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07:19 Uhr - 23.03.2017

Was steckt wirklich hinter der steigenden Inflation?

Wegen der Energiepreise liegt die Teuerung in den Industrieländern auf Spitzenwerten. Wie geht es von hier aus weiter?

Die Inflation meldet sich zurück. In den meisten Industrieländern liegt sie nur noch knapp unter den Inflationszielen der jeweiligen Notenbank. In Euroland und Grossbritannien hat sie den Wert sogar übersprungen. Ist also die Zeit gekommen, um die ultraexpansive Geldpolitik zu drosseln?

zoomIn der Eurozone fällt der Befund nicht eindeutig aus. Die Konsumentenpreise lagen im Februar zwar 2% über dem Vorjahresniveau. Die Teuerungsrate war im Dezember erstmals seit Langem höher als 1% ausgefallen und schnellte im Januar auf 1,8%. Allerdings verteuerten sich nur zwei Posten im Warenkorb, der der Inflationsmessung zugrunde liegt: Benzin und Frischgemüse. Ersteres wegen des Basiseffekts – allein im Februar 2016 war der Benzinpreis 11% gefallen – und Letzteres wegen des kalten Winters, der das Angebot an Frischgemüse verknappte.

Eurozone ohne Schwung

Der Preisanstieg dieser beiden Waren macht 1 Prozentpunkt der 2%-Februar-Inflation aus, und er erklärt die gesamte Aufwärtsbewegung des harmonisierten Verbraucherpeisindex (HVPI) seit November, obwohl beide Güter zusammen im Index nur 6% Gewicht haben. Ein genereller Inflationsschub sieht anders aus.

zoomAm Montag bestätigte sich auch, dass kein Lohnschub sichtbar ist. Die Arbeitskosten in der Eurozone sind im vierten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 1,6% gestiegen, nach 1,4% im dritten. Das ist zu wenig, um die Gefahr von Zweitrunden­effekten nach den Öl- und Importpreissteigerungen an die Wand zu malen. In den meisten Eurostaaten stagnieren oder sinken die Löhne. Allerdings zeigt die gute Konjunktur in Deutschland doch Wirkung in der Lohntüte.

Der Inflationsausblick fällt verhalten aus. Zwar ist damit zu rechnen, dass dank der Konjunkturerholung und der Euroabwertung die Preise von Industriegütern (ohne Energie) langsam steigen werden. Aber die Wirtschaftslage ist zu lau, um kräftige Preissteigerungen fürchten zu müssen. Stattdessen werden die Energiepreise den Teuerungsverlauf in der Eurozone bestimmen: Der Ölpreiseffekt lässt in den kommenden Monaten nach und damit auch der Inflationsanstieg.

«Im Februar haben wir den diesjährigen Höhpunkt der Inflation in der Eurozone vermutlich schon überwunden», folgern die Ökonomen der Bank HSBC (HSBA 648.8 -0.96%). Diese Entwicklung wird die EZB darin bestärken, nichts zu überstürzen. Das Anleihenkaufprogramm wird wohl 2018 reduziert fortgeführt und allenfalls der negative EZB-Einlagesatz im Herbst von –0,4 auf –0,25% leicht angehoben, mehr nicht, prognostizieren die Experten der Bank SEB.

USA tief gespalten

zoomInteressanterweise äusserte sich die Chefin der US-Notenbank nach der Leitzinserhöhung vergangene Woche ebenfalls zurückhaltend zur Geldpolitik. Auch die US-Inflation ist durch die Energiepreise nach oben verzerrt. Und auch dort dürfte der Höhepunkt des Jahres bereits erreicht sein. Die Teuerungsraten fallen künftig wegen des abnehmenden Rohölbasis­effekts geringer aus .

zoomWird von den Energiepreisen abgesehen, ist die Teuerung in den USA indes tief gespalten. Auf der einen Seite wachsen die Dienstleistungspreise solid, u. a. für Flüge und Mieten. Auf der anderen sinken die Güterpreise seit Jahren. Auch regional variiert die Inflation beträchtlich: Im Raum Chicago steigen die Konsumpreise um 2%, in Miami/Fort Lauderdale um das Doppelte.

Steigende Import- und Produzentenpreise sowie höhere Kapazitätsauslastungsraten  dank der gesunden Wirtschaft werden dafür sorgen, dass die Güterpreise anziehen. Exklusive Energie wird sich die US-Teuerung daher aufwärts bewegen. Die Finanzmärkte rechnen damit, dass die Kerninflation des Konsumentenpreisindex von derzeit 2,2% bis Dezember auf 2,6% steigt und Ende 2018 3% erreicht.

Preisschub in Britannien

Überraschend deutlich ist die Kernrate in Grossbritannien gestiegen. Im Februar erreichte sie 2%, wie am Dienstag bekannt wurde. Das ist mehr als der Konsens  vorhergesagt hatte. Dieses Jahr ist mit einem  beachtlichen Preisschub zu rechnen, denn das Pfund hat sich seit Mitte 2015 um 20% abgewertet, wodurch sich Importe verteuern. Ausserdem läuft der Konjunkturmotor entgegen der Brexit-Prognosen rund und bietet einen fruchtbaren Boden für Preiserhöhungen in allen Bereichen des Alltags.

Die Ökonomen der Bank Lloyds rechnen damit, dass die britische Inflationsrate Ende 2017 über 3% stehen wird. Umso überraschender ist es, dass nicht nur sie weiterhin davon ausgehen, dass sich die Bank of England von der Preisentwicklung nicht einschüchtern lassen wird. Wachstum und Arbeit seien ihr momentan wichtiger. Sie lasse es deshalb zu, dass die Inflation auch einmal überschiesse.

Kernteuerung und die SchweizAuch in der Schweiz ist die Inflation zuletzt gestiegen. Erstmals nach Jahren übersteigen die Konsumentenpreise das Vorjahresniveau. Das Staatssekretariat für Wirtschaft rechnet damit, dass das Wirtschaftswachstum zwar auf 1,9% (2018) anzieht, die Gesamtteuerung trotzdem gering ausfällt: 2017 wird sie durchschnittlich 0,5% betragen und sich 2018 auf 0,3% abflachen.

Wie im Ausland wird die Teuerung von den Energiepreisen bestimmt. Für Notenbanken sind solche Preisschwankungen nur relevant, wenn sie dauerhafte Spuren hinterlassen – beispielsweise wenn teureres Erdöl zu deutlich höheren Lohnabschlüssen führt, die das Preisniveau nach oben hieven (Zweitrundeneffekte). Um solche Trends besser zu erkennen, werden vorübergehende Schwankungen herausgefiltert. Dazu dienen Kerninflationsindizes. International üblich ist, die Preise für Energie sowie frische saisonale Produkte auszuklammern (Kernrate 1). Zusätzlich werden auch administrierte Preise ausgeschlossen (Kerninflation 2). Die Nationalbank berechnet darüber hinaus einen Index, der alle Komponenten mit Preisschwankungen über 15% herausrechnet (getrimmte Inflation). Für die Schweiz zeigen die Kernindizes, dass die Inflation weiterhin an der Nulllinie klebt.
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Regionale Differenzen im Fokus«One size fits all» lautet das Dilemma der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie betreibt eine einheitliche Geldpolitik, die für alle 19 Euro-Mitgliedsländer angemessen sein muss. In der Praxis wird sie diesem Anspruch kaum noch gerecht, kritisieren vor allem Ökonomen in Deutschland und den Niederlanden. Dort wächst die Wirtschaft kräftig, was sich auf die Preisentwicklung auswirkt. So kletterte die Kerninflation in Holland (ohne Energie, Nahrungsmittel, Alkohol und Tabak) in den vergangenen fünf Monaten von 0,4 auf 1,3%, während sie beispielsweise in Portugal auf 0,5% verharrt.

Aber ist diese Kritik gerechtfertigt? Dass die Inflation innerhalb eines Währungsraums deutlich variiert, ist nicht nur in der Eurozone der Fall. In den Vereinigten Staaten lässt sich seit dem Jahr 2014 das gleiche Phänomen beobachten. Vor allem im Westen der USA fällt die Inflation beachtlich aus. Im Februar erreichte dort die Kerninflation 2,9%, im Mittleren Westen beläuft sie sich dagegen nur auf 1,7%. Energiepreisschwankungen verdecken diese Unterschiede: Die Gesamtteuerung variiert in den USA von Region zu Region weniger. In der Eurozone ist das anders. Spanien wies zuletzt 3% aus, Nachbar Frankreich hingegen nur 1,4%.
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