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12:40 Uhr - 12.12.2014

Japans Wähler ohne Alternative

Am Sonntag finden in Japan vorgezogene Parlamentswahlen statt. Regierungschef Shinzo Abe kann trotz schlechter Wirtschaftslage mit einem klaren Sieg rechnen.

Stolz blickt der 60-jährige Shinzo Abe auf dem Wahlplakat nach vorn. Der Slogan «Es gibt keinen anderen Weg» wirbt für die Wirtschaftspolitik der Abenomics, die nach dem  Regierungschef benannt ist. Ihre drei Elemente – eine lockere Geldpolitik, höhere Staatsausgaben und strukturelle Reformen – sollen die japanische Wirtschaft zu alter Stärke führen. Mit derselben Absicht will Abe die Atomkraftwerke weiter nutzen und die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern.

Tatsächlich ist es Regierung und Notenbank gelungen, vor allem über die Abwertung des Yens die Deflation zu beenden und nahezu Vollbeschäftigung zu erreichen. Das erste AKW geht demnächst in Betrieb. Eine freiwillige Frauenquote für Manager von 30%  soll die Unternehmen zum Umdenken in ihrer Personalpolitik bewegen.

«Reflationierer» gegen «Deflationierer»

Aber das Mantra von Abe, es gebe nur seinen Weg, soll davon ablenken, dass seine Politik keineswegs alternativlos ist. Abe möchte den wirtschaftlichen Niedergang und den weltpolitischen Machtverlust von Japan stoppen. Dafür will er die Deflation überwinden und das Wachstum dauerhaft ankurbeln. Die andere Sichtweise besteht darin, die Deflation als unvermeidliche Folge des demografischen Wandels zu akzeptieren. Wachstum passt nicht zu einer gealterten und schrumpfenden Gesellschaft, lautet eine Antwort auf Abenomics. Statt dessen soll die Politik in erster Linie den Wohlstand sichern, damit der Weg der Nation in den Ruhestand glatt und risikolos verläuft.

Lange Zeit bestimmten diese «Deflationierer» die Wirtschaftspolitik in Japan: Die milde Geldaufwertung wird nicht als Gefahr gesehen, sondern sogar als sozial gerecht verstanden. Die Deflation habe maximale Beschäftigung gesichert, meint zum Beispiel Masaaki Shirakawa, der Vorgänger von Haruhiko Kuroda an der Spitze der Notenbank. Statt Mitarbeiter zu entlassen, haben die Firmen die Löhne gesenkt. Die stabilen Preise erhalten zudem die privaten Vermögen. Höhere Steuern wie jetzt im Frühjahr mögen zwar den Konsum belasten, sind aber wegen der steigenden Kosten der alternden Gesellschaft notwendig. Zugleich lässt sich dabei der Schein wahren, dass sich die gewaltigen Staatsschulden bedienen lassen. Alles wird dafür getan, damit die Nation komfortabel in Rente gehen kann.

Abes Spiel mit dem Feuer

Die «Reflationierer» dagegen wollen nicht angenehm sterben. Nach dem Vorbild der Reformer in der 1860er Jahren will Premier Abe die Wirtschaft erneuern und eine neue Dynamik entfachen. Auf diese Weise soll Japan seinen Vormachtstatus in Asien gegenüber dem Emporkömmling China verteidigen. Dafür nimmt Abe grosse Risiken in Kauf. Denn mehr Inflation bedeutet, dass die Ersparnisse der vielen Rentner an Wert verlieren. Und eine Finanz- und Schuldenkrise wird wahrscheinlicher, weil die Anleihenrenditen irgendwann steigen könnten.

Die Abwertung des Yens könnte das Vertrauen der Japaner in ihr Geld untergraben und in einen Währungskollaps münden. Doch für Abe und seinen wichtigsten Mitstreiter Kuroda überwiegen die Chancen. Die lockere Geldpolitik und die höheren Staatsausgaben haben Beschäftigung und Firmengewinne erhöht. Das sollte die Löhne treiben, dann würde mehr konsumiert, die Unternehmen produzierten mehr und fingen an zu investieren, was Beschäftigung und Löhne weiter in die Höhe triebe. Ausserdem soll die Inflation die Firmen zum Abbau ihrer hohen Überschüsse bewegen. Im Gegenzug könnte der Staat sein Haushaltsdefizit verringern. Dann wären keine konsumbremsenden Steueranhebungen mehr nötig.

Ärger über Kaufkraftverlust

Der für Sonntag vorhergesagte Erdrutschsieg von Abe könnte zu der Annahme verleiten, dass die Mehrheit der Japaner sich auf die Seite der Reflationierer geschlagen hat. Doch Umfragen zufolge ist rund die Hälfte der Bevölkerung weder mit Abe noch mit Abenomics zufrieden. Die Menschen ärgern sich vor allem über ihre gesunkene Kaufkraft, weil die Löhne mit den Preisen nicht mithalten. Die Ökonomin Noriko Hama von der Doshisha-Universität in Kyoto spricht sogar von «Ahonomics», was soviel heisst wie «Idiotenwirtschaft»: Abe wärme nur alte keynesianische Rezepte seiner Liberaldemokratischen Partei zur Wirtschaftsbelebung auf.

Doch noch halten es viele Japaner für zu früh, dieser Regierung den Stecker herauszuziehen. Nach fast jährlichem Wechsel an der Spitze hat Japan wieder einen Premierminister, der weiss, was er will. Diese stabile und starke Führung wird als Fortschritt empfunden, auch wenn die Richtung vielen nicht schmeckt. Die drei chaotischen Regierungsjahre unter der Demokratischen Partei (DPJ) vor Abe sind noch nicht vergessen. Die Opposition liegt daher am Boden. Der Politologe Tomoaki Iwai von der Nihon-Universität in Tokio spricht sogar von einer «Wahl ohne Auswahl».

Kein Volksvotum für risikoreiche Wirtschaftspolitik

Abenomics-kritische Wähler haben am Sonntag also keine glaubwürdige politische Vertretung und werden in grosser Zahl der Abstimmung fernbleiben. Der klare Wahlsieg von Abe lässt sich daher nicht als Votum für schmerzhafte Reformen und eine risikoreiche Wirtschaftspolitik werten.

Der Regierungschef weiss dies: Im Wahlkampf machte er keine neuen Reformversprechen und schwieg zu umstrittenen Vorhaben wie der Erleichterung von Kündigungen, der Senkung der Unternehmenssteuern und der Öffnung der Landwirtschaft durch mehr Freihandel.

Der grosse Wurf bei den Reformen ist nicht zu erwarten

Auch nach einem klaren Wahlsieg wird Abe die Reformen nicht forcieren. Er klingt zwar radikal, aber handelt pragmatisch. Denn die gealterte Bevölkerung will keine grossen Veränderungen des Status Quo. Wenn mehr als jeder vierte Japaner über 65 ist, zählt Sicherheit mehr als Risiko. Deflation und Stagnation sind vor allem den Älteren lieber als Inflation und Wachstum. Sie haben wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren.

Die Bestätigung seiner Regierung am Sonntag gibt Abe daher lediglich einige Jahre mehr Zeit für seine Politik der vielen Reform-Trippelschritte. In der Summe wird dies die japanische Wirtschaft mittelfristig stärken. Aber die hohen Erwartungen der ausländischen Anleger wird Abe wohl enttäuschen.

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