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18:38 Uhr - 24.08.2015

«Es fühlt sich an wie während der Asienkrise»

Wallstreet-Veteran Art Cashin hat den Kurssturz der letzten Tage in Echtzeit auf dem Trading Floor der New York Stock Exchange erlebt. Er fürchtet einen Währungskrieg unter den Schwellenländern und sieht für eine Zinserhöhung in den USA keine Chance.

An den globalen Finanzmärkten macht sich Panik breit. In einem wilden Ritt ist der Leitindex S&P 500 (SP500 1893.21 -3.94%) am Montag in New York weitere 4% abgesackt. Seit dem Rekordhoch vom Mai hat er inzwischen mehr als 10% verloren, was als Korrektur gilt. Der letzte Kurseinbruch dieser Grössenordnung ist mehr als vier Jahre her.

Alles hängt nun davon ab, ob China seine Finanzmärkte stabilisieren kann, denkt Art Cashin. Der Wallstreet-Veteran, der in Diensten von UBS (UBSG 19.28 -3.84%) den Handel auf dem Trading Floor der New York Stock Exchange überwacht, vergleicht die aktuelle Situation mit der Asienkrise Ende der Neunzigerjahre. Dass die US-Notenbank in diesem Umfeld an einer Zinserhöhung festhält, bezweifelt er schwer.

Herr Cashin, an den globalen Aktienmärkten rüttelt es heftig. Was spielt sich derzeit auf dem Trading Floor der New York Stock Exchange ab?

Zur Handelseröffnung am Montag standen zwei Aspekte im Fokus: Erstens tendierten die Börsen in Europa und Asien signifikant schwächer als in den USA.  An Wallstreet kamen deshalb Befürchtung auf, dass Investoren US-Aktien abstossen werden, um sich Geld zu beschaffen. Denn wer nicht verkaufen kann, was er will, der muss das verkaufen, was er kann.

Und was war der zweite Aspekt?

Amerikanische Anlagefonds wiesen in den vergangenen Wochen den geringsten prozentualen Bargeld-Anteil seit Beginn der Aufzeichnungen aus. Das ist heikel, denn eine Schwächephase an der Börse kann Investoren verunsichern und sie dazu veranlassen, ein Teil ihres Geldes von den Fonds zurückzufordern. Halten die Fonds aber kaum Barmittel, dann müssen sie umso mehr Aktien verkaufen, um ihre Investoren auszuzahlen.

Warum ist das problematisch?

Das kann eine Negativspirale auslösen, die sich selbst verstärkt: Je mehr Rückforderungen die Fonds erhalten, desto mehr Aktien müssen verkauft werden, wodurch der Druck auf die Kurse weiter steigt. Das wiederum macht Investoren noch nervöser und veranlasst sie, noch mehr Geld aus den Fonds abzuziehen. Am Dienstag werden wir deshalb sehen, wie sie auf die erneuten Turbulenzen reagieren werden. Entscheidend ist jetzt, was in China passiert.

Wie gefährlich ist die Situation in China?

Die Märkte sahen sich am Montag mit zwei unerfreulichen Überraschungen konfrontiert: Erstens hofften viele Händler darauf, dass die chinesische Zentralbank übers Wochenende in Aktion tritt und versucht, die Wirtschaft zu stimulieren. Zudem wurde erwartet, dass Peking wie in der Vergangenheit am Aktienmarkt interveniert und die Kurse stützt. In beiden Fällen gab es eine Enttäuschung, was an den Märkten eine Art Doppelschock ausgelöst hat. Die Befürchtungen nehmen damit zu, dass die chinesischen Finanzmärkte in den freien Fall rutschen könnten, wenn die Regierung keine Schutzmassnahmen ergreift.

Hat die Peking die Kontrolle verloren?

Das musst nicht zwingend sein. Wenn die Regierung in Peking aber nicht bald etwas unternimmt, um die Lage zu stabilisieren, dann wird das nicht nur die Finanzmärkte in China betreffen sondern in der ganzen Welt. Die heutigen Finanzmärkte sind global vernetzt. Das haben wir 2008 gelernt, als der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers eine Schockwelle auslöste, die rund um den Globus ging.

Während Ihrer Karriere haben Sie schon diverse Korrekturen an der Börse erlebt. Wie stufen sie die aktuellen Turbulenzen ein?

Es fühlt sich wie während der Asienkrise Ende der Neunzigerjahre an. Es geht nicht nur um China, sondern auch darum, dass die Abwertung des Renminbi andere aufstrebende Volkswirtschaften dazu treibt, ihre Währungen ebenfalls zu lockern. Das sorgt für wachsende Beunruhigung, denn wie 1997 und 1998 besteht das Risiko eines Währungskriegs unter den Schwellenländern.

Hinzu kommt der Crash im Energiesektor. Öl der US-Sorte WTI ist am Montag vorübergehend sogar unter 38$ gefallen. Was hat das für Konsequenzen?

Es wird oft behauptet, dass der Rückgang des Ölpreises gut für die amerikanische Wirtschaft sei, weil den Konsumenten dann mehr Geld zur Verfügung stehe. Davon ist bislang aber überhaupt nichts zu sehen. Im Gegenteil: Der Energiesektor ist seit dem Ende der Rezession für einen bedeutenden Anteil des Jobwachstums aufgekommen. Das, dank neuen Technologien wie der Förderung von Öl und Gas aus Schiefergestein. Auf dem jetzigen Preisniveau stellen Energiekonzerne jedoch keine neuen Mitarbeiter mehr ein, sondern nehmen Entlassungen vor. Je tiefer der Ölpreis zudem fällt, desto mehr drückt das auf die Stimmung an der Börse. Das, weil die Titel der grossen Energiekonzerne prominent in den Indizes vertreten sind.

Heftige Einbussen erleiden auch die Aktien von Börsenstar Apple. Wie stark alarmiert Sie das?

Kein anderes Unternehmen auf der Welt weist eine höhere Marktkapitalisierung aus als Apple (AAPL 103.12 -2.5%). Es heisst deshalb auch: “Was mit Apple geschieht, betrifft ganz Amerika”. Ironischerweise tendieren die Titel praktisch seit dem Moment schwächer, in dem sie ins Blue-Chip-Barometer Dow Jones (Dow Jones 15871.35 -3.57%) Industrial aufgenommen wurden. Es wird befürchtet, dass der Konzern in China weniger schnell als erwartet wächst. Zudem besteht das Risiko, dass Apple durch chinesische Anbieter wie Xiaom ernste Konkurrenz erwächst. Das ist eine völlig neue Entwicklung.

Alles schaut jetzt auf die US-Notenbank. Ist eine Zinserhöhung nach diesem Panikschub an den Märkten überhaupt noch denkbar?

Ich habe schon immer gesagt, dass das Federal Reserve die Zinsen 2015 nicht erhöhen wird. Es will zwar bis Ende Jahr unbedingt einen ersten Schritt machen. Der Internationale Währungsfonds wie auch die Weltbank haben aber davon abgeraten. Das macht es für das Fed erheblich schwieriger: Wenn es die Zinsen trotz dieser Warnungen erhöht und etwas passiert, dann beschädigt das seine Glaubwürdigkeit – nach dem Motto: “Ihr seid gewarnt worden und habt aber trotzdem weiter gemacht. Das habt ihr nun davon!”

Das Fed könnte aber auch an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn es dem Druck der Märkte nachgibt und damit als erpressbar gilt.

Interessant wird daher, was Fed-Vizepräsident Stanley Fischer am Wochenende beim Auftritt am Wirtschaftssymposium in Jackson Hole sagt. Ich halte es für gut möglich, dass er dabei das Problem der geringen Inflation anspricht und der Welt damit einen Wink gibt, dass die US-Notenbank noch nicht ganz bereit für eine Zinserhöhung ist.

Auf was sollten Investoren nun speziell achten?

Ich behalte weiterhin den Markt für Hochzinsanleihen gut im Auge. Er gibt bereits seit Wochen Anlass zur Sorge. Zeigen sich dort weitere beträchtliche Schwächen, dann bleiben die Warnlichter an.

Zur Person: Kaum jemand geniesst an Wallstreet so grossen Respekt wie Art Cashin. Als er 1959 seine Karriere an der New York Stock Exchange begann, notierte der Dow Jones noch unter 700. Um seine Familie zu unterstützen, verzichtete er damals auf ein Studium und heuerte beim Broker Thomson McKinnon an. Nur fünf Jahre später wurde er zum vollwertigen Partner von P. R. Herzig & Co. ernannt und erhielt mit 23 als einer der jüngsten Trader einen Sitz an der Börse. 1980 stiess er zum Investmenthaus PaineWebber, das 2000 von UBS übernommen wurde. Als Director of Floor Operations leitet er heute den Parketthandel für die Schweizer Bank und zählt zu den sechs Executive Floor Governors, der höchste Rang an der NYSE. Cashin hat irische Wurzeln und ist in New Jersey aufgewachsen. Er ist Ritter des Malteserordens und tritt mehrmals pro Woche auf dem Börsensender CNBC als Experte auf.

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