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14:47 Uhr - 17.03.2022

Klaus Wellershoff: «Der Franken ist noch zu schwach»

Der Ökonom spricht im Interview von einem «Unterkonsum». Dieser sowie der inflationsbedingte Kaufkraftverlust schwäche die Wirtschaft.

Der Krieg in der Ukraine sorgt für Volatilität an den Finanzmärkten. Derweil steigen die langfristigen Zinsen – nach einem kurzen Rücksetzer – unbeirrt weiter und verstärken die Konjunktursorgen. Dennoch erhöht das Fed den Leitzins. Doch die Notenbanker stecken im Stagflationsdilemma, mit schwacher Wirtschaft und hoher Inflation. Ursache dafür sei auch die «unglaublich expansive» Geldpolitik der vergangenen Jahre, sagt Klaus Wellershoff, Verwaltungsratspräsident von Wellershoff & Partners. Er mahnt: «Das kann man nicht mehr ins Lot bringen, indem man ein paarmal die Zinsen anhebt.»

Herr Wellershoff, es herrscht Krieg auf dem europäischen Kontinent. Wird Europa nun von den USA hinsichtlich der Wirtschaftsdynamik abgehängt?
Die konjunkturelle Lage in den USA und Europa war schon vor der Zuspitzung des Konflikts sehr unterschiedlich. Während die Amerikaner bereits über der normalen Auslastung ihrer Kapazitäten operierten, bestand in den europäischen Volkswirtschaften deutliches Aufholpotenzial, interessanterweise vor allem bei unseren deutschen Nachbarn. Und die Konjunktur unseres Haupthandelspartners ist für die hiesige Wirtschaft natürlich sehr wichtig. Allein durch die geografische Nähe und die wirtschaftlichen Abhängigkeiten zur Ukraine wird das Wachstum in Europa stärker betroffen sein als andernorts.

Die Stimmung der Unternehmer war bis zum Kriegsausbruch auf recht hohem Niveau.
Die zunehmenden Lockerungen der Coronamassnahmen hatten das Stimmungsbild natürlich aufgehellt. Doch nun fehlen uns aktuelle Daten zur Lage bei den Unternehmen, welche eine wichtige Grundlage für Konjunkturprognosen darstellen. Grösstenteils unbeobachtet befindet sich allerdings die Konsumentenstimmung in den USA teilweise auf historischen Tiefstwerten. Dies ist den hohen Energiepreisen zu verdanken und wird konjunkturelle Spuren hinterlassen, auch in Europa.

Somit werden die sonst sehr ausgabefreudigen Amerikaner den Gürtel enger schnallen?
Die Amerikaner werden immer noch viel Geld ausgeben, allerdings zu höheren Preisen, und das bedingt eine tiefere Menge. Der Inflationsanstieg dämpft die Weltkonjunktur, und von all den wirtschaftlichen Effekten, die dieser Krieg hat, ist die preistreibende Wirkung am schwierigsten zu bekämpfen.

Die Arbeitnehmer in den USA profitieren wenigstens von einem Lohnwachstum, das deutlich angezogen hat.
Ja, das ist richtig. Allerdings liegt die Inflationsrate in den USA deutlich über dem Niveau in Europa und auch deutlich über dem Nominallohnwachstum, sodass unter dem Strich ein realer Kaufkraftverlust von etwa 3% resultiert.


«Die führenden Notenbanken sind hinter die Kurve geraten.»


Das Fed hat eine erste Zinserhöhung vorgenommen und weitere in Aussicht gestellt. Wie wird es geldpolitisch in Europa weitergehen?
Notenbanker ist ein Job, den man aktuell definitiv nicht haben möchte. Das Stagflationsdilemma für die Währungshüter entsteht durch die unglaublich expansive Gangart der vergangenen Jahre, die geschaffenen Geldmengen und das dadurch entstandene Inflationspotenzial auf der einen Seite und einer Weltkonjunktur auf der anderen Seite, die aktuell durch den Ukrainekrieg bedroht wird. Allerdings haben sich bereits seit dem letzten Herbst Rezessionsrisiken gezeigt, was ungewöhnlich ist in einer solch frühen Phase eines Aufschwungs.

An welche Rezessionsrisiken denken Sie genau?
Durch die Pandemie sind die Budgetdefizite nochmals enorm gestiegen, und diese müssten eigentlich auf ein tieferes Niveau zurückgeführt werden. Die nötige fiskalische Zurückhaltung kostet Wachstum und bedroht die Konjunktur. Darüber hinaus haben wir einen Überkonsum bei den Gütern beobachtet. In den USA ist der Güterkonsum etwa zwanzig Prozent höher gelegen, als dies sonst im Trend möglich gewesen wäre. Das hat auch zu den viel diskutierten Lieferkettenengpässen geführt, und zwar viel mehr als irgendwelche coronabedingten Produktionseinschränkungen. Viele dieser eingekauften Konsumgüter sind langlebiger Art, die so schnell nicht wieder ersetzt werden. Daher musste man sich sowieso auf eine Phase des Unterkonsums einstellen. Und wie gesagt, hat sich der Kaufkraftverlust durch die hohe Teuerung nochmals akzentuiert.

Das Dilemma, in dem die Notenbanken stecken, ist also selbst verschuldet?
Die führenden Notenbanken sind hinter die Kurve geraten, insofern als sie die Zügel zu lange zu locker gelassen haben. Das kann man nicht mehr ins Lot bringen, indem man ein paarmal die Zinsen anhebt. Das ist ein Trugschluss. Somit ist gut vorstellbar, dass die Währungshüter weiter das tun, was die Finanzmärkte von ihnen erwarten.

Heisst das, die Geldpolitik bleibt zu locker?
Es wird die erwartete moderate Rückführung der lockeren Geldpolitik fortgesetzt. Das ist aber längst nicht mit einer richtigen «hawkishen» Politik gleichzusetzen. Früher gab es noch Zentralbanker, die haben Rezessionen provoziert und diese nicht nur billigend in Kauf genommen, um eben die gefährliche Inflationsdynamik zu brechen.

Dann kommt man aus dieser ultraexpansiven Phase der Geldpolitik nicht ohne Schmerzen wieder heraus?
Wir werden in der näheren Zukunft höhere Inflationsraten haben, als wir das in den vergangenen zwanzig Jahren gewohnt waren. Und das impliziert, dass wir mittelfristig auch höhere Zinsen haben müssen. Der Zinsanstieg, der interessanterweise während des Ukrainekriegs weitergegangen ist, wird sich fortsetzen. Das wird die Kurse von Finanzanlagen belasten. Der Ausblick für die kommenden Jahre ist somit bescheiden. Für sehr lange Zeit konnte mit fast jeder Anlage eine gute Rendite erzielt werden, und die steigende Flut hat alle Boote angehoben. Jetzt hat sich das Blatt gewendet, der Preis für die expansive Geldpolitik muss gezahlt werden, und die Ebbe lässt alle Boote sinken.


«Die jetzt anstehende Ebbe lässt am Finanzmarkt alle Boote sinken.»


Ist denn die Schweizerische Nationalbank ebenfalls zu spät dran mit einer geldpolitischen Straffung?
Die SNB war natürlich aus anderen Gründen expansiv als ihre Kollegen andernorts. Hierzulande hat uns die Wechselkursthematik riesige Geldmengen beschert. Dadurch ist ein kaum lösbares Problem entstanden. Zumindest haben wir in der Schweiz das Glück, dass die Energiekomponenten nicht so stark in die Inflationsberechnung einfliessen wie beispielsweise in den USA. Der Inflationsanstieg wird somit auch geringer ausfallen. Dennoch werden auch hierzulande die Zinsen steigen müssen.

Ein starker Franken dämpft die Importpreise und die Teuerung insgesamt.
Das mag zu einem gewissen Grad so sein, ist aber statistisch nicht wirklich relevant. Das Ausmass ist momentan zu gering.

Der Franken erreichte zum Euro schon kurzfristig Parität. Wo liegt die Schmerzgrenze für die SNB?
Erst muss man sich vergegenwärtigen, warum der Franken stärker wird. Und da folgt die Entwicklung genau der Beschreibung in den Lehrbüchern, denn die Währung mit der tieferen Inflationsrate wertet auf. Insbesondere auf der Ebene der Produzentenpreise ist die Differenz stark ausgeprägt. Das heisst nichts anderes, als dass die hiesigen Unternehmen wettbewerbsfähiger geworden sind. Für den Grossteil der Unternehmen in der Schweiz dürfte ein Wechselkurs zum Euro bei Parität unproblematisch sein. Der SNB wird daran gelegen sein, dass eine weitere Aufwertung nicht zu rasch geschieht, aber tendenziell wird der Kurs unter die Parität fallen. Die Schmerzgrenze liegt deutlich tiefer als bei einem Wechselkurs von 1,0.

Dann ist es eher die Geschwindigkeit der Aufwertung, die die SNB zum Handeln veranlasst?
Solange die weitere Aufwertung allmählich vonstattengeht, ist das für die Wirtschaft zu verdauen. In ein paar Jahren werden wir bei 0.80 Fr./€ sein.

Dann sind wir nicht so weit entfernt von einem fairen Wert des Frankens gegenüber dem Euro?
Tatsächlich ist der Franken handelsgewichtet und nach Kaufkraftparitäten berechnet aktuell eher zu schwach. Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Aufwertung auch in den kommenden Monaten ist sehr hoch.


«Vielleicht hoffen viele in der EZB insgeheim auf eine Rezession.»


Und Ihr Glaube an den Euro ist ungebrochen?
Der Euro ist eine Fehlkonstruktion, das haben wir von Anfang an gesagt. Dennoch muss deshalb nicht prinzipiell an dessen Überlebensfähigkeit gezweifelt werden. Wir waren immer optimistisch. Doch nun bereitet mir die potenzielle Dynamik der Finanzmärkte Sorgen. Denn sollten die Zinsen auf Staatsanleihen der Euroländer in der mittleren Frist deutlich steigen, dann würde die Schuldentragfähigkeit der schwächeren Mitgliedsländer erneut angezweifelt, und deren Risikoaufschläge würden sich klar ausweiten. Den damit verbundenen Spekulationen über ein Auseinanderbrechen der Währungsunion hätte die Zentralbank weniger entgegenzusetzen als damals in der Schuldenkrise, als die Inflation kein Thema war. Die hohe Inflation engt den Spielraum deutlich ein.

Dann muss die Europäische Zentralbank umso vorsichtiger sein beim Zurückfahren der Anleihenkäufe?
Da werden sie mit vorsichtiger Hand vorgehen. Vielleicht hoffen auch viele in der EZB insgeheim auf eine Rezession. Dann müssen sie nichts tun, sind nicht schuldig, und eine Rezession könnte eine Bereinigung mit sich bringen, die dann auch das Inflationsproblem löst.

Vor Kriegsausbruch gab es Spekulationen, dass die SNB noch vor der EZB beginnen könnte, die Geldpolitik zu straffen. Was halten Sie von dieser These?
In einer normalen Konjunkturentwicklung ist das keine falsche These. Schliesslich gibt es einen Grund, warum wir in der Schweiz eine eigene Währung haben, und das ist die unabhängige Geldpolitik. Zudem ist die Basisgeldmenge in der Schweiz in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als in den Euroländern. Auch in der Vergangenheit ist die SNB nicht immer der Deutschen Bundesbank oder der EZB gefolgt.

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