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11:44 Uhr - 10.06.2016

«Der IWF müsste die Schweiz sanktionieren»

Joseph Gagnon, Ökonom am Peterson Institute in Washington, bezichtigt die SNB der Wechselkursmanipulation. In den USA erwartet er dieses Jahr noch zwei Zinserhöhungen.

Die US-Wirtschaft werde sich weiter erholen. Davon ist Joseph Gagnon trotz des kürzlich veröffentlichten enttäuschenden Arbeitsmarktberichts überzeugt. Zinserhöhungen durch die US-Notenbank Fed seien deshalb zwar aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Zinsen wie zu Zeiten vor der Finanzkrise sind jedoch auch im Zuge der geldpolitischen Normalisierung  nicht zu erwarten. Wie schon in den Vorjahren greift der Ökonom die Interventionen der Schweizerischen Nationalbank (SNB (SNBN 1125 0%)) Joseph GagnonDer Nationalökonom Joseph Gagnon (55) ist seit 2009 Senior Fellow am einflussreichen Think Tank Peterson Institute for International Economics in Washington. Zuvor arbeitete er für die US-Notenbank und für das US-Finanzministerium. 2011 verfasste er ein Buch über den Nutzen von flexiblen Wechselkursen («Flexible Exchange Rates for a Stable World Economy»). Gagnon war Dozent an der Berkeley-Universität in Kalifornien. Er studierte in Harvard und promovierte in Stanford. (PDT) Bild: ZVGzur Schwächung des Frankens an. Im Gegensatz zu Deutschland mache sich die Schweiz der Währungsmanipulation schuldig.

Herr Gagnon, wird die US-Notenbank Fed kommende Woche den Leitzins erhöhen?
Nein, das wird sie nicht. Zum einen wegen des schwachen Arbeitsmarktberichts vom Mai, zum anderen wegen der Sorgen um den Brexit. Wenn sich der Arbeitsmarkt im Juni erholt und es nicht zum Brexit kommt, dann stehen die Chancen fünfzig zu fünfzig, dass der Offenmarktausschuss entweder im Juli oder im September wieder an der Zinsschraube dreht. Davon abhalten könnten die Währungshüter höchstens ausserordentlich schwache Konjunkturdaten, womit ich allerdings nicht rechne.

Wie viele Zinserhöhungen sind in diesem Jahr denn zu erwarten, und welche Bedeutung messen Sie dem wirklich ausserordentlich schwachen Arbeitsmarktbericht vom vergangenen Monat bei?
Der Mai war in der Tat eine herbe und sehr unangenehme Überraschung. Zu bedenken ist allerdings, dass es schon sehr lange her ist, dass wir zuletzt einen so katastrophalen Bericht hatten. Ich denke aber trotzdem, dass dies ein Ausreisser war. Die Erholung wird andauern, und im Grossen und Ganzen sind die Monatszahlen deutlich weniger volatil als früher. So gesehen ist es realistisch, im Jahresverlauf zwei Straffungen zu erwarten.

Dabei ist Straffung ja ein relativer Begriff. Das Fed hat neun Jahre gewartet und zaudert nun seit Dezember 2015. Sollte es entschlossener vorgehen?
Keineswegs. Wir hatten eine sehr schwache Konjunktur, und die niedrigen Zinsen ebneten an mehreren Fronten den Weg für die Erholung. Sie halfen bei der Bilanzbereinigung sowie dem Schuldenabbau und haben über die günstigen Finanzierungskonditionen auch den Aufschwung am Häusermarkt beflügelt. Sobald die Normalisierung vollzogen ist, werden wir auch sehen, dass der Gleichgewichtszins deutlich unter dem Vorkrisenniveau liegen wird.

Wo sehen Sie den neuen Gleichgewichtszins?
Wird das Inflationsziel von 2% beibehalten, dann wird er sich nominal um 3% bewegen, vielleicht sogar darunter, und nicht mehr bei 4 bis 4,25% wie früher. Unter Berücksichtigung der Teuerungsrate läge der Realzins dann bei nur noch 1%.

Nicht selten wird Notenbankchefin Janet Yellen dafür kritisiert, dass sie die Geldpolitik um eine sozialpolitische Komponente erweitert hat. Sie spricht von Einkommensungleichheit und betont immer wieder qualitative Aspekte der Arbeitsmarktstatistik – unter anderem Langzeitarbeitslosigkeit, die niedrige Beteiligungsquote, Teilzeitkräfte, die lieber Vollzeit beschäftigt wären, aber keinen Job finden. Ist das falsch?
Ganz und gar nicht. Ein Teil des dualen Mandats ist Vollzeitbeschäftigung, und da muss das Fed ein vollständiges Bild haben. Andere Notenbanken tun manchmal so, als würde für sie nur Geldwertstabilität eine Rolle spielen. Das ist schlichtweg gelogen.

Sie haben die Möglichkeit einer unerwarteten Konjunkturschwäche angesprochen, die Zinserhöhungen im Wege stehen könnte. In ausgesprochen bedenklicher Verfassung präsentiert sich ja das produzierende Gewerbe in den USA. Wie schätzen Sie die Lage dort mit Blick auf die Gesamtwirtschaft ein?
Die Schwäche im produzierenden Gewerbe liegt vor allem am starken Dollar und an der Nachfrageschwäche bei unseren Handelspartnern. Der Dollar hat die Exportwirtschaft enorm belastet. Ohne diesen Effekt hätte die Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts während der vergangenen zwei Jahre locker um jeweils einen halben Prozentpunkt höher gelegen. Auch hätte das Fed bestimmt mehrmals schon den Leitzins angehoben. Der Dollar und die Lage der Weltwirtschaft spielen beim Entscheidungsprozess im Offenmarktausschuss eine grössere Rolle, als viele denken.

Wenn das Fed nun konsequent normalisiert und die EZB weiterhin eine ultralockere Geldpolitik betreibt, wird dann der Dollar gegenüber dem Euro wieder anziehen?
Natürlich, wobei sich die Wechselkurskorrekturen in Grenzen halten werden, weil die Märkte dies ja zum Teil schon vorweggenommen haben. Schliesslich ist der Dollar anders als in den langen Jahren, als er sich um 1.30 je Euro bewegte, deutlich stärker und eigentlich überbewertet. Wenn die Arbeitslosenquote zurückgeht und sich die europäische Wirtschaft wieder stärker erholt, dann wäre in Relation zum Euro eher ein Dollarkurs von 1.50 angemessen. Das wird aber noch dauern. Doch man darf die beiden Währungen nicht isoliert betrachten. Damit das US-Handelsdefizit wieder ins Lot kommt, müsste der Dollar gegenüber allen führenden Währungen einbüssen.

Was halten Sie davon, dass das US-Finanzministerium Deutschland als Wechselkursmanipulator gebrandmarkt hat?
Das ist nicht ganz richtig. Deutschland hat nur zwei der drei Kriterien erfüllt. Da keine Fremdwährungsreserven angehäuft werden, um den Euro zu drücken, hat man sich nichts zuschulden kommen lassen. Ganz anders ist das bei der Schweiz.

Was meinen Sie damit? Den Euromindestkurs hat die SNB ja schon im Januar 2015 aufgegeben.
Das ist richtig. Aber trotzdem interveniert die SNB nach wie vor, wenn sie meint, der Franken werde zu teuer. Das ist nicht nur eine Wechselkursmanipulation, sondern eine Manipulation der Marktkräfte, die ohne diese Eingriffe fraglos zu einer Aufwertung führen würden.

Meinen Sie, dass es Sanktionen geben sollte?
Die einzige Institution, die etwas machen könnte und über das entsprechende Instrumentarium verfügt, ist der IWF. Seine Statuten schreiben vor, dass Mitgliedländer nicht an den Devisenmärkten intervenieren dürfen, um Zahlungsbilanzkorrekturen zu verhindern. Genau das aber tut die SNB – die Definition der Manipulation schlechthin. Es ist eigentlich unglaublich, dass der IWF ein Auge zudrückt und nichts unternimmt.

Und das trifft auf Deutschland sowie die anderen EU-Länder nicht zu?
Nein. Sie kaufen keine Währungsreserven mit dem ausdrücklichen Ziel, ihre Überschüsse auszubauen. In der EU sind es interne Faktoren, nämlich die Exportorientiertheit der Konjunktur, zu geringe Binnennachfrage und überzogene Sparmassnahmen. Das ist nicht kriminell, und dagegen kann der IWF nichts unternehmen.

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