Währungen reagieren immer weniger auf die Zinspolitik der Notenbanken. Daran sind auch die international weit verbreiteten Negativzinsen schuld.
Ginge es nach den Erwartungen der Marktteilnehmer, dann hätte die amerikanische Zentralbank die Zinsen dieses Jahr zwei Mal erhöht. Anders als die Prognosen zu Jahresbeginn annahmen, ist jedoch das Gegenteil geschehen: Das Federal Reserve senkte die Leitzinsen. Die Märkte änderten ihre Erwartungen umgehend. Zunächst preisten sie vier Zinssenkungen dieses und weitere vier nächstes Jahr ein. Inzwischen sind sie davon abgerückt. Das Fed dürfte 2020 das Zinsniveau nur noch ein Mal reduzieren.
Dass sich die Zinserwartungen des Marktes ändern, ist nichts Neues. Ungewöhnlich ist hingegen, dass sich der Dollar in diesem Hin und Her kaum bewegt hat. Per saldo hat er im Jahresverlauf gegenüber den meisten anderen Währungen sogar leicht an Wert gewonnen. Für die Währungsexperten von Bank of America (BAC 32.7 -0.27%) Merrill Lynch ist das ein Beleg dafür, dass der Einfluss der Notenbanken auf die Wechselkurse abgenommen hat.
Zinspolitik verliert Einfluss
Die Bankökonomen belegen das anhand einer Korrelationsanalyse. Während vor vier Jahren noch fast jede zweite Leitzinsänderung einer der führenden Zentralbanken dazu führte, dass die Wechselkurse entsprechend reagierten, hat sich das dieses Jahr komplett geändert. Die Korrelation nahm nicht nur ab, sondern sie ist sogar ins Negative gekehrt. Eine Zinserhöhung in den USA zieht nicht mehr zwangsläufig eine Aufwertung des Dollars nach sich, und eine Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat keine Abwertung des Euros zur Folge. Immer häufiger bewegt sich der Wechselkurs anschliessend sogar in die entgegengesetzte Richtung: Trotz Zinserhöhung fällt die Landeswährung. Oder sie gewinnt an Wert, obwohl die Zinsen sinken.
Damit entgleitet den Zentralbanken eines ihrer wichtigsten Instrumente. Vor allem die von ihnen verhängten Negativzinsen waren stets an die Absicht gekoppelt, auf diese Weise die eigene Währung zu schwächen. Das gilt nicht nur für die Schweizerische Nationalbank (SNB (SNBN 5340 0%)), die Ende 2014 zu diesem Extrem griff, um den Frankenschock – die Aufhebung des Mindestkurses von 1.20 Fr./€ – abzufedern. Dänemark senkte den Leitzins bereits 2012 und dann 2014 ins Minus, um die Auswirkung von Zinssenkungen der EZB auf die eigene Währung abzumildern. Auf diese Weise gelang es ihr, die dänische Krone gegenüber dem Euro stabil zu halten. Auch in Schweden ab 2015 sowie in Japan ein Jahr später wurden Minuszinsen zu diesem Zweck eingeführt.
Die Analysten von Bank of America geben damit Zweifeln Nahrung, die am Markt schon seit längerem geäussert werden. Spielt die Zinsdifferenz zwischen Währungsräumen für den Wechselkurs die gleiche Rolle, wenn in beiden Ländern Minuszinsen vorherrschen? In normalen Zeiten lohnt es sich, unterschiedliche Zinsniveaus gegeneinander auszuspielen. Ein Devisenhändler nimmt Geld in einer tief verzinsten Währung auf und legt den Betrag in der höher verzinsten Valuta an. Geschieht das zwischen dem Franken und dem Dollar, dann nimmt er zu –0,7% Franken auf, wechselt sie in Dollar, wo er sie für drei Monate zu 1,9% anlegt. Bleibt der Wechselkurs unverändert oder wertet sich der Franken sogar ab, dann kassiert er mindestens eine annualisierte Rendite von 2,6%. Indem die SNB die Frankenzinsen unter null hält, vergrössert sie den Anreiz, Dollar zu kaufen. Sie schwächt also tendenziell den Franken.
Werden hingegen die Franken in Euro (CHFEUR 0.9156 -0.17%) angelegt, zahlt der Trader dort 0,44% Minuszins. Er fährt immer noch einen Gewinn ein, weil er die Franken zu –0,7% belehnt hat. Rechnerisch bleiben annualisiert 0,26% Ertrag – falls sich der Franken nicht aufwertet. Eine genügend hohe Zinsdifferenz zum Euro schafft also immer noch Anreize, Franken abzustossen. Aber das Ertragspotenzial ist auf ein Minimum geschrumpft, weil im Euro ebenfalls Minuszinsen vorherrschen.
Franken bleibt ein Sonderfall
Als die EZB im September den Einlagensatz von –0,4 auf –0,5% senkte, ging die SNB nicht mit. Sie beliess den Leitzins auf –0,75%. Trotzdem wertete sich der Franken nicht auf. Die Zinsdifferenz allein bewegt den Franken-Euro-Kurs nicht mehr. Auch deshalb interveniert die SNB wieder häufiger direkt am Devisenmarkt.
Die Analysten von Bank of America sehen ähnliche Ermüdungserscheinungen der Minuszinspolitik auch in anderen Währungen. Sie werten das positiv. Damit eröffne sich eine Gelegenheit, über ein Ende der Negativzinspolitik nachzudenken. Die EZB könne den Einlagensatz auf 0% zurückführen, ohne fürchten zu müssen, dass sich der Euro deshalb stark zum Dollar aufwerte, schreiben sie.
Und selbst wenn der Kurs etwas stiege, wäre das kein Problem. Gemäss der Kalkulation der Bankökonomen ist der Euro zum Dollar 10% unterbewertet. Auch der Yen und die schwedische Krone sind zum Dollar zu günstig. Einzig für den Franken gilt das nicht, er ist nicht unterbewertet. Die SNB ist somit die Notenbank mit dem geringsten Spielraum, auf absehbare Zeit die Minuszinswelt zu verlassen.
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