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07:16 Uhr - 04.02.2015

«Franken kann auch bei Rezession sehr stark werden»

Thomas Flury, der UBS-Devisenstratege, hält von den Gerüchten über eine geheimen Untergrenze wenig: Weshalb soll sie stressresistent sein, wenn es die alte nicht war? Ein Interview mit der FuW.

Herr Flury, wie hat der Devisenexperte auf das Aus für den Euromindestkurs reagiert? Ich war überrascht und erstaunt. Selbstverständlich konnte man sehen, dass die Ankündigung der Negativzinsen im Dezember wenig brachte, um die Frankennachfrage zu dämpfen. Aber dass die Nationalbank deshalb die Kursuntergrenze fallen lässt und die Negativzinsen verschärft, damit hatte ich nicht gerechnet.

Alle fragen sich, wie es mit dem Franken weitergeht. Ihre Antwort?
Die Rolle des Frankens als sicherer Hafen ist nach Aufgabe der Kursuntergrenze gestärkt. Das heisst, wir müssen immer wieder mit einer Kombination aus Aufwertung und Interventionen rechnen, sobald in Europa die politischen Prozesse kompliziert werden. Wir gehen auf Sicht von drei bis sechs Monaten von einem Franken für einen Euro aus, auf zwölf Monate hinaus von 1.05 Fr. Unsere Prognose gibt jeweils die Mitte der erwarteten Schwankungsbreite an.

Zur PersonThomas Flury ist UBS-Devisenstratege. Von Gerüchten über eine geheime Untergrenze sowie langfristigen Negativzinsen hält er wenig.

Was bedeutet die Kursabschwächung auf rund 1.05 Fr. € von letzter Woche, die noch immer Bestand hat?
Die Kurserholung von vergangener Woche erachten wir nicht als nachhaltig. Der Kurs ist höchstwahrscheinlich von Interventionen gestützt, auch wenn eine Bestätigung der Nationalbank darüber noch ausstehend ist.

Wie weit ist der Anstieg der Giroguthaben der Banken bei der Nationalbank ein Hinweis, dass die SNB (SNBN 1045 -0.19%) den Franken schwächt? Zumindest vor Einführung der Mindestzinsen war das jeweils ein klares Signal.
Die Giroguthaben sind ein Spiegel der Geldmittel bei den Geschäftsbanken, und zwar unabhängig vom vorherrschenden Zins. Bei gleichbleibender Bargeldhaltung zeigt ein Anstieg der Giroguthaben ziemlich sicher an, dass die Nationalbank intervenieren musste. Ohne diese Interventionen, so ist anzunehmen, wäre der Franken stärker.

Von welcher Zielgrösse, schätzen Sie, geht die Nationalbank aus: Von einem fixen Wert oder einer Bandbreite, wie es die Sonntagspresse mit 1.05 bis 1.10 Fr/€ kolportierte?
Von diesen Gerüchten einer geheimen Untergrenze halte ich wenig. Es mag zwar sein, dass man von solchen Grenzen spricht, aber glaubwürdig sind sie definitiv nicht. Wenn die alte Kursuntergrenze bei 1.20 Fr. pro Euro nicht stressresistent war, wieso sollte eine neue, geheime Untergrenze irgendwie verbindlich sein?

Was bestimmt denn den Wechselkurs? Die Kaufkraftparität, von der immer wieder die Rede ist, scheint es nicht zu sein. Die ist weit entfernt.
Die Kaufkraftparität ist ein langfristiger Anker, um den herum die Wechselkurse schwanken. Laut unseren Berechnungen liegt er bei 1.28 Fr./€. In Zeiten der Unsicherheit tendiert der Franken zu Stärke relativ zum Ankerwert – aber Vorsicht! Die Kaufkraftparität ist keine feste Grösse. Die Frankenaufwertung von 15% wird bei uns zu tieferen Preisen führen und somit den Gleichgewichtskurs senken. Möglich, dass man die 1.28 nie mehr sehen wird.

Sind die Inflationsdifferenz oder der Zinsunterschied Grössen, an denen man sich orientieren kann, auch wenn die Zinsen durch die Notenbanken verzerrt werden?
Die Negativzinsen auf Dreimonatsdepositen, die ja auf dem Interbankenmarkt etwa 1,5% unterhalb der Eurozinsen liegen, sollten langfristig sicherstellen, dass der Franken sich nicht weiter aufwertet. Eine solche Zinsdifferenz schützt jedoch kurzfristig nicht gegen sogenannte Safe-Haven-Zuflüsse, der Flucht an einen sicheren Ort, so wie sie in den letzten beiden Monaten verzeichnet wurden.

Die Konjunkturforschungsstelle der ETH, das Kof, sagt der Schweiz für 2015 eine kurze Rezession voraus. Was heisst das für den Wechselkurs?
Im Grunde führt eine schwächere Wirtschaft zu einer schwächeren Währung. Sehr strikt ist der Zusammenhang zwischen Wechselkurs und Wirtschaftsentwicklung aber nicht. Das ganze hängt auch noch von der politischen und wirtschaftlichen Situation ab. Zeichnet sich da in Europa nicht ein Silberstreifen am Horizont ab, kann der Franken auch bei Rezession in der Schweiz sehr stark werden.

Und falls die Schweiz in eine Deflation abdriftet? Ist die Währung auch dann stark, so wie beim Yen, als Japan jahrelang in einem deflationären Umfeld gefangen war und der feste Yen die Deflation seinerseits noch verstärkt hat?
Eine ausgeprägte Deflation in der Schweiz würde den Franken vermutlich stärken.  Über diesen Verlauf gibt es allerdings widersprüchliche Theorien. Unsere Beobachtung ist, dass sich eine Währung während der Deflation so lange festigt, bis die Zentralbank und/oder der Staat mit einer expansiven Politik Gegensteuer gibt. Deflation bringt hohe Realzinsen und eine Repatriierung von Geldern aus dem Ausland. Die Schweiz ist zwar nicht Japan, aber der Prozess könnte durchaus ähnlich ablaufen.

Negativzinsen würden die Frankenstärke mildern, sagt die Schweizerische Nationalbank. Braucht es allenfalls für zusätzliche Massnahmen, bis hin zu Kapitalverkehrskontrollen?
Negativzinsen sind eine Belastung für alle Finanzinstitute. Ich denke, sie können nicht beliebig verschärft werden und sind längerfristig kaum durchsetzbar. Kapitalverkehrskontrollen kann man deshalb heute nicht mehr ausschliessen. Der Bundesrat und die SNB haben in den letzten Jahren öfters Kapitalverkehrskontrollen als «Griff in den Giftschrank» thematisiert und ihn als Ultima Ratio nicht ausgeschlossen.

War die Mindestkurspolitik berechtigt,  oder von Beginn an ein Rohrkrepierer?
Den Unternehmen und Konsumenten hat der Mindestkurs, solange er bestanden hat, viel Sicherheit vermittelt. Es gibt genügend Beispiele, dass es klappen kann. So sind der Hongkong-Dollar und der Saudische Rial seit Jahrzehnten an den US-Dollar gebunden, und die Dänenkrone ist zum Euro fixiert, seit es ihn gibt. Bei allen drei Währungen wurde immer wieder vergeblich auf ein Aufbrechen spekuliert. Letztlich sind es kulturelle Unterschiede, warum es in diesen Ländern funktioniert. In der Schweiz sorgt man sich stärker über die Grösse und die Zusammensetzung der Zentralbankbilanz. In gewissen Ländern gelten grosse Reserven als Zeichen der Stabilität und niedrige Inflation als Bestätigung, dass man den Job gut gemacht hat.

Bei der Geldpolitik sind die Notenbanken zur Forward Guidance, zur sanften Vorbereitung der Märkte auf Kurswechsel, übergegangen. Weshalb nicht bei Währungen?
In diesem speziellen Fall war das unmöglich. Jede Bemerkung der Notenbank über eine Aufgabe des Mindestkurses hätte zu einem massiven Zufluss in den Franken geführt.

Hat die Schweizerische Nationalbank, nachdem sie nur drei Jahre an der Kursuntergrenze festhielt, was an Stop and Go gemahnt, jetzt ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Die Nationalbank hat ihren Ruf als Hüterin der langfristigen Stabilität restauriert. Die Bedeutung der Preisstabilität mag in Zukunft zunehmen, und da hat sie Glaubwürdigkeit zurückerobert. Andererseits hat sie den Mindestkurs aufgegeben, ohne eine Strategiealternative zu präsentieren. In dieser Beziehung hat sie an Glaubwürdigkeit eingebüsst. Sie hat den Krug zum Brunnen getragen, bis er zerbrochen ist.

Gibt es eine Währung, die mit dem Franken mithalten oder ihn übertreffen kann?
Wir glauben nicht, dass der Dollar oder das Pfund gegenüber dem Franken ins Hintertreffen geraten werden, zumindest nicht auf zwölf Monate hinaus. Kurzfristig kann es aber je nach internationaler Gefahrenlage zu einer bedeutenden Aufwertung gegenüber dem Dollar kommen. Wir haben wie gesagt eine Zwölfmonatsprognose von 1.05 Fr. pro Euro.  Einen Anstieg auf 1.08 Fr. würden wir als gute Verkaufsgelegenheit für Euros erachten. Beim Dollar ist die Zwölfmonatsprognose 0.91 Fr.  Anders als beim Euro formulieren wir beim Dollar keine so klare Verkaufsgrenze.

Würden Sie aus Frankensicht jetzt im Ausland investieren?
Ja, aber auf Basis der heutigen Wechselkurse unbedingt mit Absicherung.

Absicherung um jeden Preis?
Wo sich Absicherungen aufdrängen, ist individuell und hängt vom Engagement und von der Tragfähigkeit ab. Wer mit seinem Unternehmen oder als Anleger wenig Raum hat, Währungsrisiken einzugehen, sollte sie absichern – auch wenn das teuer ist. Die Währungssituation ist mit Abschaffung der Kursuntergrenze in vielerlei Hinsicht riskanter geworden. Die Schweizerische Nationalbank wird in Stresszeiten dem Markt auch in Zukunft Liquidität zuführen – mit oder ohne Eurountergrenze. Ihr Aktionsspielraum ist jedoch eingeschränkt. Also wird die Schweiz lernen müssen, mit mehr Wechselkurschwankungen umzugehen.

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