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14:57 Uhr - 04.07.2017

«Man sollte das Aktiengewicht tief halten»

Präsident Donald Trump ist ein Risikofakor, sagt Steen Jakobsen, Chefökonom der Saxo Bank. Er sieht schwarz für die US-Konjunktur und nennt im Interview die Gründe für seine Prognose.

Herr Jakobsen, Sie waren einer der wenigen, die sowohl den Brexit-Entscheid als auch die Trump-Wahl korrekt vorausgesagt haben. Wo weichen Sie derzeit vom allgemeinen Konsens ab?
Ich sehe eine reelle Gefahr, dass die US-Wirtschaft in den kommenden achtzehn Monaten in eine Rezession gerät.

Wie kommen Sie denn darauf? Weltweit zeigen die Konjunkturindikatoren nach oben, und das Fed kann dank des robusten US-Wachstums die Leitzinsen erhöhen. Doch Sie fürchten eine Rezession?
Die Wirtschaft ist eine Black Box. Wir Volkswirte haben keine Ahnung, was darin vorgeht. Deshalb fokussieren sich die allermeisten Ökonomen und Analysten auf das, was aus ihr herauskommt: Aktienkurse, Preise, Arbeitslosenquoten, Produktivität und so weiter. Anhand dieser Daten machen sie eine Prognose und scheitern grandios. Auch die US-Notenbank schafft es nicht, die US-Konjunktur richtig vorauszusagen, weil auch sie auf die Output-Grössen fixiert ist. Wer aber in die Zukunft schauen will, muss beobachten, was in die Black Box hineingeht.

Und welche Grössen sind das?
Im Wesentlichen hat das Wirtschaftswachstum drei Treiber: das Kreditwachstum, die Kreditkosten und die Energiepreise. Sie zusammen bestimmen mit einer Vorlaufzeit von etwa neun Monaten, wie sich die Konjunktur entwickelt.

Was zeigen diese Treiber derzeit an?
Das globale Kreditwachstum ist eingebrochen. Der Kreditimpuls – das ist die Veränderung des Kreditwachstums – ist in den vergangenen Monaten von einer hohen positiven Rate weit unter null gefallen. Schuld daran ist China. Dort hat die Regierung in der turbulenten Marktphase Anfang 2016 die Banken dazu angehalten, das Kreditwachstum zu beschleunigen. Auch die Zentralbanken der Industrieländer öffneten panikartig ihre Geldschleusen. Aber jetzt tritt Peking auf die Bremse, was einen negativen Kreditimpuls zur Folge hat.

Und deshalb steuern die USA auf eine Rezession zu?
China ist für die Hälfte des Weltwirtschaftswachstums und für den Grossteil der neu geschöpften Dollarkredite verantwortlich. Neun Monate nach der massiven Kreditexpansion im ersten Quartal 2016 hat die globale Wachstums- und Inflationsdynamik den Höhepunkt erreicht. Seither geht es bergab. Der Zusammenhang zwischen globalem Kreditimpuls und US-Wachstum ist besonders gross. Die Wahrscheinlichkeit, dass die USA in den kommenden achtzehn Monaten in eine Rezession geraten oder rezessionsähnliche Zustände erleben, beträgt meiner Meinung nach 60%.

Wie wichtig sind die Energiepreise?
Hohe Preise für Erdöl, Gas und Elektrizität würgen die Konjunktur ab. Denn in allen Produkten steckt in irgendeiner Form Energie drin. Doch auch zu tiefe Energiepreise sind ein Problem. Bei einem längerfristig niedrigen Ölpreis brechen die Investitionen ein – das konnten wir in den vergangenen Jahren besonders gut in den USA beobachten. Derzeit deutet vieles auf weiter fallende Rohölpreise hin.

Welche Rolle spielt US-Präsident Donald Trump für die Konjunktur?
Das Einzige, was die USA vor einem Abschwung retten könnte, wäre ein Fiskalstimulus. Doch Trump hat bisher diesbezüglich nichts geliefert: keine Steuersenkung, kein Infrastrukturprogramm, gar nichts.

Er ist nicht einmal ein halbes Jahr im Amt.
Was auch immer er wirtschaftspolitisch unternimmt, die Wirkung wird nur von kurzer Dauer sein. Ich sehe in Trump vor allem einen Risikofaktor.

Wie meinen Sie das?
Trump hat sich innenpolitisch blamiert. Nicht einmal mit der Gesundheitsreform konnte er sich durchsetzen. Um sein Gesicht zu wahren, wird er sich etwas einfallen lassen müssen. Sonst droht er den Rest seiner Regierungszeit als lahme Ente abzusitzen. Weil es innenpolitisch harzt, könnte er den Befreiungsschlag in der Aussenpolitik suchen, zum Beispiel mit einer Intervention in Syrien oder Nordkorea. Seine Twitter-Nachrichten deuten jedenfalls darauf hin, dass er einem Militärschlag gegen Nordkorea nicht abgeneigt ist. Die Gefahr einer Eskalation hat deutlich zugenommen.

Welche Folgen hat das für Ihre Anlageempfehlungen?
Wir sollten endlich aufhören, von Reflation zu reden. Alle meinen, Inflation entstehe durch höhere Löhne. Doch sie ist eine Funktion der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Die Teuerung nimmt nur zu, wenn mehr Kredite vergeben werden. Wenn wie im aktuellen Umfeld zu wenig Kredit nachgefragt wird, gibt es auch keine Inflation. Wir raten deshalb schon länger zu Anlagen in Staatsanleihen. Wegen des erhöhten geopolitischen Risikos ist auch Gold (Gold 1224.7 0.12%) eine gute Wahl. Aktien haben wir untergewichtet. Und wir sind negativ für Erdöl und den Dollar.

Mit Obligationen und Gold dürfte es schwierig werden, längerfristig nach Abzug der Inflation positive Renditen zu erzielen.
Verstehen Sie mich nicht falsch – ich habe nichts gegen Aktien. Sie sind in der langfristigen Geldanlage unumgänglich. Doch man muss die Rezessionswahrscheinlichkeit in der taktischen Allokation berücksichtigen. Im Moment sollte man das Aktiengewicht tief halten.

Können Sie das konkret erläutern?
Die Rechnung ist einfach: Aus historischer Erfahrung wissen wir, dass Aktien in einer US-Rezession die Hälfte des Werts verlieren. Wenn ich von einer Rezessionswahrscheinlichkeit von 60% ausgehe, beträgt mein erwarteter Verlust 0,5 mal 60%, also 30%. Entsprechend justiere ich das Portfolio und reduziere das Aktiengewicht. Wer wie die meisten Strategen einer Rezession eine Wahrscheinlichkeit von bloss 10% zumisst, hält die Aktienquote hoch. Das Aktien-Verlustrisiko beträgt ja lediglich 0,5 mal 10%, also 5%. Ich denke aber, sie unterschätzen die Rezessionsgefahr und das Risiko einer geopolitischen Eskalation.

Setzen Sie innerhalb der niedrigen Aktienquote einen regionalen Schwerpunkt?
Wir bevorzugen klar Europa. Anders als in den USA sind die Bewertungen noch nicht am oberen Limit, und die Gewinnmargen weiten sich aus. Besonders gefallen uns französische Aktien. Sie haben durch den klaren Wahlsieg von Emmanuel Macron einen kräftigen Schub bekommen. In Frankreich ist übrigens auch der Kreditimpuls positiv.

Kann sich Europa einer US-Rezession widersetzen?
Auch diesseits des Atlantiks wird sich das Wachstum verlangsamen. Aber die europäische Wirtschaft ist besser gewappnet als die amerikanische, weil sie weniger stark vom Kreditwachstum abhängig ist und viele Projekte ohne Fremdkapital finanziert werden. Zudem starten wir auf einem höheren Wachstumsniveau. Die Wirtschaft der Eurozone wächst derzeit mit einer Jahresrate von 2% deutlich schneller als die US-Wirtschaft.

Sie sind also ein überzeugter Europäer?
Ich habe noch nie eine solche Dynamik erlebt. Die Wirtschaft wächst überall, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Osteuropa und in der Peripherie.

Doch die Konstruktionsfehler der Eurozone wurden nicht wirklich behoben.
Natürlich gibt es nach wie vor politische Risiken. Aber die mikroökonomischen Trends sind so stark, dass ich mir deswegen keine Sorgen mache. Europa ist wieder wettbewerbsfähig – nicht nur, weil die Löhne kaum gestiegen sind, sondern wegen des technologischen Fortschritts. Dadurch hat sich die Produktivität verbessert. Dank der Automatisierung und dem Einsatz von Robotern muss die Fertigung nicht mehr nach China ausgelagert werden. Selbst in so teuren Gegenden wie der Schweiz kann man heute zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren. Das ist ein langfristiger Trend, der mich optimistisch stimmt.

Und wenn in vier Jahren doch die Populisten und die eurofeindlichen Parteien das Zepter übernehmen?
Das glaube ich nicht. Ihre Zeit ist schon abgelaufen. Die Entwicklungen in Grossbritannien und den USA zeigen doch, dass populistische Regierungen keine Lösung sind. Das erkennen auch die Wähler auf dem europäischen Kontinent. Die Wahl von Donald Trump ins Weisse Haus war nicht der Anfang des neuen Populismus, sondern dessen Ende. Deshalb bin ich auch für die USA längerfristig zuversichtlich. Aber bis zu den nächsten Wahlen 2020 bleibt es ruppig.

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