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14:10 Uhr - 03.12.2021

CEO: «Wir sind stabiler, als AMS allein es je war»

Alexander Everke, CEO von AMS Osram, über die Integration des Chip- und des Photonikspezialisten und den Verlust von Aufträgen.

Zwei ungleiche Unternehmen muss AMS-Osram-CEO Alexander Everke zusammenführen. Er sieht sich bei der Integration der beiden Gesellschaften zu einem Konzern im Plan.

Herr Everke, vor zwei Jahren, Anfang ­Dezember 2019, haben die Aktionäre von Osram dem Zusammenschluss mit AMS zugestimmt. Liegt die Integration im Plan?
Ja. Die Übernahme war ein langer, mühsamer Prozess. Vor acht Monaten konnte der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ins deutsche Handelsregister eingetragen werden. Das war der Startschuss für uns: Seitdem haben wir die Kontrolle übernommen und schon zwei Bereiche von Osram verkauft, die nicht ins Portfolio passen, das Geschäft für Digital Systems in Nordamerika sowie den Bereich für vernetzte Gebäudesysteme. Es sieht gut aus, dass wir bis Sommer 2022 einen Grossteil der weiteren Devestitionen zumindest bekanntgegeben haben.

Was steht noch zum Verkauf?
Teile des Digitalgeschäfts, darunter Projekt- und bestimmte Lampengeschäfte – das sind Bereiche, die mit unserem Kerngeschäft wenig zu tun haben.

Über welches Umsatzvolumen reden wir?
Die Devestitionen betreffen zusammen einen Umsatz von etwa 650 Mio. €.

«Wir sehen eine positive ­Dynamik im Unternehmen. Gerade die Entwickler arbeiten eng zusammen.»

Erwarten Sie hier 2021 noch Neuigkeiten?
Wir verhandeln über einen grösseren Teilverkauf und gehen von einem Abschluss noch in diesem Quartal aus.

Was zählt künftig zum Kerngeschäft?
Wir wollen der führende Hersteller für ­optische Lösungen werden, bei gutem Wachstum und hoher Profitabilität. Alle Entscheidungen im Unternehmen müssen mit dieser Vision übereinstimmen. Alle Portfoliobeschlüsse basieren darauf. Was Synergien und Einsparungen angeht, liegen wir im Plan, 350 Mio. € bis Frühjahr 2024 aufzustellen.

Was können AMS und Osram zusammen erreichen, was beide nicht allein konnten?
AMS kommt aus der Sensorik und der ­Optik, Osram von der Lichterzeugung. Ein grosser Teil optischer Lösungen umfasst eine Verknüpfung von Licht und Messung. Kein Wettbewerber weist aber eine führende Position in beiden Bereichen auf. Das wird uns mittelfristig einen strategischen Vorteil bescheren.

Belastet der Umbau die Stimmung intern?
Wir sehen eine positive Dynamik im neuen Unternehmen. Gerade die Ingenieure in der Entwicklung arbeiten bereits intensiv zusammen. Die Osram-Ingenieure können auf das Wissen der AMS-Mitarbeiter zugreifen – und umgekehrt, darauf haben sie nur gewartet. Auch von Kunden erhalten wir positive Meldungen.

Aber viele Mitarbeiter werden AMS Osram in nächster Zeit verlassen müssen.
Die Zahl unserer Angestellten wird entsprechend mit den Veräusserungen sinken, richtig – viele werden mit zu neuen Gesellschaften gehen. Deshalb legen wir Wert darauf, die richtigen Käufer zu finden. Dann wechseln die Mitarbeiter in ein zukunftsfähiges Umfeld.

Über wie viele Abgänge reden wir?
Das lässt sich noch nicht genau beziffern.

Wann wird aus AMS Osram ein Konzern?
Wir sind schon jetzt eine Gesellschaft…

…auf dem Papier.
Nein, nicht nur. Das Management besteht bereits aus ehemaligen AMS- und Osram-Managern, auch in Hierarchiestufen unter dem Vorstand. Nach der Übernahme von Heptagon 2016 war nach anderthalb Jahren kein Unterschied mehr zu spüren zwischen beiden Gesellschaften. Wenn die Adjustierungen innerhalb des neuen Konzerns vorgenommen sind, schauen die Mitarbeiter positiv in die Zukunft. Spätestens 2023 werden für mich alle nur noch ein Unternehmen sehen.

Und wann gibt es erste Produkte?
Die entwickeln wir bereits, beispielsweise Autoscheinwerfer mit mehr als 20 000 LED-Leuchten von Osram, wo ein AMS-Modul die Steuerung übernehmen kann. Grosse Erwartungen hegen wir durch die zukünftige Umstellung der Displaytechnologie: von LCD und OLED hin zu Micro-LED. Damit werden Displays viel brillanter bei längerer Akkulaufzeit – und lassen sich auch im hellen Sonnenschein ablesen. Diese Technik wird noch gewisse Zeit benötigen, aber in Smartwatches und später Smartphones kommen. Wir sehen zugleich auch Möglichkeiten im Auto. Spannend sind zudem Lichtanwendungen, um Räume zu desinfizieren oder Pflanzen schneller wachsen zu lassen. Bessere Beleuchtung, bessere Displays, intelligent gesteuert über Sensoren – alles das bietet AMS Osram (AMS 16.44 -0.54%). Mit neuen Produkten und Funktionen können wir die Wertschöpfung in den einzelnen Plattformen erhöhen, damit werden wir künftig weniger abhängig vom Produktionsvolumen von Autos oder Smartphones.

Klingt gut. Aber wann bringt AMS Osram diese PS auf die Strasse?
2022 wird noch ein Jahr des Umbaus mit den Änderungen im Portfolio. 2023 liegt diese Transformation hinter uns, dann ­rücken für mich Wachstum und Profitabilität stärker in den Fokus.

«2022 wird ein Jahr des Umbaus. 2023 rückt ­Wachstum in den Fokus.»

Als Mittelfristziel haben Sie vorgegeben, dass AMS Osram beim Umsatz im zwei­stelligen Prozentbereich wachsen, bei der bereinigten Profitabilität mindestens 20% erreichen soll. Das liegt in weiter Ferne.
Es ist noch ein Weg, aber entscheidend ist, dass wir das schaffen werden. Davon bin ich überzeugt. Durch die geplanten Devestitionen stossen wir Bereiche mit unterdurchschnittlicher Marge ab. Dazu schauen wir derzeit in Asien, wie wir die Produktionsstätten von AMS und Osram für die Zukunft aufstellen, daneben stärken wir uns durch gemeinsamen Einkauf. Alle das dient dazu, unsere operative Gewinnmarge künftig zu erhöhen.

Werden die Bereiche Lamps & Systems und Semiconductors jemals ein vergleichbares Profitabilitätsniveau erreichen?
Die Geschäfte sind und bleiben von der Margenstruktur unterschiedlich – aber beide werden sich merkbar verbessern. Und im Schnitt wird die bereinigte Marge unser Ziel von mindestens 20% erreichen.

Was ist die Rolle des Standorts Schweiz?
Die Bedeutung der Schweiz für AMS Osram wird sich künftig nicht ändern. Wir sind sehr froh über unsere hervorragenden Ingenieure in der Schweiz.

Wie sehr bremst der Komponentenmangel?
LED fertigen wir selbst, da spüren wir die Knappheit weniger, bei einigen Rohmaterialien mehr. Bei der Auftragsfertigung von Chips ist es für die Abnehmer schwierig, alle Komponenten in ­ausreichendem Masse zu bekommen. Uns geht es wie der Industrie: Wir könnten mehr Umsatz machen, wenn es mehr Komponenten gäbe.

«Uns geht es wie der Industrie: Wir könnten mehr ­Umsatz machen, wenn es mehr Komponenten gäbe.»

Wie lange wird das noch andauern?
Der Mangel wird uns wohl noch bis Mitte 2022 begleiten. Aber die Situation hat sich teilweise bereits verbessert.

Verschärft die Inflation die Lage?
Durch die Verwerfungen steigen die Kosten, was letzten Endes für höhere Preise bei den Endkunden sorgen kann.

Wann erholt sich die Autokonjunktur?
Der Absatz von Automobilen wird steigen, wenn die Industrie wieder über ausreichend Komponenten verfügt.

Wie schaut es im Consumer-Bereich aus?
Auch hier gibt es in einigen Bereichen ­Probleme mit der Verfügbarkeit. Aber die Situation ist besser als im Autobereich.

Schmerzt der Verlust von Grossaufträgen im Consumer-Segment?
Ja, denn wir haben Marktanteile und dadurch Umsatz verloren.

Wird der Verlust von Umsatz im Consumer-Geschäft das AMS-Osram-Geschäft auch im neuen Jahr noch belasten?
Es wird einen Effekt auf 2022 haben. Viel wichtiger ist aber in meinen Augen, dass wir bei unseren Consumer-Kunden künftig Umsatzanteile gewinnen wollen.

Läuft es bei Industrial and Medical?
Das ist ein guter Markt mit zahlreichen Wachstumsmöglichkeiten. Automotive und Consumer bleiben langfristig aber die stärksten Bereiche mit einem geplanten Anteil von über 60 bis 70%.

Sind Akquisitionen derzeit ein Thema?
Übernahmen, auch sehr kleine, die uns technologisch gut ergänzen, um die Führerschaft im optischen Bereich auszubauen, sind als Teil unserer Strategie generell ein Thema, stehen aber für das neue Jahr sicher nicht im Fokus.

Planen Sie die Wiederaufnahme von ­Dividendenzahlungen an die Aktionäre?
Dazu sind noch keine weiteren Entscheidungen getroffen.

Gegen ehemalige Mitarbeiter von AMS, ­darunter den Ex-CFO, wird ermittelt wegen des Verdachts auf Insiderhandel. Wie werden Sie die Corporate Governance stärken, damit so etwas nicht mehr passiert?
Wir waren überrascht davon. Wir haben klar definierte Regeln im Konzern, die in den letzten Jahren noch verschärft worden sind. Wir werden neue Erkenntnisse nutzen, um die Governance auszubauen.

Die Titel von AMS Osram sind langweiliger als die von AMS – mit Absicht?
Wir haben für die Zukunft Volatilität aus dem Unternehmen genommen. Das war sicher auch Teil unserer Überlegungen beim Kauf von Osram. Es ist nun ein anderes, viel grösserer Unternehmen geworden: mit breiterer Technologie- und Kundenbasis, mit balancierter Umsatzverteilung. AMS Osram ist stabiler, als AMS allein es je war oder hätte werden können.

Hat die Börse diese Story verstanden?
Der Kauf von Osram war ein komplexes Projekt – was Zeit gebraucht hat, um es zu erklären. Im Gespräch mit Investoren werden Hintergrund und Vorteile der Akquisition mittlerweile klar erkannt. Am Kapitalmarkttag kommenden Frühjahr werden wir genauer darstellen, wohin sich AMS Osram entwickelt.


Der Bewertungsabschlag von AMS Osram ist noch gerechtfertigt


In einschlägigen Foren im Internet klagen sich Zocker ihr Leid. Seit mehr als einem halben Jahr kämpfen Papiere von AMS Osram mit der Marke von 20 Fr. Die Titel, die früher nach einem Quartalsabschluss an einem Tag 20% nach oben oder unten geschossen sind, dümpeln nun seitwärts. Kurse gar jenseits der 30 Fr. sind passé, seit die Osram-Aktionäre vor zwei Jahren der Übernahme durch die Österreicher zugestimmt haben. Auch Short Sellers, die auf fallende Kurse wetten, lassen nun ab von AMS Osram. Für Value-Investoren wären das gute Nachrichten. Allein, noch fehlt es an Wert, das neu geschaffene Unternehmen muss ihn erst generieren.

Die Ingenieure der österreichischen AMS, deren Aktien an der Schweizer Börse SIX ­kotiert sind, haben sich darauf spezialisiert, analoge Informationen der realen Welt in digitale für Smartphone, Tablet & Co. zu übersetzen. Beispiel: Dunkelt sich der Bildschirm eines Handys ab, sobald es ans Ohr geführt wird, sind dafür häufig AMS-Sensoren verantwortlich. Lange zählte Apple (AAPL 163.76 -0.61%) zu den grossen Kunden des Chipherstellers – teils mit einem Umsatzanteil jenseits der 50%. Die Wurzeln der deutschen Osram reichen zurück bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts. Die Experten des Traditionskonzerns verstehen sich auf alles rund ums Licht. Nach einem mit Raffinesse geführten Übernahmekampf gehört Osram seit März dieses Jahres offiziell zu AMS. Zusammen wollen beide Unternehmen ein führender Anbieter für Sensorlösungen und Photonik werden.

Bis es so weit ist, muss AMS-Osram-CEO Alexander Everke zwei unterschiedliche Konzerne zusammenführen: auf der einen Seite den tech-orientierten Chiphersteller, auf der anderen Seite ein Unternehmen, das sich als Autozulieferer versteht. Etwas ist ­allerdings schon jetzt gelungen: Everke hat Volatilität aus dem Geschäftsmodell genommen. Der Anteil der Consumer-Elektronik im neuen Konzern ist gesunken (vgl. Grafik). Das liegt allerdings auch daran, dass AMS Osram wichtige Grossaufträge von Apple verloren hat. Nun schätzen Analysten den Umsatzanteil des US-Tech-Konzerns auf 9%.

Auch 2022 wird für AMS Osram ein Jahr des Umbaus. Beobachter erwarten einen niedrigeren Gruppenumsatz von 5,1 Mrd. €, bei einem leicht höheren Betriebsgewinn auf Stufe Ebit (Earnings before Interest and Taxes) von 530 Mio. €. Voraussichtlich liegt der Erlös noch niedriger, da weitere Teile von Osram zum Verkauf stehen. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis 2022 von 11 sind AMS Osram im Vergleich zu Rivalen güns­tiger bewertet ist. Bis sie den Abschlag ­aufholen, wird es noch dauern.

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