Die britische Industrie ist konsterniert über die ausbleibenden Brexit-Fortschritte – allen voran die Automobilbranche.
Keine Branche in Grossbritannien eignet sich besser als Brexit-Barometer wie die Automobilindustrie. Wie kaum eine andere ist sie stark in eine gesamteuropäische Wertschöpfungskette eingebunden. Ein chaotischer Brexit hätte kaum vorhersehbare Auswirkungen auf die Produktion und Distribution.
«Wir brauchen dringend einen Deal mit der Europäischen Union», sagt Michael Hawes, CEO der Handelsorganisation Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT). Ein No-Deal-Brexit wäre «katastrophal», wie Hawes an einem Mediengespräch am Mittwoch sagte.
Unternehmen setzen No-Deal-Brexit-Planung fort
Derzeit werden acht von zehn in Grossbritannien produzierten Personenwagen ins Ausland verschifft, jeder zweite davon geht in ein Mitgliedsland der Europäischen Union. Berechnungen der SMMT zufolge würde ein Wechsel zu einem Regime mit Freihandelsabkommen zu zusätzlichen Kosten von 5 Mrd. £ führen. Dies entspräche einer Verteuerung pro Auto von 1500 £ (umgerechnet fast 2000 Fr.).
Auch der Industrieverband CBI ist nach dem Verdikt des britischen Unterhauses, die Regierung zu Nachverhandlungen nach Brüssel zu schicken, nicht beruhigt. «Das Ergebnis der Abstimmung bringt kein Unternehmen in Grossbritannien dazu, die Planungen für ein No-Deal-Szenario zu unterbrechen oder gar zu stoppen», sagte CBI-Präsidentin Carolyn Fairbairn gegenüber BBC Radio 4.
Vor einer Woche hatte auch Airbus-Chef Tom Enders vor einem harten Brexit gewarnt. Zwar habe ein solches Ende der EU-Mitgliedschaft möglicherweise nicht unmittelbare wirtschaftliche Folgen. Unternehmen wie Airbus (AIR 98.68 2.71%) würden sich aber sehr gut überlegen müssen, wohin künftige Investitionen fliessen würden. Airbus ist mit über 14’000 Angestellten einer der grössten Industriebetriebe. Zusätzlich hängen vom Flugzeughersteller über 110’000 Jobs bei Zulieferern ab.
57 Tage bis zum Austritt
Am Dienstagabend hatte das Parlament dem von Premierministerin Theresa May ausgearbeiteten Deal zugestimmt, allerdings muss sie den umstrittenen Passus mit dem irischen Backstop neu verhandeln. Der Backstop ist eine Auffanglösung, um eine harte EU-Aussengrenze zu vermeiden. Einigen sich Grossbritannien und die EU nicht, tritt der Backstop in Kraft, und die Briten verbleiben bis auf weiteres in der europäischen Zollunion. Führende EU-Politiker hatten am Dienstag kurz nach der Abstimmung jedoch klar gemacht, dass der Deal aus ihrer Sicht nicht verhandelbar sei.
Diese Konfrontation schürt die Angst, dass Grossbritannien auf einen chaotischen Brexit zusteuert. Noch verbleiben siebenundfünfzig Tage, um eine geordnete Scheidung zu erreichen und die künftigen Handelsbeziehungen wenigstens in Grundsätzen festzulegen. Steht bis am 29. März um 23 Uhr Londoner Zeit ein solcher Deal nicht und wird die Frist nicht verlängert, wird ein harter Brexit Realität.
Autohersteller ziehen bereits Jobs ab
Angesichts dieses Schreckensszenarios haben unzählige Unternehmen aus verschiedenen Branchen erste Vorbereitungen auf den schlimmstmöglichen Ausgang getroffen. So haben in der Finanzbranche Banken und Vermögensverwalter zusätzliche Sitze in europäischen Staaten geschaffen, um auch künftig die dortigen Kunden bedienen zu können.
Auch die Automobilbranche bereitet sich minutiös vor.«Die grossen Hersteller sind für den 29. März bereit, kleinere Zulieferer wird ein No-Deal-Brexit am stärksten treffen», sagt SMMT-Chef Hawes. Es sei für diese aus Platzgründen nicht möglich, Materialvorräte für eine Woche oder länger zu lagern. Pro Tag verlassen in Grossbritannien über 4000 neue Fahrzeuge die Werkshallen.
Zuletzt haben verschiedene Automobilhersteller, zuletzt Jaguar Land Rover, angekündigt, Jobs in England abzubauen und teilweise in andere Länder zu verschieben. Der Treiber dafür waren nebst den Brexit-Unsicherheiten auch die nachlassende Nachfrage in China. Der Export von Autos ins Reich der Mitte war 2018 erstmals seit vielen Jahren rückläufig.
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