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07:06 Uhr - 07.08.2017

«Die Frage ist nur, wann die Bombe losgeht»

Fred Hickey, Verfasser des Investmentbulletins «The High-Tech Strategist», rechnet mit einem baldigen Knall an der Börse und sieht glänzende Aussichten für Gold.

Wallstreet ist in Champagnerlaune. Gestemmt von Börsenriesen wie Apple (AAPL 156.39 0.53%) und Boeing (BA 237.71 -0.23%) ist der Dow Jones (Dow Jones 22092.81 0.3%) diese Woche erstmals über 22 000 geklettert. Fred Hickey mag die unbeschwerte Sommerstimmung nicht teilen. Der Contrarian rechnet mit gravierenden Folgen, wenn Notenbanken wie das Federal Reserve die Geldpolitik weiter straffen. «Es könnte zu einem schwerwiegenden Rückschlag oder zum Crash kommen», sagt der Investmentprofi mit langjähriger Erfahrung in der IT-Branche. Er zieht Parallelen zu den Übertreibungen der Internetblase und warnt, dass sich aus dem Boom in ETF-Anlagen und dem Hype um Tech-Aktien wie Amazon (AMZN 987.58 0.07%), Netflix (NFLX 180.27 0.58%) und Google (GOOGL 945.79 0.58%) ein explosiver Cocktail zusammengebraut hat. Schutz sucht er in Goldminenwerten, denen er eine glänzende Zukunft voraussagt.

Herr Hickey, der Dow bewegt sich auf Rekordniveau. Wie geht es jetzt weiter?
Wir befinden uns in einer gigantischen Blase. Es ist bereits die dritte in den letzten zwei Jahrzehnten nach den Exzessen von 2000 und 2007. Die Ursache ist jedes Mal die gleiche: Die Zentralbanken drucken immer mehr Geld. Allein seit der Finanzkrise haben sie 12 000 Mrd. $ ins System gepumpt. In den USA hat das Federal Reserve die Geldpresse zwar gestoppt. Andere Institute drucken jedoch munter weiter, weshalb wir diesen Wahnsinn an den Märkten erleben.

Das Fed will im September den nächsten grossen Schritt zur Normalisierung der Geldpolitik machen und den Abbau der Bilanz starten. Geht das gut?
Die Zentralbanken wollen uns glauben machen, dass der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik in ruhigen Bahnen verlaufen wird. Es werde etwa so aufregend sein, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen, hat Fed-Chefin Janet Yellen gesagt. Das ist eine Illusion. Es waren die Liquiditätsspritzen des Fed, die im März 2009 die Hausse an den US-Börsen lanciert haben. Seither sind die Kurse auf nahezu das Vierfache gepusht worden. Ebenso wird es die Märkte belasten, wenn jetzt Geld aus dem System abgezogen wird. Wahrscheinlich kommt es sogar bald zu ersten Turbulenzen, wie das im September und Oktober saisonal oft der Fall ist.

Wo besteht denn am meisten Gefahr? Besonders heiss laufen dieses Jahr Aktien aus dem IT-Sektor, was Erinnerungen an die Internet-Blase weckt.
Da gibt es diverse Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. In den späten Neunzigerjahren konzentrierte sich der Boom primär auf die Branchen Technologie, Medien und Telecom. Value-Aktien hingegen wurden vernachlässigt, was trotz der Manie Chancen eröffnete. Auch rentierten Staatsanleihen damals noch ansprechend. Heute sind die Blasen überall: Von Ramsch-Anleihen über Immobilien in China, Australien und Kanada bis hin zu den irrationalen Bewertungen an der Börse. Auch ist die Verschuldung viel massiver. Der Grund für die Finanzkrise waren schlechte Kredite. Das Problem wurde nicht an der Wurzel gepackt, die globale Verschuldung hat sich durch die ultralockere Geldpolitik seither 50% erhöht.

Und wo sind Parallelen zum Internetboom?
Wie damals sind manche Aktien im Technologiesektor heute exzessiv hoch bewertet. In der Gruppe der FANG-Titel zum Beispiel, zu denen Facebook (FB 169.62 0.61%), Amazon, Netflix und Google gehören, ist Google mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von gut 30 noch der günstigste Wert. Amazon handeln zu mehr als dem 200-Fachen des Gewinns und Netflix sind sogar noch viel teurer. Das, obwohl Netflix gewaltige Mengen an Geld verbrennt.

IT-Werte wie Apple, Google, Amazon und Facebook haben zuletzt massgeblich zu den Avancen an der US-Börse beigetragen. Wie gesund ist dieser Trend?
Er zeigt, wie eng der Markt ist. Wenn sich Investoren auf eine immer kleinere Gruppe von Titeln stürzen und diese praktisch den gesamten Markt tragen, ist das meist ein Warnsignal, bevor es abwärtsgeht. Diese massive Konzentration hat zudem mit dem ETF-Phänomen zu tun.

Was meinen Sie damit?
Die Kurseinbrüche von 2000/01 und 2007/08 haben viele Investoren hart getroffen. Sie haben deshalb das Vertrauen in aktive Fondsmanager verloren und investieren stattdessen in Instrumente wie Exchange Traded Funds oder kurz ETF. Diese passiven Anlagevehikel enthalten aber oft alle die gleichen Titel. Je mehr Mittel in ETF fliessen, desto mehr Geld strömt damit in Aktien wie Apple, Amazon und Facebook. Dadurch steigt der Kurs dieser Valoren weiter, was wiederum noch mehr ETF-Gelder anzieht. Dieser Pyramideneffekt ist extrem gefährlich.

Weshalb ist der ETF-Boom gefährlich?
Trotz all der Eingriffe der Zentralbanken lassen sich die Gesetze der Physik nicht aufheben. Auch dieser Konjunkturzyklus wird enden, wobei er bereits weit fortgeschritten ist. Damit fragt sich, was passiert, wenn es zu einer Verkaufswelle kommt. ETF sind stets voll investiert. Das heisst, sie werden in einer Korrektur nicht nur massive Abflüsse erleiden, sondern halten auch keine Cash-Reserven, um die Kurse mit Zukäufen stabilisieren zu können. Dem Markt fehlt somit ein Sicherheitspolster, sodass der Boden plötzlich wegbrechen kann. Die Bombe tickt also längst. Die Frage ist nur, wann sie losgeht.

Was würde bei einer Explosion geschehen?
Am anfälligsten sind die Aktien mit den extremsten Bewertungen. Amazon beispielsweise ist zwar ein grossartiges Unternehmen. Die Valoren sind jedoch nicht unverletzlich. Im Gegenteil: Während des Crashs von 2008 sind sie in nur vier Monaten 65% eingebrochen. Das kann erneut passieren, wobei das Kurs-Gewinn-Verhältnis dann immer noch fast 70 betragen würde. Tesla könnten sogar 95% oder 100% verlieren, wie das mit vielen unprofitablen Unternehmen der Fall war, als die Internetblase platzte. Etwas besser dürften sich Google und Microsoft (MSFT 72.68 0.73%) halten – und wer weiss schon, was aus Apple wird.

Apple war diese Woche der Star an der Börse. Nach soliden Quartalszahlen sehen Investoren der nächsten Generation des iPhone mit Zuversicht entgegen.
Die Hardcore-Fans von Apple – ich nenne sie Appleholiker – werden alles kaufen, was der Konzern auf den Markt bringt; selbst wenn das ein Geschirrspüler ist. Es spielt daher nicht so eine grosse Rolle, was das neue iPhone für Funktionen hat. Es wird das Geschäft von Apple in den nächsten Quartalen so oder so ankurbeln. Dann kommt aber das grosse Problem.

Was ist das grosse Problem von Apple?
Das iPhone macht weitaus den grössten Anteil von Apples Gewinn aus. Obschon der Konzern an der Börse zu über 800 Mrd. $ bewertet ist, hat er seit dem Tod von Steve Jobs vor fünfeinhalb Jahren keine echte Neuigkeit mehr präsentiert ausser einem 5 Mrd. $ teuren Konzernsitz. Das ist deshalb problematisch, weil der Markt für Smartphones gesättigt ist. Gelingt Apple nicht ein innovativer Durchbruch, ist es mit der Erfolgsstory nach dem neuen iPhone vorbei. Investoren werden das frühzeitig antizipieren und sich aus den Titeln verabschieden.

Gibt es derzeit überhaupt attraktive Investments im Tech-Sektor?
Die besten Aussichten haben Ausrüster der Halbleiterindustrie. Sie profitieren von den steigenden Investitionen der etablierten Hersteller sowie vom Vorpreschen Chinas, das mit staatlichen Mitteln eine heimische Chipindustrie aufbaut. Speziell für Produzenten von Speicherchips wie Western Digital und Micron (MU 27.92 0.32%) Technology sind das schlechte Nachrichten. Die Konkurrenz aus China wird die Halbleiterbranche noch heftiger erschüttern als zur Zeit, als Japan und Taiwan in den Markt eingestiegen sind. Equipment-Hersteller wie Applied Materials oder ASM International werden von Chinas Investitionen jedoch profitieren. Trotzdem wäre ich vorsichtig mit Engagements. Die Lage an der Börse ist prekär, und wenn der Knall kommt, wird er fast alle Aktien treffen.

Sie sind bereits seit Längerem skeptisch für Aktien. Frustrieren Sie die kräftigen Kurssteigerungen nicht?
Weit weniger, als man denken könnte. Ich konzentriere mich nämlich auf eine Wertanlage, die sich mitten in einer langfristigen Hausse befindet: Gold (Gold 1257.25 0%). Da ich aus der Technologiebranche komme, hatte ich zunächst kaum Interesse an Edelmetallen. Seit die Zentralbanken und speziell das Fed nach dem Platzen der Internetblase aber damit begonnen haben, mit immer extremeren Massnahmen zu experimentieren, führt kein Weg an Gold vorbei.

Seit das gelbe Metall im Herbst 2011eine Bestmarke erreichte, ist der Glanz aber etwas erloschen.
Was wir in den letzten Jahren gesehen haben, ist eine zyklische Zwischenbaisse während der langfristigen Hausse, die 2002 begonnen hat. Gold hat seither pro Jahr durchschnittlich mehr als 10% gutgemacht, was die Performance des Dow Jones deutlich übertrifft. Die Vergangenheit zeigt zudem, dass sich Gold und IT-Aktien wie Yin und Yang zueinander verhalten: Wenn Gold sinkt, steigen IT-Titel und umgekehrt. Wer die enormen Gefahren an der Börse ernst nimmt, findet in Gold deshalb attraktive Chancen. Das erkennen derzeit aber nur wenige, obwohl sich der Goldpreis einem charttechnischen Ausbruchspunkt nähert.

Wie haben Sie sich dafür positioniert?
Am meisten Potenzial haben Minenaktien. Wenn der Goldpreis ausbricht, werden alle Valoren aus der Branche anziehen, genauso, wie sämtliche Aktien aus dem IT-Sektor beim nächsten Crash ins Taumeln geraten. Dennoch spielt Qualität eine wichtige Rolle. Entscheidend ist vor allem, wo sich die Minen einer Gesellschaft befinden. In Regionen wie Afrika und Südamerika besteht latent das Risiko, dass es zu Verstaatlichungen kommt. Aktuelle Beispiele dafür sind Südafrika und Tansania. Das billige Geld der Notenbanken hat viele Regierungen in den aufstrebenden Märkten dazu verleitet, sich enorme Schulden aufzuladen. Springt der Goldpreis richtig an, werden sie sich deshalb alles krallen, was sie an Wertanlagen finden.

Was sind also Ihre Favoriten?
Ich mag Unternehmen mit Minen in Kanada, Australien, Finnland und in den USA, wo Eigentumsrechte respektiert werden. Anders als die Herde an der Börse setze ich daher nicht auf die FANG-Aktien im Tech-Sektor, sondern auf die FANG-Gruppe in der Goldbranche: Franco Nevada, Agnico-Eagle, New Gold und Goldcorp (GG 12.56 -1.95%). Diese Konzerne haben ihre Kostenstruktur in den letzten Jahren wesentlich verschlankt, sodass sich der Goldpreisanstieg überproportional auf ihren Gewinn durchschlagen wird. Obschon der nächste Preisschub bevorsteht, werden ihre Valoren aber noch völlig vernachlässigt, was mich umso enthusiastischer stimmt.

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