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16:02 Uhr - 21.04.2015

Was man über Hellas wissen muss

Wann geht dem Land das Geld aus und gibt es einen Plan B? Die Antworten zu den dringendsten Fragen rund um die Krise in Griechenland.

Am Wochenende sah sich Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) gezwungen, seine Botschaft vom Juli 2012 zu wiederholen, alles Nötige für den Erhalt des Euros zu tun: «Es ist zwecklos, gegen den Euro zu wetten, er ist irreversibel.» Fast gleichzeitig mahnte er aber die Gläubiger und Athen, sich zu einigen. Ein Scheitern der Verhandlungen würde bedeuten, Neuland zu betreten.

Sollte der Vater der Outright Monetary Transactions (OMT) – der bedingten Käufe von Anleihen kriselnder Länder – nicht gelassener sein? Vertraut er der eigenen Krisenmassnahme nicht mehr? Sie hatte 2012 die akute Phase der Eurokrise beendet. Die Nachrichtenagentur Reuters will zudem erfahren haben, dass die EZB Szenarios für den Fall einer Pleite Athens durchspiele, etwa die Ausgabe einer Parallelwährung. Und verzweifelt klingt, was Medien am Montag verbreiteten: Die griechische Regierung habe öffentliche Einrichtungen angewiesen, Bargeldreserven der Nationalbank zu überweisen. Wie ernst ist die Lage derzeit also wirklich? Folgende Fragen und Antworten sollen helfen, die Lage einzuschätzen.

Wo harzt es in den Verhandlungen?
Es wird erwartet, dass die neuste Reformliste der Regierung Tsipras zumindest teilweise von den Hauptgläubigern EZB, Eurogruppe und Internationaler Währungsfonds (IWF) akzeptiert wird. Athen weigert sich aber – wie vom IWF gefordert – Löhne und Pensionen zu kürzen. Ohne zumindest ein Teil der für vergangenen Dezember zur Auszahlung vorgesehenen Hilfsgelder von 7,2 Mrd. € kann Athen die nächsten Monate finanziell kaum überleben. Nächsten Freitag, am 24. April, tagt die Eurogruppe im litauischen Riga, vorher wird kaum eine Einigung erwartet.

Welche Verpflichtungen sind dringend?
1,7 Mrd. € sind bis Monatsende für Löhne und Pensionen fällig. Auf den 1. Mai erwartet der IWF 202 Mio. € an Darlehenszins. Am 8. werden 1,4 Mrd. an Geldmarktpapieren, am 12. wieder 770 Mio. Zinsen für den IWF und am 15. Mai 1,4 Mrd. Rückzahlungen von Geldmarktpapieren fällig.

Welcher Gläubiger muss am ehesten dran glauben?
Experten gehen davon aus, dass Athen lieber den IWF im Mai nicht auszahlt als Pensionäre und Angestellte. Eine «verpasste» Zahlung gilt nicht schon als Zahlungsausfall. Der IWF kennt eine Gnadenfrist von zwei Monaten. In dieser Zeit könnte die Regierung Neuwahlen oder ein Referendum durchführen. Ihr Mandat, das bisher in Neuverhandlungen der Schulden, nicht aber in einem Euroaustritt besteht, könnte sich dann ändern. Standard & Poor’s hat letzte Woche mitgeteilt, eine ausgefallene Zahlung an einen offiziellen Gläubiger reiche nicht aus, um die Note auf «Selective Default» zu setzen. Dazu käme es nur, falls Private nicht bedient würden.

Bedeutet ein Zahlungsausfall den «Grexit»?
Während ein Ausfall in den letzten Wochen wahrscheinlicher wurde, gehen die meisten Analysten nicht von einem Euroaustritt Griechenlands dieses Jahr aus. Nicht nur eine verpasste Zahlung, selbst ein Zahlungsausfall bzw. eine Umschuldung (wie 2012) hätte nicht automatisch den «Grexit» zur Folge.

Welche Schulden muss Athen mittel- und langfristig begleichen?
Die dringendsten Rückzahlungsverpflichtungen beziehen sich auf Schatzanweisungen, IWF-Kredite und Staatsanleihen, die grösstenteils die EZB hält. An sie müssen im Juli und August insgesamt 6,7 Mrd. € zurückgezahlt werden. Beim IWF steht Hellas ab Juni mit 8 Mrd. € in der Kreide, dazu kommen geringere Zahlungen an Private. Inzwischen sind die Euroländer mit über 195 Mrd. € bzw. 60% der Staatsschuld die weitaus grösste Gläubigergruppe. Diese Kredite haben sehr lange Laufzeiten (über zwanzig Jahre) und  extrem tiefe Zinssätze. Die Kredite des Rettungsfonds EFSF sind in den ersten zehn Jahren gar zinslos.

Was würde Griechenland noch aus bestehenden Programmen erhalten?
Mit der endgültigen Genehmigung des zweiten Hilfsprogramms würde der IWF an Griechenland 2015 noch rund 12 Mrd. € auszahlen (3,5 Mrd. aus dem vergangenen Jahr, weitere 8,6 Mrd. für 2015). Zudem flössen nach dem Entscheid 1,8 Mrd. €  aus dem EFSF und 1,9 Mrd. aus den Gewinnen des alten Anleihenkaufprogramm SMP der EZB von 2012 nach Athen.

Wie lang reicht dem Staat das Geld noch?
Nach Einschätzung von IWF-Europachef Poul Thomson reichen die Mittel der griechischen Regierung noch knapp bis Juni. Eine Einigung müsse vorher zustande kommen, damit weitere Hilfskredite ausgezahlt werden können.

Geht den Banken die Liquidität aus?
Draghi hat am Wochenende erklärt, dass die EZB die Notfinanzierung ELA (Emergency Liquidity Assistance) laufen lasse. Doch schon Anfang dieser Woche regte sich offenbar Widerstand im EZB-Rat. Wie Bloomberg berichtet, sei in Frankfurt ein Vorschlag ausgearbeitet worden, der einen höheren Abschlag auf die Sicherheiten vorsehe, die Banken hinterlegen müssen, wenn sie sich von der griechischen Notenbank Geld leihen. Diese halte rund 3 Mrd. € an ELA-Geldern in Reserve für den Fall, dass sich die Kapitalflucht aus dem Land verschärfen sollte bzw. Sparer noch mehr Geld abheben würden.

Gibt es einen Plan B?
Sowohl in Athen als auch in Berlin wird Medienberichten zufolge unabhängig an Alternativlösungen gearbeitet. Neben der Möglichkeit eines Austritts wird ein Zahlungsausfall innerhalb der Währungsunion erwogen – ein «Grefault» statt eines «Grexit». Die EZB könnte dann griechischen Banken wieder Liquidität zuteilen.

Rettungspaket Nummer drei?
Bereits die am 25. Januar abgewählte Regierung unter Samaras schielte auf ein drittes Hilfspaket. Würde sich Griechenland zu den geforderten Reformen bekennen, hätten die Euroländer damit wohl kein Problem. Die Kredite des einen öffentlichen Gläubigers (EZB) würden durch die eines anderen, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), ersetzt.

Was hat der Regierungswechsel gebracht?
Seit dem vierten Quartal 2014 ist die wirtschaftliche Erholung des letzten Jahres ins Stocken geraten. Nach der gescheiterten Präsidentschaftswahl im Dezember 2014 und dem Regierungswechsel am 25. Januar 2015 dürfte der Konjunkturtrend wieder ins Negative gedreht haben. Die Stimmungsindikatoren haben sich entgegen dem Trend in den übrigen Euroländern seit Herbst 2014 verschlechtert.

Was sagen Renditen und Risikoaufschläge im Vergleich zu 2012?
Zehnjährige griechische Staatsanleihen rentieren um 13,5%. 2011 lag die Durchschnittsrendite bei etwa 18%. Vor dem Schuldenschnitt Anfang 2012 stieg sie auf über 35%. Dreijährige Titel rentieren knapp 30%, kurz vor dem Schuldenschnitt 2012 fast 140%.

Ansteckungsgefahr für andere Euroländer?
Die Risikoaufschläge griechischer Anleihen steigen seit Oktober 2014, als das Ende des zweiten Hilfsprogramms Ende Februar in Sichtweite kam. Die Renditen anderer Peripherieländer sanken seelenruhig weiter. Doch Mitte April reagierten sie erstmals auf die sich zuspitzende Lage. Entgegen der weit verbreiteten Hoffnung der letzten Monate liessen sie sich letztlich also doch anstecken.

Welcher Schaden droht der Eurozone?
Geschadet hat das Zaudern in der Griechenlandfrage nicht nur wegen möglicher  Wachstumsdämpfer. In Zweifel gezogen ist auch das, was als grosser Unterschied zu 2010/2012 herumgereicht wurde: die Immunität der Peripherie gegen eine Ansteckung. Die Wirksamkeit der Rettungsmechanismen und die Überzeugung der unanfechtbare Schirmherrschaft der EZB wurden damit geschwächt.

Wer ausser Deutschland fährt eine harte Linie gegen Griechenland?
In Finnland, den Niederlande, Portugal, Spanien und Irland stehen früher oder später Wahlen an. Die Regierungen fürchten, dass ein Einlenken gegenüber Hellas Wasser auf die Mühlen populistischer Oppositionsparteien spült.

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