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13:52 Uhr - 13.01.2015

«Griechenland im Euro schadet mehr als ein Grexit»

Wie 2011 verlangt Griechenland einen Schuldenschnitt. Überspannt es den Bogen, droht der Euroaustritt. Das wäre weniger schlimm als eine Zukunft voller weiterer Kredite an Athen, erklärt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn im Interview mit FuW.

Am 25. Januar wählt Greichenland ein neues Parlament, die austeritätsfeindliche Linkspartei Syriza konnte bisher an Konsens unter den Wählern zulegen. Die Bundesregierung soll Medienberichten zufolge keine Angst mehr haben vor einem Austritt Griechenlands aus der Währungsunion. Für Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts in München, ist das zwar ein Teil der Rhetorik bei diesem Poker zwischen Griechenland und seinen Gläubigern über die Höhe des in Sinns Augen unvermeidbaren Schuldenschnitts. Doch ein Euroaustritt wäre dann die einzige Alternative, wenn Athen zu hoch pokert und mit seinen Forderungen den Bogen überspannt.

Sollte die Europäische Zentralbank (EZB) am 22. Januar ein Wertschriftenkaufprogramm im Stil der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE) des Fed beschliessen, wäre es womöglich eher konform mit den EU-Verträgen als die 2012 beschlossenen Outright Monetary Transactions (OMT). Denn jenes Programm habe direkt auf die Rettung von Krisenstaaten abgezielt. Über die OMT befindet am Mittwoch der Europäische Gerichtshof EuGH. Für Sinn würde die Anwendung der OMT das Mandat der EZB klar überschreiten.

Herr Professor Sinn, wie ernst ist es der deutschen Regierung mit der in den Medien kolportierten Aussage, ein Austritt Griechenlands aus dem Euro sei eine Option?
Das ist natürlich alles nur ein Poker. Die deutsche Regierung will den griechischen Wählern klarmachen, dass sie nicht erpressbar ist durch die Drohung mit dem Euroaustritt.

Könnte das nicht auch gerade bewirken, dass die Wähler dann erst recht den Austritt wollen?
Ja, deshalb ist die Regierung jetzt auch still geworden. In der Sache hat sie durchaus recht. Es ist gefährlicher, wenn Griechenland in der Eurozone verbleibt, als wenn es austritt. Die fehlende Wettbewerbskraft müsste im letzteren Fall mit immer neuen Krediten finanziert werden. Einen Schuldenschnitt – einen weiteren – wird Griechenland ohnehin brauchen. Die Frage ist aber: Was ist die Zukunft? Immer weitere Kredite, die dann erlassen werden müssen? Ein Austritt, die Abwertung einer eigenen Währung und die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit wären der bessere Weg.

Ist diese politische Position in der Eurogruppe überhaupt mehrheitsfähig? Hat sich das wirklich geändert?
Nein, das glaube ich nicht. Die Führung in der Eurozone will immer noch, dass Griechenland im Euro bleibt. Ein Euroaustritt würde auch das Ende der Übernahme griechischer Schulden in der Zukunft bedeuten. Denn das Versprechen, dass ein Land unter allen Umständen im Euro bleibt, ist auch das Versprechen, dass seine Schulden von anderen Ländern übernommen werden. Man darf nicht vergessen, dass die Eurokrise vor allem eine Krise des europäischen Bankensystems ist – und an erster Stelle des französischen Bankensystems. Vor allem Frankreich ist daran interessiert, den Austritt unter allen Umständen zu verhindern, um sicherzustellen, dass die Schulden durch immer weitere öffentliche Kredite abgelöst werden. Leider bedeutet es, dass die Zinsspreads künstlich gedrückt werden und der Verschuldungswille nicht mehr zu bremsen ist.

Und die deutschen Banken?
Sie halten die zweitgrösste Position an Krediten für die Europeripherie. Danach kommen die britischen Banken.

Syriza will zwar den Schuldenschnitt, lehnt inzwischen aber den Austritt selbst ab. Kann man sich darauf verlassen?
Auch das ist Teil des Pokers. Die Griechen wollen natürlich am liebsten den Schuldenschnitt ohne Austritt. Doch wenn man zu hoch pokert, riskiert man den Austritt, falls die Gläubiger den Konditionen der Umschuldung nicht zustimmen. Im Herbst 2011 hatte der damalige Premier Giorgos Papandreou ein Referendum durchführen wollen, das nicht über den Austritt entscheiden sollte, sondern darüber, ob man die Austeritätspolitik der Troika akzeptiert. Hätte die Bevölkerung sie nicht akzeptiert, hätte er die Auflagen der Troika ablehnen müssen. Die Konsequenz wäre dann der Euroaustritt gewesen. Papandreou hat nicht über den Austritt abstimmen lassen, sondern trat zurück, auf Druck von Frankreich und Deutschland. Aber es war jedem klar, dass der Austritt die Alternative war. Und so wäre es auch diesmal. Die Alternative zum Schuldenschnitt ist und bleibt der Austritt. Nur wenn Griechenland mit seinen Forderungen beim Schuldenschnitt überdreht, lässt man es austreten.

Warum kommt das alles erst jetzt wieder hoch? Lange hörte man vor allem davon, dass Griechenland Fortschritte gemacht hat. Nehmen Sie etwa den Primärüberschuss: Vor Zinszahlungen nimmt der griechische Staat mittlerweile mehr ein, als er ausgibt.
Das ist ein statistischer Trick – wie es schon viele gab seit dem Eintritt Griechenlands in die Eurozone. Über den Zeitraum, für den Zahlen veröffentlicht wurden, hatte Griechenland nie einen Primärüberschuss. Es wurde immer nur von der EU-Kommission behauptet. Als Eurostat im vergangenen Frühjahr ein Primärdefizit von 8,7% für Griechenland auswies, wurde die Statistik zurückgezogen, und Eurostat veröffentlicht seither keine Zahlen mehr dazu, für kein EU-Land. Als das Ifo-Institut daraufhin nachfragte, war die Antwort von Eurostat, man wolle nicht im Widerspruch stehen zu der Definition des Primärsaldos der EU-Kommission. Im Frühjahrsbericht der Eurozone lobte die Kommission eine Woche später im Text den Primärüberschuss Griechenlands. Nur wurde dummerweise vergessen, in der dazugehörenden Tabelle die Zahl von Eurostat von –8,7% zu entfernen. Die Wahrheit wird so lange umgebogen, bis sie passt.

Was raten Sie denn zur Überwindung der Eurokrise?
Ich habe das schon 2014 in meinem Buch «The Euro Trap» beschrieben. Als Erstes muss eine Schuldenkonferenz einberufen werden, auf der bestimmt wird, welcher Anteil der Schulden von Zentralstaat, Banken und nationaler Zentralbank zu erlassen sei. Dann muss der temporäre Austritt aus der Eurozone ermöglicht werden, bis ein Land wieder genügend Wettbewerbsfähigkeit zurückerlangt hat.

Welche Länder der Eurozone sollten denn austreten?
Austreten sollte Griechenland, definitiv nicht austreten sollte Irland. Es müssten dann auch Regeln entwickelt werden für den Wiedereintritt in die Eurozone nach der Abwertung der lokalen Währung und der Wiedererlangung der Wettbewerbsfähigkeit.

Aber der nach dem Austritt zu erwartende Wettbewerbsgewinn wäre ja gerade kein realer, sondern er wäre nur der Abwertung einer neuen  Lokalwährung geschuldet, die doch gerade keine Anreize für strukturelle Verbesserungen mit sich brächte.
Das sehe ich anders, denn bei der Wettbewerbsfähigkeit geht es immer nur um die Frage, ob man für das, was man zu verkaufen hat, billig genug ist. Nehmen wir an, Griechenland würde seine Währung auf den halben Wert des Euros abwerten und damit seine Löhne und die Preise in Euro gerechnet halbieren. Dann ist das Land wieder wettbewerbsfähig. Die heimische Bevölkerung kauft dann wieder heimische Produkte statt billigere Importware. Die Wirtschaft kommt wieder in Schwung, und neue Arbeitsplätze werden geschaffen. Es würden wieder mehr Investitionen vom Ausland nach Griechenland fliessen, auch Geld von Griechen, die im Ausland investiert hatten. Ohne Abwertung über den Wechselkurs wäre das faktisch unmöglich, da man dann die Löhne und die Preise direkt reduzieren müsste – um beim Beispiel zu bleiben: um die Hälfte.

Was wäre dann anders?
Erstens lässt sich das gar nicht orchestrieren. Die Gewerkschaften liefen Sturm. Zweitens bekäme man Probleme mit all den internen Schuldkontrakten der Griechen. Eine interne Abwertung der Preise und der Löhne würde das Land nur weiter destabilisieren. Die Schulden zwischen Inländern bzw. Bankschulden von Inländern könnten immer häufiger nicht zurückgezahlt werden, da sie nominal gleich bleiben, während die Löhne der Haushalte und die Gewinne der Unternehmen schrumpfen. Bei einem Austritt würden dagegen die inländischen Schulden in Drachme umgetauscht.

Aber für die Begleichung der Schulden im Ausland ist die Einführung einer schwachen Währung schlecht, denn der Wert der Schuld in Euro steigt.
Die Schulden im Ausland sind unabhängig von der Währung ein Problem. Deswegen wird es so oder so zu einem Schuldenschnitt kommen.

Im Sommer 2012 beschloss die EZB das Kaufprogramm für Anleihen von Krisenstaaten, falls sich diese zu Reformen verpflichten. Damit konnte sie die bisher akuteste Phase der Eurokrise vorerst beenden. Diesen Mittwoch wird der Europäische Gerichtshof EuGH im Fall der Outright Monetary Transactions OMT urteilen. Was erwarten Sie?
Entweder das OMT-Programm wird so eingeschränkt, dass der Steuerzahler nicht mehr über die Verpflichtungen der EZB für die Schulden anderer Staaten haftet. Dann verlöre es aber auch seine Wirksamkeit. Oder aber der Europäische Gerichtshof erachtet die OMT als völlig konform mit den EU-Verträgen. Dann hätte aber das deutsche Verfassungsgericht ein Problem, denn es hat im letzten Jahr ja schon erklärt, dass das OMT-Programm nicht mit dem deutschen Grundgesetz kompatibel ist. Die Regierung müsste dann im Endeffekt die Maastrichter Verträge kündigen, denn das Grundgesetz kann man nicht ändern, weil das Budgetrecht in den sogenannten Ewigkeitsparagraphen dieses Gesetzes geregelt ist. Bevor das passiert, wird die EZB ihr OMT-Programm zurückrufen.

Rechnen Sie mit weiteren Klagen, falls die EZB am 22. Januar beschliesst, Staatsanleihen zu kaufen?
Im Rahmen einer quantitativen Lockerung würde die EZB von allen Mitgliedstaaten gemäss einem bestimmten Schlüssel, der ihrer Beteiligungsquote an der EZB entsprechen könnte, Anleihen kaufen. Das könnte daher in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts eher kompatibel mit den EU-Verträgen sein als die OMT, die auf Staaten beschränkt waren, die in Refinanzierungsschwierigkeiten steckten.

Dann hätte die EZB einen Anreiz mehr, das QE zu beschliessen. Sie kann dann ohnehin Staatsanleihen kaufen, auch von Krisenländern.
Das könnte sie dann. In meiner Auffassung würde sie aber auch dann noch ihr Mandat in dramatischer Weise überschreiten. Artikel 123 der EU-Verträge verbietet die Staatsfinanzierung bzw. die Monetarisierung der Staatsschuld. Die Käufe der EZB, durch die die Titel schlussendlich auf ihrer Bilanz landen, würden die Risikoaufschläge der Staaten senken, und ihre Verschuldung würde erleichtert.

Darf die EZB die Anleihen auch am Primärmarkt kaufen?
Artikel 123 besagt, die EZB dürfe nicht direkt Staatsanleihen der Länder kaufen. Findige Juristen sind auf die Idee gekommen, das heisse, dass sie es indirekt daher darf. Direkt ist für sie nur der Kauf ab Emission am Primärmarkt. Den Kauf am Sekundärmarkt bezeichnen sie als indirekten Kauf. Eine gewagte geistige Konstruktion. Dabei steht das nirgends in den EU-Verträgen. Es macht materiell keinen Unterschied, ob die EZB die Papiere ein paar Tage nach der Emission am Sekundärmarkt von Banken erwirbt oder schon davor direkt von einem Staat. Indirekt könnte auch heissen, dass die Notenbank den Banken Kredite gibt, die mit Staatspapieren als Pfand besichert sind, und dass die Banken die Staatsanleihen mit eben diesen Kreditmitteln kaufen.

Man liest oft, die EZB dürfe ordentliche Refinanzierungsgeschäfte mit Banken von Krisenländern nur dann durchführen, wenn diese die Bedingungen erfüllen, unter denen sie von der Troika – also IWF, EU und EZB – gerettet wurden. Das ist doch weder unmittelbar einleuchtend, noch würde man solche Bedingungen von der Funktion einer Notenbank ableiten.
Das stimmt. Meines Wissens ist es die EZB, die das selbst so erklärt hat. Diese normalen Kredite müssen ja durch Pfand besichert sein, und häufig sind das Staatsanleihen oder vom Staat besicherte Papiere. Die EZB legt die Standards für diese Pfänder fest. Sie hat die Anforderungen unter die Bonität von BBB– reduziert, sodass sie sogar griechische Staatsanleihen akzeptiert. Aber wenn sich Griechenland nicht an die Regeln der Troika hält, dann, so scheint es, wäre die EZB nicht mehr bereit, griechische Staatspapiere oder vom griechischen Staat besicherte private Papiere zu akzeptieren. Es steht dann noch eine  Notfinanzierung, die sogenannte ELA, zur Verfügung. Jede nationale Zentralbank darf nach eigenen Regeln Geld drucken und verleihen, es sei denn, zwei Drittel der Mitglieder des EZB-Rats stimmen dagegen. Während der Krise hatten die sechs Krisenländer einen Sitz mehr als ein Drittel der Sitze, weshalb das gar nie geschehen konnte. Durch die inzwischen vollzogenen Neubeitritte zum Euro hat sich das Blatt hier aber gewendet.

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