Gottfried Heller, Senior Partner der 1971 mit André Kostolany gegründeten Fiduka Vermögensverwaltung in München, empfiehlt überlegene Aktienklassen.
Herr Heller, die zweitlängste Hausse der Geschichte ist im neunten Jahr, normalerweise dauert ein Börsenzyklus drei bis fünf Jahre. Sollen Anleger verkaufen?
Zwar läutet der Mai oftmals sechs magere Monate bis Ende Oktober ein, bevor dann bis Ende April sechs stärkere Börsenmonate folgen. Aber diese Regel gilt nicht immer. Diesmal sind sowohl das New Yorker Börsenbarometer Dow Jones (Dow Jones 21136.23 -0.23%) als auch der deutsche Dax (DAX 12715.75 0.2%) seit Anfang November – der Wahl Donald Trumps – um etwa 15% gestiegen. Eine Korrektur wäre nach dem rasanten Anstieg eigentlich fällig, aber eine grundsätzliche Wende sehe ich nicht.
Abgesehen vom Hype um Frankreichs Präsidenten Macron vollziehen in jüngster Zeit sowohl die Wallstreet wie auch die Börse Frankfurt keine grösseren Avancen.
Das deutet in der Tat bereits eine Korrektur an, die aber auch darin begründet liegt, dass Trump die ersten seiner vollmundig angekündigten Wahlversprechen nicht oder nicht in gewünschtem Umfang umsetzen konnte. In Frankreich wird erst die Parlamentswahl zeigen, ob die Regierung von Emmanuel Macron stark genug sein wird, die anvisierten Reformen zu verwirklichen. Zudem dürften Reformvorstellungen Macrons, soweit sie die Eurozone betreffen – ein Euro-Finanzminister, ein EU-Haushalt und Eurobonds –, auf Widerstand in Berlin stossen.
Sollten Anleger Gewinne mitnehmen?
Das wäre kurzsichtig. Auch wenn es wegen politischer Zuspitzungen – in den USA und der Eurozone, aber auch im Nahen Osten und in Korea – zeitweilig etwas holpriger an der Börse zugeht, so sollten Anleger doch die guten konjunkturellen Fundamentaldaten nicht aus den Augen verlieren. Alle vier wichtigen Wirtschaftsregionen – China, Amerika, Japan und Europa – streben erstmals seit zehn Jahren gleichzeitig aufwärts. Der wichtigste Punkt: Als Folge dieser Erholung steigen die Gewinne deutscher Unternehmen seit dem vierten Quartal 2016 nach langer Schwächephase endlich wieder.
Den Börsen hat die lange Periode niedriger Zinsen geholfen. In den USA ist die Zinswende bereits vollzogen – und in Europa?
EZB-Chef Draghi betont immer wieder, dass die erste Zinserhöhung vollzogen wird, nachdem das Anleihenankaufprogramm ausgelaufen ist. Das wird frühestens im Dezember 2017 der Fall sein. Aber es gibt bereits Stimmen, wie die des deutschen Sachverständigenrats, die geradezu ultimativ fordern, das Kaufprogramm sofort zu beenden. Wir sollten uns nicht täuschen: Der gegenwärtige konjunkturelle Aufschwung in der Eurozone vernebelt nur die strukturellen Schwierigkeiten, in denen der Süden nach wie vor steckt.
Die Finanzminister der Eurozone gaben sich kürzlich optimistisch, Griechenland erhalte eine weitere Tranche über 7 Mrd. € zur Zahlung fälliger Schulden.
Die Verhandlungen mit den Griechen zeigen immer das gleiche Szenario: Sie werden ermahnt, endlich mit den zugesagten Einsparungen und strukturellen Reformen voranzukommen. Nach scheinbar hartem Ringen kommt es jedes Mal zu einer Einigung, wohlwissend, dass die Gläubiger mittlerweile auf so hohen Forderungen sitzen, dass ein Schuldenschnitt – wie vom IWF gefordert – eigentlich unumgänglich ist. Aber, so kurios es klingt, die Gläubiger scheinen mittlerweile ein gleich grosses Interesse wie der Schuldner zu haben, dass das Spiel immer der gleichen Regie folgt. Am Ende zahlen die Gläubiger, verschaffen sich eine Atempause, bis zum nächsten Mal: selbes Theater, selbes Drama.
Bei der Rückkehr zur Zinsnormalität dürfen aber die Risiken nicht ausser Acht bleiben.
Sicherlich, und vor allem dann, wenn die Zinsen zu schnell steigen. Manche Investitionen wären bei einem marktkonformen Zins nie gemacht worden. Amerikanische Statistiken zeigen bereits stagnierende Zahlen bei der Kreditvergabe, weil es wegen steigender Zinsen zunehmend zu Ausfällen bei der Rückzahlung von Autokrediten kommt. Das könnte sich auf andere Bereiche ausweiten. Hierzulande fällt der kritische Blick der Deutschen Bundesbank auf regionale Entwicklungen am heimischen Markt für Wohnimmobilien.
Wozu raten Sie Anlegern?
Nach Rücksetzern nachzukaufen, denn deutlich steigende Unternehmensgewinne – wie wir sie jetzt sehen – waren immer schon der beste Treibstoff für die Börse. Dabei sollte man sich weniger auf amerikanische Titel konzentrieren, denn die sind meist bereits sehr hoch bewertet. Ich setze vor allem auf Aktien aus Europa und den Schwellenländern.
Wie sollen Aktionäre mit Börsenkorrekturen umgehen?
Gefährlich lebt nur, wer kurzfristig agiert. Der private Anleger profitiert, indem er nicht auf das kurzfristige Auf und Ab der Kurse reagiert, sondern langfristig investiert und die Schwankungen aussitzt. Während für Spekulanten das richtige Timing entscheidend ist, ist für den Privatanleger die Zeitachse wichtig.
Wie lässt sich eine langfristige Anlage am besten umsetzen?
Mein Rat für den vorsichtigen Privatinvestor sind Kollektivanlagen, und zwar sogenannte Mischfonds. Sie enthalten Staats- sowie Unternehmensanleihen und Aktien und sind als relativ risikoarm anzusehen.
Und was kauft, wer voll auf Aktien setzt?
Anhand eigener praktischer Erfahrungen habe ich in meinem Buch aufgezeigt, wie man mit einem weltweiten Mix der mittel- und langfristig überlegenen Aktienklassen ein Depot strukturieren kann. Dazu gehören grosse dividendenstarke Valoren, internationale Nebenwerte und Aktien aus Schwellenländern. Mit entsprechenden börsengehandelten Indexfonds, ETF, können Anleger eine überdurchschnittliche Rendite erzielen.
Welche Aktien sind langfristig überlegen?
Ich beziehe mich auf empirische Erkenntnisse. Dabei reichen die amerikanischen Statistiken am weitesten zurück, etwa die von Professor Ibbotson. Von 1928 bis 2015, also in 88 Jahren, betrug die durchschnittliche Rendite von Standard-Value-Aktien 11% pro Jahr, von Wachstumstiteln 9,1%. Ein Renditeunterschied von 1,9 Prozentpunkten. Bei den Nebenwerten betrug die Rendite der Value-Aktien 13,7% und der Wachstumstitel 9,3% – eine Differenz von 4,4% pro Jahr. Andere Statistiken kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Und die Schwellenländer?
Von 1998 bis 2016 brachten es die durchschnittlichen Renditen von Aktien der Schwellenländer auf 10,2% pro Jahr und die Industrieländer auf 5,7% – eine Differenz von 4,5 Prozentpunkten. Aber Vorsicht: Die Kursschwankungen sind erheblich grösser als in den Industrieländern.
Welche Dividendentitel sind attraktiv?
Die dividendenstarken Papiere befinden sich vorwiegend bei Value-Aktien, sogenannten Substanzwerten. Zu finden sind Dividendentitel in den Branchen Automobil, Chemie, Pharmazie und Telekommunikation, ferner bei Getränke-, Nahrungs- und Genussmitteln sowie bei Versorgern. Bei Nebenwerten genauso wie bei Schwellenländern würde ich eher zu ETF greifen.
Welche Aktien sind interessant für Anleger, die in Einzeltitel investieren wollen?
Ein Blick auf die Rohstoffaktien lohnt sich, weil sie der Belebung der Weltwirtschaft folgen werden. Vor allem unter den Ölvaloren gibt es dividendenstarke Werte, die auch noch Kurspotenzial haben dürften. Ich denke etwa an Royal Dutch Shell (RDSB 2145.5 0.42%) oder Total (FP 46.085 0.74%). Auch Rio Tinto (RIO 3179.5 1.18%) sind interessant. Um auf der sicheren Seite zu sein, sollte man zudem in Konsum- und Nahrungsmittelwerten engagiert sein, z. B. in Henkel (HEN3 126.801 0.32%), Nestlé (NESN 83.3 -0.12%) oder Coca-Cola (KO 45.98 -0.02%).
Bei welchen Aktien raten Sie zur Vorsicht?
Gegenwärtig betrachte ich Automobilwerte zurückhaltend. In den USA präsentiert der Automarkt keine neuen Rekorde mehr. Das wirkt sich auch auf deutsche Titel aus. Zudem verunsichert die Diskussion über Emissionen von Dieselfahrzeugen in Deutschland. Zu Bankaktien sage ich weiterhin: Hände weg. In den USA sind die Banktitel überteuert – auch angesichts der Situation bei den Autokrediten. In Europa leiden die Banken unter den niedrigen Zinsen. Sie verdienen nicht ausreichend in ihrem Brot-und-Butter-Geschäft, der Kreditvergabe. Eine zusätzliche Belastung sind die Negativzinsen.
Aber Trump strebt für die US-Banken eine Deregulierung an.
Das sollte er sich gut überlegen. Selbst amerikanische Banker sagen mir, einige der strengen Regeln müssten bleiben, damit wir nicht das gleiche Desaster erleben, das uns in die Finanzkrise gestürzt hat. Übertriebene Verwaltungsvorschriften, wie sie besonders in Deutschland bestehen, sollten aber dringend kräftig entschärft oder ganz abgeschafft werden – vor allem die Protokollpflicht, die sich wie eine Schlinge um den Hals eines jeden Wertpapierberaters legt. Natürlich muss der Anleger wissen und verstehen, was er kauft, denn die Verantwortung für seine Entscheidung liegt letztlich bei ihm.
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