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13:24 Uhr - 27.11.2014

Südamerikas holländisches Problem

Die Region profitierte über Jahre von Chinas Rohstoffhunger. Mit den fallenden Rohwarenpreisen werden die lange ignorierten Schwachstellen sichtbar.

Südamerika zeigt deutliche Symptome der  holländischen Krankheit. Dieses volkswirtschaftliche Paradoxon ist nach den Erfahrungen der Niederlande aus den Siebzigerjahren benannt. Die Entdeckung von Erdgasvorkommen löste einen Wirtschaftsboom aus, der zur Aufwertung der Währung, zur Verschiebung der Ressourcen und schliesslich zum Niedergang anderer Industrien führte.

Ein ganz ähnliches Muster ist in Lateinamerika zu erkennen. Nach Überwindung der Krisen um die Jahrtausendwende, als unter anderem Argentinien bankrottging,  erfreute sich der südamerikanische Kontinent einer stabilen wirtschaftlichen Expansion. Zwischen 2003 und 2008 wuchs das BIP im Mittel fast 5% pro Jahr.

Boom mit Nebenwirkung

zoomGetrieben war das Wirtschaftswunder vom Rohstoffhunger Chinas. Brasilien lieferte Eisenerz und Sojabohnen (Sojabohnen 1047.753 -0.12%), Argentinien Mais (Mais 391.002 1.03%) und Getreide, Chile Kupfer, Peru Gold (Gold 1196.615 -0.09%) sowie andere Metalle. Die erdölexportierenden Länder Venezuela und Kolumbien verdankten ihre Exporteinnahmen indirekt ebenfalls China, das mit seiner Nachfrage nach Energieträgern für hohe Erdölnotierungen sorgte.

Der Rohstoffboom veränderte die Wirtschaftsstruktur. Deutlich wird das am Beispiel Brasiliens. Einst bildete der Export von Industrieerzeugnissen das Rückgrat der Wirtschaft.  Heute machen Erze, Erdöl, Landwirtschaftsgüter und andere Primärgüter mehr als die Hälfte der Exporte aus. Der Aussenwert des Reals hat sich in den Boomjahren zwischen 2003 und 2011 mehr als verdoppelt. Zur externen Aufwertung kam ein kräftiges Lohnwachstum dazu. Darunter litt die Wettbewerbsfähigkeit der Industriegüter.

Erst mit dem Abschwung im globalen Rohstoffpreiszyklus ist der Schaden sichtbar geworden. Die auf den Konsum und den Export von Rohwaren ausgerichtete Wirtschaft ist an ihre Grenzen gestossen. Im ersten Halbjahr ist Brasilien in eine Rezession gefallen.

zoomDoch Brasilien ist nicht allein – die Wachstumsschwäche betrifft den ganzen Kontinent. Laut IWF wächst die lateinamerikanische Wirtschaft 2014 nur 1,3%, weniger als halb so viel wie im Mittel über die letzten fünfzehn Jahre. Dennoch verharrt die Inflation bei 7%. Das aggregierte Leistungsbilanzdefizit ist auf den höchsten Stand seit 1999 gestiegen und beträgt 2,6% des BIP. Die Finanzmärkte sind ein Spiegelbild dieser Probleme: Der Aktienindex der Region, der zu 56% aus brasilianischen Titeln besteht, bildet seit 2011 das Schlusslicht der Emerging Markets. Brasilien, Peru und Kolumbien gehören ausserdem zu den Ländern, die am stärksten von ausländischem Kapital abhängig sind. Ihre Währungen gehören zu den fragilsten; seit Anfang 2013 haben sie zwischen 12 und 20% verloren.

Venezuela vor Insolvenz

Dank hoher Devisenreserven und geringer Auslandverschuldung ist die Situation für diese Länder jedoch nicht ausweglos, besonders dann, wenn Regierung und Zentralbank sich keine Fehler leisten. Schwieriger ist die Lage in Venezuela. Das heruntergewirtschaftete Land könnte das erste Opfer der fallenden Erdölpreise sein. Das Defizit der Leistungsbilanz lässt sich nur noch durch Kredite ausgleichen. Um an Devisen zu kommen, werden Vermögenswerte versilbert. So wird der Ölraffineur Citgo verkauft, und ausstehende Verbindlichkeiten der karibischen Staaten werden verbrieft. Zusammen mit der Verlängerung eines chinesischen Kredits kommen so 16 bis 18 Mrd. $ in die klammen Kassen. Doch gemäss Kreditausfallversicherungen (CDS) hat das den Markt nicht beruhigt: Er erwartet einen Zahlungsausfall Venezuelas in den nächsten zwei Jahren mit einer  Wahrscheinlichkeit von weiterhin über 58%. Die Analysten von Barclays (BARC 242.25 1.55%) glauben, dass die Regierung mit ihren bisherigen Massnahmen nur Zeit gekauft hat, aber keine strukturellen Probleme lösen konnte.

Der Plan, Benzin nicht mehr zu subventionieren – und damit den 35-fachen Preis durchzusetzen –, wird als wichtigste Reformanstrengung gesehen. Das werde zwar die Leistungsbilanz kaum ausgleichen, aber zumindest den Staatshaushalt entlasten. Nächstes Jahr stehen Parlamentswahlen in Venezuela an. Die Opposition könnte dank Wirtschaftskrise gewinnen – was laut Barclays dem Vertrauen der Märkte in Venezuela helfen sollte.«Der brasilianische Real muss sich noch einmal 10% abwerten»Carlos Kawall, Chefökonom der brasilianischen Bank J. Safra, erachtet im Interview mit FuW eine disziplinierte Haushaltspolitik als zwingend für den wirtschaftlichen Erfolg Brasiliens.

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