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13:58 Uhr - 19.05.2015

«Europäische Aktien haben noch Potenzial»

Stephen Jones, CIO Kames Capital, erläutert im FuW-Interview, dass er optimistisch auf Europa blickt und vom System Abe in Japan positive Impulse für den dortigen Aktienmarkt erwartet.

Herr Jones, Anfang Mai bewegten sich die Renditen in Europa abrupt nach oben. Überraschte Sie das, wurde da das Ende der Tiefzinsphase eingeläutet?
Was überrascht, ist die hohe Volatilität. Bedenken Sie, dass sich die Zinsen von sehr tiefem Niveau bewegen. Im Gegensatz zu monetären Lockerungen anderer  Notenbanken, betrat die EZB Neuland. Der Kauf von Anleihen brachte die Renditen sehr rasch in den Keller, und jetzt sehen wir eine ebenso schnelle Rückkehr zu dem Punkt als die Käufe begannen.

Stephen Jones Bild: ZVGDas war neu?
In Reaktion auf die Lockerungen der US-Notenbank und der Bank von England gaben die Renditen nicht so schnell nach. Wir sehen jetzt in Europa eine Normalisierung, die Renditen werden sich wohl künftig auf nachhaltigeren Niveaus bewegen.

Aber die Volatilität bleibt hoch?
Daran werden wir uns gewöhnen müssen.

Bedeutet das, dass der erste Renditeanstieg in Europa überzogen war?
Bonds, vor allem Staatsanleihen aus den Kernländern der Eurozone, w

erfen auch künftig wenig ab, da ist nicht viel zu holen.

An den niedrigen Renditen in Europa wird sich also nichts Grundlegendes ändern?
Richtig, das Anleihenkaufprogramm der EZB hat ja gerade erst begonnen und wird noch gut ein Jahr fortgesetzt. Es wird also weiter für niedrige Renditen zumindest bei europäischen Staatsanleihen sorgen.

Aus einer ersten Leitzinsanhebung in den USA schon im Juni wird nichts mehr?
Nein. Das Federal Reserve möchte die US-Wirtschaft vorsichtig normalisieren, die Konjunkturerholung auf ein stabiles Fundament stellen und auf Notstandsmassnahmen verzichten. Die jüngsten Fundamentaldaten lassen darauf schliessen, dass das Fed noch etwas abwarten wird, bevor es den Hebel umlegt. Das wird wohl erst im September, Oktober sein.

Der Aufschwung in den USA wird nicht mit grosser Wucht daherkommen?
Nein, es werden eher 2 statt 4% Wachstum sein, der Aufschwung wird recht gut beherrschbar sein.

Zumal die Fundamentaldaten aus dem ersten Quartal eher enttäuschten.
Das Wachstum enttäuschte. Man kann zwar nicht alles dem Wetter zuschreiben; aber die US-Westküste litt im ersten Quartal unter extremer Witterung, die die Wirtschaft beeinträchtigte.

Der Wetterfaktor dürfte mittlerweile überwunden sein.
Andere Fundamentaldaten stimmen optimistisch: die Einkaufsmanagerindizes, die Beschäftigung. Es sieht auch so aus, als ob Arbeit etwas besser als bisher entlohnt werde, was den privaten Konsum positiv beeinflussen könnte. Und nicht zu vergessen: Die US-Wirtschaft profitiert sehr stark vom billigen Öl. Andere Rohstoffe üben kaum Inflationsdruck aus.

Wie steht es denn mit Europa?
Die EZB stimuliert und liefert die Liquidität. Das verbessert die Aussichten einer Erholung. Die Abwertung des Euros hilft der Exportwirtschaft. Hinzu kommt der kostensenkende Effekt niedriger Energiepreise. Verbesserte Rahmenbedingungen gehen auch von der erfolgreichen Rekapitalisierung des europäischen Bankensystems und der wieder anziehenden Kreditvergabe aus. Insgesamt kann man optimistisch auf Europa blicken.

Die Eurozone kommt wieder auf die Beine.
Deutschland führt den Aufschwung an, die spanische Wirtschaft erholt sich gut, wie die Frühjahrsprognose der EU-Kommission zeigt. Italien meldet erste Reformerfolge. Die Fundamentaldaten sehen überwiegend gut aus. Der europäische Aktienmarkt hat nach wie vor Kurspotenzial. Die Gewinnaussichten der Unternehmen sind recht gut.

Das europäische Finanzsystem steht heute besser da als vor einigen Jahren und könnte einen Default Griechenlands ohne grosse Probleme wegstecken?
Absolut. Die Banken sind sehr viel besser aufgestellt. Forderungen gegen Griechenland liegen überwiegend bei europäischen Institutionen sowie bei Staaten. Jeder, der heute noch Griechenland-Exposure hat, ist sich des Risikos einer Zahlungsunfähigkeit voll bewusst. Ein Default Athens wird keinen desaströsen Effekt auf die Stabilität der Eurozone haben. Es wird Volatilität herrschen, und man wird sich Sorgen um die Schulden anderer Peripheriestaaten machen, die Spreads werden steigen – mehr aber auch nicht. Man wird sich zusammenraufen. Jedem ist klar, dass Griechenland aus eigener Kraft nicht von seinem Schuldenberg herunterkommt.

Zu einem anderen Brennpunkt der Weltwirtschaft: Wie läuft es in China?
Die chinesische Regierung will die Wirtschaft reformieren und neu aufstellen. Das heisst, sie wird sich bemühen, die Übertreibungen der vergangenen Jahre – Investitionen und Wachstum um jeden Preis – zu korrigieren. Sie versucht den privaten Konsum zu stimulieren und die sozialen Lebensbedingungen zu verbessern. Zusammen mit dem anhaltenden Preisdruck bei Rohstoffen bedeutet das, dass die chinesische Wirtschaft behutsamer wachsen wird als bisher.

Also auch hier Normalisierung?
Es ist ein politischer Balanceakt, das durch grosse Infrastrukturinvestitionen stimulierte exzessive Wachstum zu normalisieren – ohne dass es eine harte Landung wird. Die Behörden sind sich der Notwendigkeit angemessener Zinsen und Mindestreserven bewusst. Die Spekulation, die im Immobiliensektor ihren Anfang nahm, hat nun den chinesischen Aktienmarkt erreicht.

Sind Sie in chinesischen Aktien exponiert?
Wir haben einige Positionen in unserer Asien-Pazifik-Allokation. Wir favorisieren aber Taiwan und Korea. Die meisten Positionen halten wir in Japan. Japan gefällt uns hier immer noch am besten.

Warum Japan?
Der Anstoss zu Reformen auf Unternehmensebene, der von der Regierung Abe ausgeht, ist sehr stark. Die Notwendigkeit zeitgemässer Corporate Governance ist anerkannt. Die Aktionäre profitieren davon. Es werden neuerdings Unternehmensziele formuliert, es gibt ein modernes Anreizsystem für Führungskräfte, das sich an der Eigenkapitalrendite orientiert. Der schwache Yen begünstigt den Export. Die Bank von Japan stimuliert weiter mit Liquidität. Alle Beteiligten – Banker, Broker, Investoren, Unternehmer, Politiker, Diplomaten – sind vom System  Abe überzeugt und tragen es mit.

Die breite Unterstützung des Systems Abe wirkt als Ausweg aus der Rezession?
Diese gemeinsame Sicht der Dinge kann viel bewegen. Das sollten Investoren mit einem Japanübergewicht honorieren. Der Nikkei 225 (Nikkei 225 20026.38 0.68%) ist in einem Jahr von 14 000 auf 19 000 hochgeschossen – nur wegen guter Ergebnisse der Exportwirtschaft und verschiedener Technologiewerte.

Wie sind Sie gegenwärtig positioniert – in einem globalen ausgewogenen Portfolio?
Wir sind in Staatsanleihen untergewichtet; stehen aber nach wie vor zu Anleihen als Anlageklasse. Unternehmensanleihen mit Anlagequalität, ebenso ausgesuchte Hochzinspapiere, sind attraktiver. Von dem Bereich des Kreditzyklus, wo steigende Ausfallraten zu Turbulenzen führen können, sind wir noch weit entfernt. Angesagt sind Flexibilität in der Anlagestrategie bei Anleihen und kurze Duration.

Und Aktien?
In Aktien sind wir übergewichtet, vor allem in europäischen. Hier, glauben wir, werden sich die Gewinne und Margen noch erhöhen. Es wird weiter Kapitalzuflüsse geben, welche die Kurse weiter stützen. Europäische Aktien werden von vielen Anlegern immer noch untergewichtet. Dies  dürfte sich bald ändern. Wir bevorzugen Titel, die gute und steigende Dividenden erwarten lassen sowie Unternehmen, die vom gestiegenen Verbrauchervertrauen und von den besseren Konjunkturaussichten in Europa profitieren.

Beispiel?
Ryan Air. Die Fluggesellschaft ist jetzt allgemein besser aufgestellt, sie ist kosteneffizienter und flexibler geworden. Sie könnte auch im Segment Geschäftsreisen Fuss fassen, wo die Margen besser sind. Gleichzeitig sind die Treibstoffkosten gesunken. Das alles lässt nicht nur höhere Dividenden erwarten, sondern auch vermehrte Aktienrückkäufe.

Was haben Sie sonst noch im Portfolio?
Als britischer Asset Manager sind wir auch in britischen Aktien übergewichtet.

Was sagen Sie zum Wahlausgang in Grossbritannien?
Der klare Ausgang zu Gunsten der Konservativen hat völlig überrascht. Diese unerwartete Gewissheit wird vom Markt positiv aufgenommen. Die liberale Einstellung der Konservativen zu Freihandel und Steuern wird dem Aktienmarkt helfen, der Wille zur Kontrolle des Budgetdefizits wiederum dem Anleihenmarkt.

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