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17:11 Uhr - 02.09.2014

Nicht alle Staaten nutzen die tiefen Zinsen

Nie hat es sich so sehr gelohnt, Anleihen mit einer möglichst langen Laufzeit auszugeben. Deutschland und Italien strecken die Restlaufzeit ihrer Schulden trotzdem nicht.

Es herrscht Anlagenotstand auf dem Markt für Staatsanleihen. Die Marktverzinsung (Rendite) ist in vielen Industrieländern auf ein Rekordniveau gesunken. Inzwischen ist sie so tief, dass Zweifel bestehen, ob sie Bonitätsrisiken noch ausreichend entlöhnt, beispielsweise der überschuldeten Länder an der Europeripherie wie Italien. Vielerorts  sind die Renditen nun auch absolut unattraktiv: Eine Schweizer Bundesanleihe mit zehnjähriger Laufzeit bringt dem Investor 0,4% pro Jahr ein; eine deutsche 0,9%.

Für die Gegenseite sind goldene Zeiten ausgebrochen. Tiefe Zinsen bedeuten: Staaten können ihre Schuldenberge so günstig finanzieren wie noch nie. Was liegt also näher, als die Gunst der Stunde zu nutzen und den Tiefzins möglichst lange festzuhalten. Es ist somit anzunehmen, dass Staatsschuldner nun Titel mit möglichst langen Laufzeiten emittieren. Auf diese Weise verringern sie das Refinanzierungsrisiko: Falls die Marktzinsen steigen, sind sie davon wenig betroffen, müssen sie die tiefverzinsten Anleihen doch noch viele Jahre nicht ersetzen. Aber nicht alle Schuldenmanager handeln so.

zoomIn Italien beispielsweise hat sich die durchschnittliche Restlaufzeit der ausstehenden Schuldpapiere zuletzt sogar verringert. Der Emittent fand während der Krise nur noch Investoren, die sich kurzfristig binden wollten. In Deutschland hat sie sich seit über einem Jahrzehnt fast überhaupt nicht verändert. Sie beträgt stabil 6 Jahre und 5 Monate, obwohl der Staat heute nur 1,6% Jahreszins für eine 20-jährige Bundesanleihe zahlen muss. Vor fünf Jahren entsprach dies dem Preis für ein dreijähriges Papier.

Haben die deutschen Schuldenverwalter versagt? «Die Finanzagentur hält den Emissionsstand bewusst konstant, denn sie will sich nicht auf eine Spekulation darüber einlassen, wie lange die Zinsen noch so tief bleiben und wann sie steigen werden», sagt Lothar Hessler von der Bank HSBC (HSBA 655.4 -0.23%). Kein Fehler also, sondern bewusst passives Management.

Das entspricht dem gesetzlichen Auftrag. Ziel sei es, «die Ausgaben für Zinsen im Bundeshaushalt langfristig bei begrenztem Zinsrisiko zu minimieren». Lukrativ war die Strategie trotzdem: Die Bundesbank hat berechnet, dass Deutschlands Zinsausgaben letztes Jahr mit 30 Mrd. € rund 18 Mrd. € tiefer ausgefallen sind als es ohne Euroschuldenkrise und den damit verbundenen Renditerückgang in Deutschland der Fall gewesen wäre.

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Schweiz an der Spitze

Anders die Schweizer Tresorerie. Ihre Verantwortlichen reiten die Zinskurve, wie es im Fachjargon heisst. Sie haben die Struktur der Schulden deutlich verlängert. Die Restlaufzeit beträgt mittlerweile etwas mehr als acht Jahre. Im internationalen Vergleich zählt sie damit zur Spitze.

«Das Tiefzinsniveau macht das Schuldenmanagement weder einfacher noch schwieriger», sagt Daniel Wittwer, stellvertretender Leiter der Bundestresorerie. Es gehe in jedem Fall darum zu bestimmen, wo auf der Zinskurve man sich positioniere. Angesichts der historisch tiefen Renditen bevorzugt die Tresorerie bei den Emissionen möglichst lange Laufzeiten, wenngleich sie immer bestrebt ist, die ganze Eidgenossenkurve zu pflegen. In den vergangenen Jahren lag die durchschnittliche Restlaufzeit der Emissionen am Kapitalmarkt bei rund 17 Jahren. «Im Moment sind wir bei 20 Jahren», sagt Wittwer.  Das ist dem jüngsten Coup der Tresorerie zu verdanken: Im Mai dieses Jahres hatte sie eine 50-jährige Bundesobligation aufgelegt. Es ist erst die zweite überhaupt in der Geschichte der Eidgenossenschaft.

Weitere Ultralangläufer sind zwar nicht geplant. «Es kann aber durchaus sein, dass wir im nächsten Jahr den 2064er einmal bei einer Auktion aufstocken», kommentiert Wittwer. Die Schweiz befindet sich dank der Schuldenbremse in einer Lage, um die sie andere Staaten beneiden. Die Verbindlichkeiten nehmen ab. Jedes Jahr muss sie seltener an den Markt treten. Dieses Jahr emittiert sie nur rund 6 Mrd. Fr. «Das Volumen muss reichen, um die Liquidität in den ausstehenden Anleihen sicherzustellen und die bestehenden Laufzeiten zu pflegen», sagt Wittwer. Mittel für exotische Wünsche fehlen: Deshalb emittiert die Eidgenossenschaft keine  Fremdwährungsanleihen, inflationsindexierte Bonds oder weitere ultralange Papiere.

Spanien setzt auf 50 Jahre

zoomWenige Länder setzen so gezielt auf lange Laufzeiten wie die Schweiz. Österreich und Grossbritannien zählen dazu. Aber das Tiefzinsniveau nutzen inzwischen auch immer mehr hochverschuldete Länder, um das Refinanzierungsrisiko zu verringern. Belgien hat im Juni den zweiten zwanzigjährigen Bond ausgegeben und zahlte dafür nur eine Rendite von 3,08%. Damit hat das Land die Restlaufzeit  seiner Schulden auf knapp 8 Jahre hochgefahren – ein Landesrekord.

Der gleiche Wunsch steht auch hinter der gestrigen Emission einer spanischen Staatsanleihe, die erst im Jahre 2064 fällig wird. Die Tresorerie des Königreichs feierte damit eine Premiere. Sie nahm 1 Mrd. € auf und muss dafür nur 4% pro Jahr aufwenden. 2013 begab sie 13,9 Mrd. € in Laufzeiten über zehn Jahre. Das waren 11% der emittierten mittel- und langfristigen Staatsanleihen. Spanien feiert das als Beleg dafür, dass es wieder kapitalmarktfähig sei. Und es  schafft sich neue Finanzierungsengpässe in den nächsten Jahren vom Hals. Die tiefen Zinsen machen es möglich.

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