Joachim Fels, Chefökonom von Pimco, kann den Optimismus an den Börsen nicht nachvollziehen. Dafür gebe es zu viele Unbekannte.
Es war noch nie so schwierig, eine Prognose zu erstellen. Das sagt Joachim Fels, Chefökonom des kalifornischen Vermögensverwalters Pimco, der seit immerhin knapp dreissig Jahren im Geschäft ist. Er kann den Optimismus an den Börsen nicht nachvollziehen. Anleger dürften sich nicht nur auf das wahrscheinlichste Szenario stützen.
Zur PersonJoachim Fels gehört zu den weltweit erfahrensten Marktbeobachtern. In den gut dreissig Jahren, in denen er Wirtschafts- und Finanzmarktprognosen erstellt, hat der Deutsche mehrere Haussen und Börseneinbrüche erlebt. Seit zwei Jahren ist er Chefökonom des kalifornischen Anleihenspezialisten Pimco, der zur Allianz-Gruppe gehört. Zuvor war er während neunzehn Jahren in verschiedenen Chargen für die US-Investmentbank Morgan Stanley tätig, zuletzt als globaler Chefökonom. Daneben gehörte Fels zu den Gründungsmitgliedern des Schattenrats der Europäischen Zentralbank. Herr Fels, Sie bezeichnen 2017 als Jahr der Unbekannten. Machen Sie es sich damit nicht etwas zu einfach?
Ich bin seit knapp dreissig Jahren im Prognosegeschäft tätig. Es war noch nie so schwierig, eine Prognose zu erstellen – vielleicht abgesehen von der Finanzkrise. In den USA stehen Weichenstellungen in der Wirtschaftspolitik an, in Europa zahlreiche Wahlen. Wir müssen dazu übergehen, auch alternative Szenarien auszuarbeiten, die das Unwahrscheinliche höher gewichten. Für Investoren wäre es leichtsinnig, sich nur auf die wahrscheinlichste Prognose abzustützen.
In den USA wird demnächst Donald Trump als neuer Präsident vereidigt. Wohin wird er das Land führen?
Das ist bereits die erste Unbekannte. Trump ist in wirtschaftspolitischen Fragen ein unbeschriebenes Blatt. Wie wird die Handelspolitik nun tatsächlich ausgestaltet? Gibt es einen Handelskrieg? Waren Trumps Worte vor der Wahl mehr Lärm und Säbelrasseln? Wir wissen es nicht.
Bekannt ist, dass er mit Investitionen in Infrastrukturbauten und tieferen Steuern die Wirtschaft ankurbeln möchte. Genügt das?
Weder zur Steuerpolitik noch zu Investitionen sind Details bekannt. Es gibt zum Thema Infrastrukturausgaben ein Paper von zwei Beratern Trumps. Sie gehen davon aus, dass er nicht höhere Staatsausgaben anstrebt, sondern die Zusammenarbeit mit privaten Investoren im Rahmen einer Public Private Partnership, PPP, die von Steuernachlässen profitieren.
Eine suboptimale Lösung?
Ja, weil keine Garantie besteht, dass über PPP zusätzliche Investitionen angestossen werden. Dank einer höheren Nachsteuerrendite für Investoren ist denkbar, dass lediglich Projekte vorgezogen werden, die ohnehin realisiert worden wären.
Dennoch sind die Märkte seit der Wahl Donald Trumps positiv gestimmt. Zu Unrecht?
Das lässt sich heute nicht beurteilen. Ich bin bloss überrascht, wie optimistisch die Märkte sind, dass das bestmögliche Szenario eintritt. Die Börsen scheinen einen guten Ausgang komplett einzupreisen.
Was heisst das für Investoren?
Sie müssen sich daran gewöhnen, dass nicht nur Risikoereignisse wie Wahlen oder Abstimmungen schwer vorhersagbar sind, sondern auch die Reaktion der Märkte. Das alles passt in das aktuelle Bild der radikalen Unsicherheit.
Ein neues Phänomen?
Ja, aus einem einfachen Grund. In den vergangenen zwanzig bis dreissig Jahren haben politische Risiken an den Märkten kaum eine Rolle gespielt. Wir als Marktteilnehmer wurden darauf konditioniert, Wirtschaftszahlen zu analysieren, daraus die Auswirkungen auf die Wirtschafts- und die Geldpolitik abzuleiten und abzuschätzen, was dies für die Märkte heisst.
Politische Börsen haben kurze Beine – ist dieses Sprichwort überholt?
Politische Risiken haben zumindest dann lange Beine, wenn sie grosse wirtschaftspolitische Veränderungen mit sich bringen. Und diese Gefahr ist in den USA noch nicht auszuschliessen.
Was ist die grösste Gefahr bei der von Donald Trump ausgelösten Kursrally?
Dass zu viel Optimismus herrscht. Durch Trumps Wahl ist die Gefahr einer Rezession in den nächsten vier Jahren deutlich gestiegen.
Weshalb?
Alle sechs republikanischen Präsidenten der Nachkriegszeit erlebten wenigstens eine Rezession in ihrer Amtszeit.
Ist das nicht eine gar simple Ableitung?
Natürlich spielen noch andere Faktoren mit. Sollte Trump Einfuhrzölle auf chinesische Produkte erheben, wird es ziemlich sicher eine Gegenreaktion aus China geben, zum Beispiel über eine Abwertung des Yuans. Schnürt er ein grosses Fiskalpaket, das die Wirtschaft 2018 und 2019 stark stimuliert, kann es zur Überhitzung kommen. Die Wirtschaft ist heute schon gut ausgelastet, der Arbeitsmarkt ist nahe der Vollbeschäftigung. Wenn dann die Inflation anzieht und die Notenbank die Zinsen kräftig erhöhen muss, könnte im Jahr 2019 oder 2020 eine Rezession drohen. Also (ALSN 93.6 -0.48%) dann, wenn wieder Wahlen anstehen.
Was ist für Sie eine kräftige Zinserhöhung?
Entscheidend ist die Kadenz der Erhöhungen und ob der Zins dann über oder unter dem neutralen Satz liegt. Kritisch wird es erst darüber. Der neutrale Zins kann indes nur geschätzt werden. Für die USA gehen wir davon aus, dass die Geldpolitik nicht restriktiv ist, solange der Leitzins nicht über 2% steigt.
Für 2017 stellt das Fed drei Zinsschritte in Aussicht. Wie glaubwürdig ist das?
Wir gehen von zwei bis maximal drei Schritten aus. Zumindest stehen dieses Mal die Chancen besser, dass das Fed die Zinsen mehr als einmal anhebt. Im Gegensatz zu 2016 wird die Fiskalpolitik Unterstützung bieten. Bereits die Erwartungen an diesen Stimulus haben die Stimmungsindikatoren nach oben getrieben. Unternehmen sind zuversichtlicher geworden, das Konsumentenvertrauen ist seit der Wahl ebenfalls gestiegen.
Ihre grösste Sorge für dieses Jahr ist also nicht Europa, sondern die USA?
In den USA habe ich Angst, dass in den nächsten vier Jahren etwas schiefgeht. Europa macht mir wegen der politischen Entwicklung über die nächsten zwölf Monate Sorgen. Deshalb sind wir für europäische Anlagen eher vorsichtig.
Wie werten Sie die Reduktion des Anleihenkaufprogramms durch die EZB?
Es ist ein vorsichtiges Eingeständnis, dass die Geldpolitik allmählich an ihre Grenzen stösst. Je länger sie ihre Politik fortgesetzt hätte, desto grösser wären die negativen Effekte ausgefallen, zum Beispiel die Kosten für das Finanzsystem. Bemerkenswert ist ja, dass die EZB das Kaufprogramm reduziert, obschon das Inflationsziel noch deutlich unterschritten wird.
Ist der Schritt dennoch sinnvoll?
Jein. Wenn die EZB alles unternehmen möchte, um das Inflationsziel möglichst schnell zu erreichen, ist er negativ. Wenn sie aber auch die negativen Nebenwirkungen ihrer Politik berücksichtigt, könnte man ihn als positiv werten.
Was gewichten Sie höher?
Ich halte ihn für gefährlich. Die Notenbank hat in erster Linie die Aufgabe, die Preisstabilität zu wahren. Die Finanzstabilität sollte sie mit anderen Mitteln anstreben. Ich werte den Schritt deshalb als Eingeständnis, dass sie unter den heutigen Umständen das Inflationsziel von 2% nicht erreichen kann. Es ist ein Signal an die Märkte, dass auch eine Inflation von 1 oder 1,5% in Ordnung ist. Je tiefer aber die Inflationsrate ist, desto schwieriger wird es die EZB in der nächsten Rezession haben, etwas dagegen zu unternehmen.
EZB-Präsident Mario Draghi will die Reduktion nicht als Tapering – also den schrittweisen Rückzug aus dem Kaufprogramm – verstanden wissen. Sehen Sie das auch so?
Das halte ich für etwas bemüht. Wenn die EZB die Käufe von 80 Mrd. € monatlich auf 60 Mrd. reduziert, ist das für sich genommen ein Tapering. Die risikolosere Variante wäre gewesen, mit 80 Mrd. € weiterzumachen. Viel bedeutender ist, dass die EZB ihre Strategie verändert hat.
Inwiefern?
Sie hat eine versteckte Zinssenkung gemacht. Sie erlaubt nun den ihr angeschlossenen Notenbanken, Obligationen zu kaufen, die weniger als –0,4% rentieren. Das hat am Markt zu einer Senkung der Renditen von kurzen und mittleren Laufzeiten geführt, was man auch als indirekte Zinssenkung sehen kann. Das hat eine Abschwächung des Euros gegenüber dem Dollar nach sich gezogen und hilft, die Inflation anzutreiben.
Was bedeutet das für den Franken?
Steigt in Europa die Unsicherheit, könnte er wieder zur Fluchtwährung werden. Die Schweizerische Nationalbank hat jüngst angedeutet, dass sie der allgemeinen Währungssituation Rechnung trägt. Schwächt sich der Franken gegenüber dem Dollar ab, kann ihm zum Euro etwas mehr Stärke zugebilligt werden.
Was faktisch die Anbindung des Frankens an einen Währungskorb wäre?
Zumindest an einen Mini-Währungskorb, der aus Dollar und Euro besteht. Es macht ja auch Sinn für eine Notenbank, sich nicht nur auf einen Wechselkurs zu konzentrieren. Es spielt auch eine Rolle, wie sich die eigene Valuta zu anderen Währungen entwickelt. Letztlich interessiert, was mit dem gewichteten Aussenwert des Frankens passiert.
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