktivität gedeckt, wobei auch hier ein Anstieg um 2% pro Jahr als vereinbar mit dem Inflationsziel und ohne Risiko für die Teuerung gilt.
Und so lassen sich bis zum dritten Quartal 2021 noch keine Anzeichen einer Lohn-Preis-Spirale in den USA wie in den Siebzigerjahren erkennen. Dies könnte im Zweifel tatsächlich für ausgewählte Preiskontrollen auch aus Vorsicht sprechen, besonders wenn sich das exorbitante Gewinnwachstum fortsetzen sollte. Denn eines weiss auch die Ökonomin Weber nur zu gut:
«Selektive Preiskontrollen und sogar ein Preisstopp sind in der Regel nicht effektiv, wenn es bereits eine Lohn-Preis-Spirale oder eine anderweitige Preisspirale gibt».
Sollte es aber dieses Jahr zu vermehrten Anzeichen von Lohn-Preis-Spiralen kommen, schlägt ohnehin die Stunde der Notenbanken. In den USA bereitet das Fed bereits erste Zinserhöhungen vor.
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