Die neue Geldspritze der Europäischen Zentralbank wird den Euro schwächen und Wirtschaft und Börse einheizen, sagt der CIO von Quilvest Switzerland, Matthias Jenzer, zur FuW.
Herr Jenzer, verkaufen, wenn die Kurse hoch sind: Haben Sie nach den jüngsten Indexrekorden danach gehandelt?
Indexrekorde kümmern uns nicht, sie sind reine Statistik.Aber ja, wir haben schon im Juni die Aktienquote zugunsten einer taktisch höheren Cash-Quote und gut rentierender Unternehmensanleihen etwas reduziert, vor allem bei US-Aktien.
Die Bewertung ist noch nicht hoch, aber auch nicht mehr attraktiv, und die US-Geldpolitik könnte mit dem Ende der Anleihenkäufe des Fed und einer möglicherweise früheren Zinserhöhung als noch vor Monaten erwartet vorübergehend für Irritation und eine gewisse Konsolidierung am Markt sorgen.
Auch High Yields haben kräftig an Wert gewonnen. Lohnt sich das Risiko noch?
Es stimmt, die Renditedifferenzen sind nicht mehr gross. Aber schauen wir uns an, was Cash abwirft. Da sind 3 oder 4% Rendite gut verzinslicher Unternehmensanleihen immer noch signifikant besser. Davon abgesehen ist die Gefahr einer globalen Unternehmensbilanzverschlechterung gering, der Grossteil der Unternehmen erfreut sich einer ausgezeichneten Finanzlage.
Sie sprechen von der US-Geldpolitik. Müssen sich Anleger in Acht nehmen?
Eine Zinserhöhung in den USA kommt nicht vor dem ersten Halbjahr 2015. Sie wird zunächst eine Bestätigung sein, dass die Konjunktur Tritt gefasst hat. Überhaupt warne ich davor, das Thema zu dramatisieren. Was ist in der Vergangenheit passiert? Die letzten drei oder vier Zinserhöhungen haben einige Monate Nervosität geschürt, mehr nicht. Eine grosse Korrektur gab es nie. Dazu bedarf es einer Verschlechterung der Wirtschaft, und die kommt, wenn überhaupt, aus zyklischen Gründen zwei oder drei Jahre nach der ersten Zinsverteuerung. Ein zuverlässiges Frühsignal dafür ist eine inverse Zinsstruktur, dass die kurzen Sätze also höher sind als die langen, wie es in den Jahren 1999 und 2007 der Fall war – ein Zeichen, dass die führenden Bondhändler einen starken konjunkturellen Abschwung erwarten. Davon sind wir weit entfernt.
Mit welcher Aktienquote geht Quilvest, das Family Office der argentinischen Bierbrauer- und Getränkedynastie Bemberg, ins zweite Quartal?
Mit einer neutralen Gewichtung von 35% für die Familie. Das liegt klar unter dem Durchschnitt der Finanzindustrie und hat damit zu tun, dass die Familie traditionell stark in Private Equity (PEHN 63 0.32%) engagiert ist, was aufgrund der ähnlichen Charakteristiken zum Aktienportfolio hinzuzuschlagen ist. Für Kunden orientiert sich die Aktienquote an ihren individuellen Bedürfnissen und ist in der Regel höher.
Mit welcher Präferenz?
Wenn die Strategie der Europäischen Zentralbank aufgeht – und die EZB leistet hervorragende Arbeit –, so sind klar die europäischen Märkte gegenüber den USA zu bevorzugen. Uns gefallen besonders die Peripheriemärkte, da besteht noch erhebliches Potenzial. Wenn sich bestimmte Frühsignale bestätigen, dann sollte die Fahrt richtig losgehen. Bisher haben sich diese Märkte wie überhaupt Europa seit Anfang Jahr im Vergleich zu den USA wenig bewegt.
Was sind das für Signale?
Es sind zwei, beide abgeleitet von den Unternehmensgewinnen: Diese haben sich in der Europeripherie bisher nur wenig erholt, ganz einfach weil der Euro zu hoch ist und die Konjunktur und die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder behindert. Es braucht also einen tieferen Euro. Das zweite Signal ist eine stärkere Binnenkonjunktur. Beides wird sich im zweiten Halbjahr zu manifestieren beginnen.
Was stimmt Sie so zuversichtlich, dass die Geldpolitik wirken wird? Haben die Peripherieländer nicht noch andere, strukturelle Probleme? Die Zahlungsschwierigkeiten der portugiesischen Espirito-Santo-Gruppe erinnern daran.
Espirito Santo ist ein Einzelfall. Dazu muss man nur das undurchsichtige und verschachtelte Organigramm der Gruppe anschauen. Es erinnert an Japan vor fünfzig Jahren, wo auch nicht klar war, wer wen kontrolliert. Die Bank selbst ist gut unterwegs.
Sie bringen die EZB mit ihren Negativzinsen für Bankeinlagen und der bedingten Kreditvergabe ins Spiel. Was bewirken diese Schritte?
Oh, sehr viel. Die sogenannten TLTRO, die auf die LTRO folgen – in Kürzeln liegt die Würze –, werden im September beginnen. Es ist eine zielgerichtete, an Bedingungen geknüpfte Geldspritze, um sicherzustellen, dass die Mittel von den Banken tatsächlich in Kredite und damit in die Realwirtschaft fliessen und da vorwiegend den mittelgrossen und den kleineren Unternehmen zugutekommen, wie sie für die Volkswirtschaft enorm wichtig sind. Diese Spritzen werden wirken, nicht in Deutschland, wo viele Unternehmen ohnehin keine Finanzierungsprobleme haben, sondern vorab in der europäischen Peripherie. Und was es noch bewirkt, wenn frische Mittel an den Markt kommen – man spricht von 300 bis 400 Mrd. € im September: Das Euroangebot steigt, während in den USA die Notenbank im Herbst die Anleihenkäufe einstellt und die Dollarliquidität tendenziell schrumpft. Das wird im späteren zweiten Halbjahr die schon länger erwartete Euroabschwächung respektive Dollarfestigung auslösen und die europäischen – auch die schweizerischen – Unternehmen ihrerseits entlasten. Mit anderen Worten muss man als Anleger zu diesem Zeitpunkt stark in europäischen Small und Mid Caps engagiert sein.
Wie wird sich der Franken verhalten?
Nach unserem Szenario wird er sich auf 1,25 Fr. pro Euro etwas stärker abschwächen als die europäische Währung. Kapital wird aus dem sicheren Hafen Franken abfliessen, je mehr sich die Weltwirtschaft beruhigt und die Weltwährung Dollar sich zu erholen beginnt. Wichtig für die Weltkonjunktur und vorab die Rohstoffpreise ist auch China. Die chinesische Wirtschaft wird ihr Wachstumsniveau von aktuell 7,5% halten können.
Keine Angst vor Inflation?
Nein, denn dass die Weltwirtschaft ihr Potenzialwachstum erreicht und die Überkapazitäten genügend abgebaut hat, ist nicht absehbar. So bleiben auch die Zinsen noch geraume Zeit niedrig. Sollte die EZB ihr Ziel verfehlen, wird sie nachlegen. Die Wirtschaftsankurbelung hat Priorität.
Also Aktien kaufen statt verkaufen, trotz fortgeschrittener Bewertung?
Jedenfalls würden wir nicht von Anlagenot sprechen. Auch Festverzinsliche sind im Vergleich zum Nullertrag von Cash eine Variante, und wenn wir den Aktienteil etwas reduziert haben, ist das temporärer Vorsicht wegen möglicher Nervosität aufgrund der US-Geldpolitik geschuldet und nicht Misstrauen gegenüber Aktien.
Ihre Priorität ist Europa. Wie investieren?
Je risikofähiger ein Anleger ist, desto mehr sollte er sich dem Süden von Europa zuwenden. Dort wirkt der Hebel von EZB-Spritze und schwächerem Euro am stärksten. In Frage kommen aktive Fonds, aber auch ETF, paneuropäische oder länderspezifische, zum Beispiel für Spanien, Italien und Portugal. Nach Sektoren setzen wir wachstumsorientierte vor defensive, etwa Banken, Industrie und Technologie.
Die gestiegene Bewertung auch in Europa ist kein Hindernis für Investments?
Da sich die Zinsen kaum stark bewegen und so die Bewertungsprämie für Aktien gerechtfertigt ist, dreht sich alles um die Unternehmensgewinne. Die Stimmung an Europas Randmärkten ist noch immer von der Frustration geprägt, dass der Euro stark ist und die Wirtschaft schwächelt. Dieses Blatt wird sich wenden. Ein tieferer Wechselkurs hat enormen Einfluss auf die Exportdynamik und damit den Gewinn der Unternehmen. Vorab in der Peripherie ist die gegenwärtige Bewertung mit Sicht auf das Unternehmenswachstum in den kommenden zwölf bis achtzehn Monaten attraktiv.
Wo erwarten Sie die Börsen Ende Jahr?
Auch die grossen Märkte werden Ende Jahr höher notieren als heute, wobei das Potenzial unterschiedlich ist: 10 bis 15% im zweiten Halbjahr in Europa, und vergessen wir Japan nicht. Dort bietet sich das gleiche Bild wie im Euroland, vielleicht noch ausgeprägter, die Notenbank auf Expansionskurs, zurückhaltende Anleger, der Spielraum nach oben entsprechend gross. Goldman Sachs (GS 176.24 -0.33%) sagt zu Recht: «Es ist auch möglich, dass in Japan mal etwas funktioniert.»
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