Zurück zur Übersicht
11:53 Uhr - 03.11.2015

«Die Emerging Markets bergen Anlagechancen»

Andrew Balls, CIO Global Fixed Income von Pimco, erklärt, wo die Investmentgesellschaft vom Marktkonsens abweicht und wo sich Gelegenheiten eröffnen.

Herr Balls, China hat im August mit der überraschenden Währungsabwertung Schockwellen durch die globalen Finanzmärkte gesendet. Inzwischen ist die Volatilität wieder deutlich gesunken, und die Märkte haben sich erholt. Ist also alles wieder im Lot?
Wir haben die stark gestiegene Volatilität im August von Anfang an als Überreaktion des Marktes eingestuft. Unserer Meinung nach ist damals nichts passiert, was am mittelfristigen Ausblick für China irgendetwas verändert hätte. Allerdings sind wir bereits im Vorfeld von einer Konjunkturverlangsamung ausgegangen: Unsere Prognose für das jährliche Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft liegt im Bereich von 6% und damit unter dem Konsens.

Gibt es dennoch Auswirkungen, die längerfristig zu spüren sein werden?
Die Episode hat definitiv der Glaubwürdigkeit der politischen Entscheidungsträger in China geschadet. Auf der einen Seite wegen der ziemlich merkwürdigen Intervention am Aktienmarkt, auf der anderen Seite aufgrund der nicht gerade souverän gehandhabten Massnahmen in der Währungspolitik. Herauszufinden, was die Behörden tatsächlich erreichen wollten, entpuppte sich als ziemlich schwierig.

Andrew Ballszoom«Übergewichtet sind wir auch in italienischen und spanischen Staatsanleihen, wenn auch weniger stark als zuvor.» Was hat die Unruhe denn ausgelöst?
Ein Grund für die starke Unruhe im Markt war bestimmt, dass viele Investoren den Schritt der Behörden als Signal interpretiert haben, in der chinesischen Wirtschaft laufe es nicht mehr rund. Unserer Meinung nach ist die Aktion allerdings eher darauf zurückzuführen, dass China den Renminbi in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds bringen möchte. Jedenfalls war es wohl eine Entscheidung der Politik – und dabei weder eine gut getimte noch eine gut umgesetzte. China hätte das bereits zwei Jahre früher machen sollen.

Reihen sich die jüngsten Ereignisse nicht nahtlos in die Entwicklung ein, dass die Zentralbanken rund um den Globus an Glaubwürdigkeit eingebüsst haben?
Generell muss man anerkennen, dass mit der Finanzkrise 2008 die Weltwirtschaft in eine schwierige Phase eingetreten ist. Meiner Meinung nach hat sich die Reputation der Notenbanken gerade im direkten Vergleich zur Finanzpolitik sogar deutlich verbessert. Nehmen wir nur mal Europa: Die Europäische Zentralbank ist zwar nicht perfekt. Vor allem seit Mario Draghi die Führung der EZB übernommen hat, fühlt es sich aber oft an, als sei sie der «adult in the room» – der einzige halbwegs glaubwürdige Akteur.

Wie sieht Ihr Langfristszenario für die Bilanzen der Notenbanken aus? Ist ein geordneter Rückzug aus den unzähligen Stimulierungsmassnahmen überhaupt möglich?
Die Zentralbankenbilanzen werden sowohl in den USA als auch in Europa und Japan für eine lange Zeit ausgeweitet bleiben. Aber das ist in Ordnung und macht durchaus Sinn, vor allem gemessen an den ausserordentlichen Vorkommnissen seit 2008. Es gibt keinen Grund, zu hetzen und die Bilanzen rasch kürzen zu wollen.

Mit welcher Marktreaktion rechnen Sie, wenn die US-Zentralbank endlich ihren ersten Zinsschritt vornimmt? Erwarten Sie einen relativ problemlosen Übergang oder eine harsche Reaktion mit hoher Volatilität?
Die Zinsanhebung birgt natürlich schon ein gewisses Risiko. Wir sind allerdings nicht der Meinung, dass im globalen Finanzgefüge die Volatilität stark steigen wird. Zu Beginn des Jahres waren wir in dieser Hinsicht eher noch beunruhigt. Die jüngsten Turbulenzen dürften aber dazu beigetragen haben, Druck aus dem Finanzsystem abzulassen. Zudem sind wir zuversichtlich, dass die amerikanische Notenbank den Zinsschritt sehr behutsam kommunizieren wird.

Die Bedenken des Marktes drehen sich vor allem um eine negative Reaktion der Schwellenländer. Wie dürfte sich die Lage hier entwickeln?
Die Emerging Markets sind sicher das verwundbarste Element der Finanzmärkte, wenn es um den US-Zinserhöhungszyklus geht – wie wir das ja bereits 2013 mit dem «Taper Tantrum» erlebt haben, als das Fed bekanntgab, das damals laufende Anleihenkaufprogramm zu kürzen. Es ist daher durchaus plausibel, dass wir hier eine nervöse Reaktion erleben werden. Wir sind aber der Meinung, dass ein kurzfristiger Anstieg der Volatilität in den Schwellenländern für Engagements genutzt werden kann. Als aktiver Investor sollte man kaufen, wenn sich in solchen Phasen Gelegenheiten auftun.

In welchen Ländern, Sektoren oder Assetklassen sehen Sie die grössten Unterschiede zwischen dem allgemeinen Marktkonsens und Ihrer eigenen Meinung? Wo präsentieren sich Opportunitäten?
Wir weichen etwa hinsichtlich US-Inflation vom Konsens ab. Hier stufen wir die Marktprognosen als zu tief ein. So gehen wir davon aus, dass die Inflation in den Vereinigten Staaten über die kommenden vier Quartale auf 2% steigt. Die Break-even-Inflation, die am Bondmarkt die erwartete Inflation abbildet, liegt allerdings bei lediglich rund 1,5%. Deshalb sind wir in inflationsgeschützten US-Treasuries, den Tips, übergewichtet.

Wo erkennen Sie weitere interessante Anlagemöglichkeiten?
Auch der Bereich US-High-Yield sieht recht attraktiv aus – speziell wenn man sich am CDX Index orientiert, in dem der Anteil des Energiesektors geringer ausfällt. Die Emerging Marktes wirken ebenfalls günstig, obwohl es dafür natürlich – etwa wegen der schwachen Rohstoffpreise – berechtigte Gründe gibt. Dennoch dürften die Schwellenländer über die nächsten ein bis zwei Jahre attraktive Investmentchancen bergen.

Und im Bondmarkt?
Im Segment der Unternehmensanleihen sehen wir die attraktivsten relativen Bewertungen im europäischen Bankensektor sowie in Senior Financials in den USA. Übergewichtet sind wir auch in italienischen und spanischen Staatsanleihen, wenn auch weniger stark als zuvor.

Wo sind Sie sonst noch investiert?
Wir verfügen über sehr kleine Positionen in Griechenland, allerdings nur mit kurzen Laufzeiten. Die Umsetzung des dritten Hilfspakets dürfte für vielleicht ein Jahr ohne grosse Aufregung voranschreiten. Es würde uns aber kaum überraschen, wenn es in drei Jahren neuerlich zu einer Stressphase kommt.

Besonders seit diesem Frühling wird rege diskutiert, dass sich – etwa wegen regulatorischer Eingriffe – die Liquidität am Anleihenmarkt verringert habe und dies zu höherer Volatilität führe. Wie besorgt sind Sie über ein Austrocknen des Marktes?
Ich pflege jeweils zu scherzen: «Es ist wie das Wetter in London. Man darf sich nicht darüber beschweren, sondern muss es einfach hinnehmen.» Zwar ist der Handel zurzeit tatsächlich weniger liquide. Allerdings war die Liquidität vor 2008 wegen des Schattenbankensystems künstlich aufgebläht. Man sollte nicht den Fehler machen, sich an diesen alten Zeiten orientieren zu wollen.

Welche Entwicklung erwarten Sie?
Sich überschneidende Verordnungen sorgen dafür, dass Banken und Broker zurzeit nicht die Market Makers sein können, die sie mal waren. Ich glaube allerdings, dass die Bestimmungen nun langsam wieder gelockert werden dürften – speziell im Bereich der Staatsanleihen.

Was sind Ihre Prognosen für das globale Währungsgefüge? Sind Sie immer noch positiv für den US-Dollar eingestellt?
Ja, das sind wir. Nach der rapiden Wertsteigerung des Greenback erwarten wir nun, dass sich das Tempo verringert. Wir halten im US-Dollar allerdings immer noch signifikante Positionen. Letztes Jahr und Anfang dieses Jahres haben wir sie vor allem mit dem Euro und dem Yen finanziert, dann aber auch Rohstoffvaluten sowie Währungen von asiatischen Schwellenländern zum Finanzierungskorb hinzugefügt. Diese Einschätzung gründet primär in der Divergenz der realen Wirtschaftsentwicklung und der Geldpolitik, die beide weiterhin für den US-Dollar sprechen.

Welche Aussichten haben Sie für den Franken?
Wir gehen davon aus, dass der Wechselkurs des Frankens zum Euro vorläufig in der aktuellen Handelsspanne bleibt. Die SNB wird dabei wohl ihre verdeckten Interventionen fortsetzen müssen, um den Franken vor einer neuerlichen Aufwertung zu bewahren. Die jüngsten Andeutungen der Europäischen Zentralbank, womöglich weitere Stimulierungsmassnahmen nachzulegen, dürften der SNB zusätzliche Kopfschmerzen bereiten.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.