Zurück zur Übersicht
16:16 Uhr - 10.10.2016

«Ein Bondcrash ist nur eine Frage der Zeit»

Marcel Schnyder, CIO der Bank Reichmuth, spricht vom «Blasenszenario», das Aktien weiter begünstigen wird. Investoren sollten aber in alternative Anlagen diversifizieren.

Herr Schnyder,  an den Aktienmärkten fehlt die klare Richtung. Woran liegt das? Müssen sich Anleger vor einem turbulenten Herbst fürchten?
Es fehlen klare Impulse, die wenigen positiven und negativen Faktoren neutralisieren sich. Fundamental sind die meisten Aktienmärkte nicht mehr günstig bewertet, und die Wachstumsaussichten sind unterdurchschnittlich. Aber der Anlagenotstand ist wegen der Negativzinsen gross. Deshalb sind Aktien – besonders Qualitätstitel mit stabiler Ausschüttung – weiterhin attraktiv.

Marcel Schnyder«Die Korrelation unter den Anlageklassen steigt, und die Liquidität am Obligationenmarkt nimmt dramatisch ab.» Bild: Marcello Keller/artefakt-fotografieWie weit stabilisiert das den Markt?
In gewissem Sinn ist es eine Stütze, aber keine Versicherung gegen eine Marktkorrektur. Sie fragen, ob es einen turbulenten Herbst geben könnte? Das kann man sich durchaus vorstellen. Die Präsidentschaftswahlen in den USA, die Verfassungsreformabstimmung in Italien in Kombination mit den Schwierigkeiten einiger europäischer Banken sowie eine mögliche US-Zinserhöhung im Dezember, das sind  Themen, die für Unruhe sorgen. Davor sollte man sich jedoch nicht fürchten.

Sondern?
Furcht ist ein schlechter Ratgeber. Wichtig ist, sich entsprechend vorzubereiten, falls es tatsächlich zu Turbulenzen kommen könnte. Wir haben rund 40% unserer amerikanischen und europäischen Aktienquote über Put-Optionen abgesichert.

Hinzu kommen die Quartalszahlen der Unternehmen. Was hat mehr Gewicht, die Quartalsberichte, die Präsidentenwahl oder der Zinsentscheid des Fed im Dezember?
Der wichtigste Treiber im aktuellen Umfeld ist und bleibt die Geldpolitik. Die Quartalszahlen der Unternehmen werden in der Summe kaum überraschen, und die Präsidentschaftswahlen werden medial zwar als Jahrhundertereignis dargestellt. Sie haben auf die Finanzmärkte aber keinen nachweisbar nachhaltigen Effekt.

Trotzdem noch ein Wort zu den Unternehmensgewinnen. Anfang Jahr sind die Schätzungen der Analysten meist zu optimistisch. Wie sieht das Bild Ende Jahr aus, ist das Gegenteil der Fall?
Die Messlatte für positive Überraschungen liegt um diese Jahreszeit effektiv niedriger. Die Erwartungen nach den Gewinnrevisionen in der ersten Jahreshälfte vermitteln heute einen fairen Eindruck. Das Wachstum bleibt aber bescheiden, und die Gewinnmargen sind historisch hoch, weshalb wir nicht mit stark positiven Überraschungen rechnen. Gesamtwirtschaftlich sind die Rezessionsrisiken auf absehbare Zeit gering. Auf der anderen Seite ist die Wachstumsdynamik trotz stark expansiver Geldpolitik unterdurchschnittlich.

Sie sichern Aktienpositionen ab. Wo liegt die Gefahr, für die Börsen, für die Finanzmärkte insgesamt?
Der verzweifelte Versuch der Notenbanken, auf Drängen der Politik die Wirtschaft am Laufen zu halten und möglichst alle Banken und Staaten zu retten, führt zwangsläufig zu Fehlallokationen. Niedrige oder sogar negative Zinsen verleiten die Anleger, für Vermögenswerte wie zum Beispiel Obligationen, Immobilien, aber auch Aktien immer höhere Preise zu zahlen oder vermehrt in illiquide Anlagen zu investieren. Die Korrelation der Anlageklassen untereinander steigt, die Liquidität am Rentenmarkt nimmt dramatisch ab.

Ist ein Bondcrash zu befürchten?
Ja, die Gefahr eines Bondcrashs ist nicht von der Hand zu weisen. Zumindest eine Korrektur am Bondmarkt ist nur eine Frage der Zeit. Ausgelöst wird sie entweder durch Schuldenrestrukturierungen in Europa, durch einen Verlust des Vertrauens in die Geldpolitik oder durch einen Inflationsschub, der die Zentralbanken zum Handeln zwingt.

Was wären die Konsequenzen für die Aktienmärkte?
Kurzfristig würden auch Aktien an Wert verlieren, ihre Reaktion wäre negativ. Mittelfristig sind verschiedene Szenarien denkbar. Generell erwarten wir einen starken Anstieg der Risikoprämien. Das wäre ein Handicap für Aktien. Als Risikoanlagen würden sie unter einem Anstieg der Risikoprämien leiden. Anders in einer  hochinflationären Phase, da würden Qualitätsaktien vor Kaufkraftverlusten schützen und würden sich relativ rasch erholen. Bei anhaltend deflationären Tendenzen steigt das Risiko von Kreditausfällen. Die Unternehmensgewinne würden allgemein sinken, Aktien stark korrigieren und länger auf tieferem Niveau verharren.

Könnte auch die Staatsschulden- und damit die Eurokrise wieder ausbrechen?
War sie denn je vorbei? Selbstverständlich käme auch von dieser Seite Gefahr. Nicht von ungefähr versuchen die Notenbanken alles, um die Zinsen tief zu halten.

Haben die Notenbanken noch immer alles unter Kontrolle, wie sie betonen, oder hat die Geldpolitik ausgespielt?
Wir denken, die Geldpolitik für sich allein ist bereits am Limit. Daher kommt die nun vermehrt zu beobachtende Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik. Ideen, das neu geschaffene Geld über Infrastrukturprojekte in die Wirtschaft zu pumpen oder direkt an Konsumenten zu verteilen, werden intensiv diskutiert.

Wird Konjunktur- und Fiskalpolitik helfen?
Im Prinzip ja, nur sind den Staaten, sofern sie überhaupt handlungsfähig und -willig sind, mit Rücksicht auf die Verschuldung die Hände gebunden. So liegt es weiter an den Notenbanken. Essenziell ist, dass das Vertrauen in sie und ins Papiergeld nicht verloren geht. Noch ist es intakt. Was in zwei und in fünf Jahren sein wird, weiss niemand.

zoom Quelle: R&CoWas ist ausser Puts, längerfristig, der beste Schutz gegen turbulente Märkte?
Wichtig ist eine auf den Kunden langfristig ausgerichtete Strategie mit genügend Dynamik und taktischem Spielraum. Wir setzen auf einen robusten Portfoliobau. Dazu gehört ein hohes Gewicht an Realwerten wie Qualitätsaktien und auch Gold (Gold 1258 -0.14%). Die Vermögenswerte müssen ausreichend diversifiziert sein, sowohl hinsichtlich der Anlagekategorien als auch innerhalb der Regionen, Sektoren und Segmente. Das heisst: Vorsicht vor Klumpenrisiken, wozu auch der Home Bias, die zu starke Ausrichtung auf den Heimmarkt, gehört. Wir empfehlen zudem, Teile in alternative Anlagen zu investieren wie zum Beispiel Immobilien, Hedge Funds, Insurance Linked Securities und Infrastruktur.

Welche Aktienquote empfiehlt Reichmuth im ausgewogenen Portfolio?
Wir geben Aktien noch immer ein Übergewicht, greifen aber zur erwähnten Absicherung. Die Aktienquote beträgt 45%, fünf Prozentpunkte über neutral. Die Blasenbildung, so kritisch man sie beurteilen muss, wird noch einige Zeit anhalten.

Was könnte ein nächster Schritt in der Asset Allocation sein?
Wir bauen seit Jahresbeginn schrittweise Emerging-Markets-Anleihen auf und investieren in Insurance Linked Securities,  ILS. Teile davon gehen zulasten von  Frankenobligationen. Falls sich die Weltwirtschaft weiter stabilisiert, könnte ein nächster Schritt in Schwellenländeraktien gehen. Den Dollar würden wir nach allfälligen Zinsschritten eher abbauen.

zoom Quelle: R&CoDefensive Aktien mit guter Dividendenrendite sind teuer. Würden Sie trotzdem kaufen? Konjunkturzyklische Werte sind im Verhältnis dazu klar günstiger.
Schwergewichtig sollten Anleger noch immer in Qualitätsaktien mit nachhaltiger Dividendenausschüttung investiert sein. Darüber hinaus empfehlen wir Schweizer Nebenwerte sowie Aktien aus Asien, namentlich aus China und Indien.

Bankaktien haben im Sog von Deutsche Bank (DBK 12.355 2.19%) korrigiert – eine Kaufgelegenheit?
Nein – wenn Bankaktien, dann nur für tradingorientierte Anleger mit hoher Risikobereitschaft.

Gibt es überhaupt noch preiswerte, qualitativ einwandfreie Titel, in die zu investieren sich lohnt?
Ja, die gibt es. Unter Berücksichtigung des aktuellen Zinsniveaus und mit Blick darauf, dass Anlagealternativen fehlen, sind Aktien fair bewertet. Titel von Unternehmen mit hohem Cashflow, solider Bilanz und starkem Geschäftsmodell haben weiteres Aufwärtspotenzial.

Die Gefahren, über die wir gesprochen haben, sind alle bekannt. Könnte es allen Risiken zum Trotz dennoch für eine Jahresendrally reichen und auch für ein gutes neues Börsenjahr?
Das ist nicht ausgeschlossen, ja sogar gut möglich, dass Börsen weiter steigen. Wir stufen die Chancen für ein weiteres «Blasenbildungsszenario» und damit steigende Aktienkurse für die kommenden drei bis sechs Monate auf über 50% ein. Einige Hürden sind mit den US-Wahlen und der schwierigen Situation einiger europäischer Banken, namentlich in Italien, aber noch zu nehmen. Deshalb empfehlen wir, alternative Anlagestrategien zu berücksichtigen, das sind wie gesagt Infrastruktur, Hedge Funds, ILS und Emerging-Market-Anleihen.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.