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07:04 Uhr - 21.11.2018

«Erwartungen an die Gewinne für 2019 sind zu hoch»

David Older, Leiter Aktien beim Verögensverwalter Carmignac, geht nicht von einer Trendwende an den Aktienmärkten aus. Er setzt weiter auf Luxus- und Technologiewerte – und China.

Herr Older, kühlt sich die Wirtschaft nur temporär ab, oder erleben wir eine zyklische Trendwende?
Beides. Wir befinden uns zweifellos am Anfang eines zyklischen Abschwungs, besonders ausserhalb der USA. Die Einkaufsmanagerindizes sprechen seit Anfang Jahr eine deutliche Sprache. Die USA profitieren noch von den Folgen der Trump-Wahl, von der Unternehmenssteuerreform sowie den fiskalischen Stimuli, die in einer solchen Zyklusphase ungewöhnlich sind. Hinzu kommt das noch hohe Vertrauen der US-Konsumenten.

Was bereitet Ihnen aus Anlagesicht derzeit am meisten Kopfschmerzen?
Der Handelsstreit zwischen den USA und China dominiert unsere Agenda. Die Beeinträchtigung der komplexen Zulieferketten mit China könnte ernsthafte, unerwartete Folgen haben. Klar, die Haushaltprobleme Italiens mit der EU und der Brexit sind bedeutend, aber hier ist bereits einiges an negativen Erwartungen in den Märkten eingepreist.

Dennoch sehen Sie die USA für Anleger weiterhin als Insel der Glückseligen?
Die Expansion in den USA hebt sich vom Rest der Welt ab, aber der Aktienmarkt ist sehr eng. Um zu profitieren, muss man in den richtigen Branchen engagiert sein, etwa im Technologiesektor, genauer in Internet-Unternehmen, oder im Konsumgüterbereich. Die US-Börse durchläuft ganz klar nur eine Korrektur. Es gibt keine Hinweise, dass es zu einem Trendwechsel kommen könnte.

Heisst das, die Aktienrally wird 2019 in den USA wieder in Schwung kommen?
Nein, das Bild wird sich im kommenden Jahr trotzdem eintrüben – hauptsächlich wegen der steigenden Zinsen und dem Auslaufen von Trumps Stimulusprogrammen. Auch der US-Aktienmarkt wird an Dynamik einbüssen. Er wird sich aber immer noch besser entwickeln als die Börsen in der übrigen Welt.

Wie lange werden die Stimuli nachwirken?
Der Haupteffekt liegt hinter uns. Die Stimuli werden 2019 aber noch zu spüren sein. Ein positiver Aspekt aus den US-Zwischenwahlen ist, dass Überraschungen ausblieben. Damit dürften aber auch weitere Massnahmen im Steuerbereich vom Tisch sein. Möglich bleibt eine Erhöhung der Infrastrukturinvestitionen. Diese werden sich aber erst in einigen Jahren realwirtschaftlich niederschlagen.

Was bedeutet die Entwicklung in den USA für andere Börsenplätze?
Die durch die US-Steuerreform begünstigte Repatriierung von Kapital hat zu einer deutlichen Verknappung der Dollarliquidität geführt. Darunter leiden besonders die aufstrebenden Märkte. Der Wachstumsunterschied zwischen den USA und dem Rest der Welt wird den Dollar und die Zinsen weiter nach oben treiben.

Sollten Anleger die Turbulenzen aussitzen oder eine Neugewichtung vornehmen?
Der Handelskonflikt zwischen den USA und China legt eine konservativere Positionierung nahe. Streitpunkte wie der Schutz des geistigen Eigentums, erzwungene Technologietransfers oder der Zugang zum chinesischen Markt werden nicht am G-20-Treffen in Argentinien gelöst werden. Hinzu kommt, dass die Gewinnerwartungen für US-Firmen für 2019 zu hoch sind – die Gewinne dürften eher um 5% und nicht wie erwartet um 10% wachsen. Drei Jahre Gewinnexpansion hintereinander kommen kaum mehr vor. Die Bewertungen sind nach der Korrektur zwar günstiger, die Aussichten sind aber nicht rosig.

Heisst das, jetzt die Aktienquote reduzieren oder im Gegenteil günstiger zukaufen?
Angesichts der Unsicherheiten gewinnt die Einzeltitelauswahl an Bedeutung. Wegen der zyklischen Verlangsamung gilt es, Finanz- und Rohstoffwerte zu meiden. Auch Aktien von Unternehmen mit hoher Verschuldung werden leiden. Wir setzen weiterhin auf säkulare Wachstumswerte aus dem Technologie-, Konsumgüter- und Gesundheitsbereich. Anleger sind aber nicht mehr bereit, überrissene Preise für diese Werte zu zahlen.

Nennen Sie Beispiele.
Wachstumstitel wie der Onlinemöbelversand Wayfair (W 84.55 2.36%) haben 35% eingebüsst und sind jetzt wieder attraktiv. Im Gegensatz dazu haben wir nach fünf Jahren im September unsere Position in Amazon (AMZN 1495.46 -1.11%) ganz abgebaut, weil sich das E-Commerce-Kerngeschäft in den USA verlangsamt und die aktuelle Bewertung nicht mehr rechtfertigt. Wir gehen davon aus, dass Amazon weiter unter Druck bleiben wird. Auch unsere Holdings in Softwaretiteln wie Service Now oder PTC haben wir angesichts hoher Bewertungen drastisch reduziert. Unsere Position in Splunk (SPLK 87.87 -1.57%) haben wir ganz geschlossen.

Hat Carmignac immer noch eine Vorliebe für chinesische Technologieaktien?
40% unserer Investments in Schwellenländern sind chinesische Technologiewerte. Wir mussten dieses Jahr Verluste hinnehmen und haben Positionen in Schwellenländern wie Argentinien oder Indien reduziert. Auch das chinesische Realwachstum verlangsamt sich. Wir glauben aber, dass es sich dank Stimulierungsmassnahmen der Regierung wieder fangen wird. Mehr Sorgen bereitet uns der Handelskonflikt mit den USA. An unseren Positionen in binnenorientierten Unternehmen wie Tencent (Tencent 35.528 -2.61%), Wuba, die die Listing-Seite 58.com betreibt, oder Hikevision, einem Unternehmen für Videoüberwachung und -analyse, halten wir indes fest.

Welche Positionen in chinesischen Aktien geben Sie dafür auf?
Hauptkonfliktpunkt mit den USA ist Chinas Absicht, bis 2025 noch grössere Kontrolle über ihre Technologiezulieferkette zu erlangen, was den US-Interessen zuwiderläuft. Die mögliche Beschränkung von Technologietransfers oder der Lieferung von Komponenten könnte die Entwicklung etwa der chinesischen Halbleiterindustrie behindern.

Sie haben zahlreiche Positionen abgebaut. Wo geht das Geld jetzt hin?
Wir wechseln von Hyperwachstums- zu Wachstumsunternehmen, die finanziell und aus Bewertungssicht überzeugen. In diese Kategorie fallen Titel wie Alphabet, Booking.com oder Electronic Arts (EA 72.93 1.15%). Sie verzeichnen ein Umsatzwachstum von 10 bis 20%, haben aber ein vertretbares Kurs-Gewinn-Verhältnis zwischen 18 und 20. Wir haben auch unsere Positionen im Gesundheitsbereich ausgebaut, hauptsächlich in den USA. Hier setzen wir auf die Aktien von Anthem, einem Managed-Care-Spezialisten, oder auf Pharmatitel wie die französische Sanofi.

Sie erwähnten auch Konsumgütertitel.
Ja, zum einen setzen wir auf den weiterhin kauflustigen US-Konsumenten, zum anderen auf Luxusgüter. Bei Letzteren bevorzugen wir die Aktien von Hermes und Ferrari (RACE 105.24 -3.29%). Diese Unternehmen verstehen es ausserordentlich gut, ihre Produkte künstlich zu verknappen. Ferrari ist zudem nicht übermässig von der chinesischen Nachfrage abhängig. Wir halten auch Positionen in Constellation Brands, die sich mit Bier- und Weinspezialitäten wie Corona einen Namen gemacht hat.

Beobachten Sie auch den Schweizer Markt? Welche Titel sind hier für Sie attraktiv?
Wir hielten eine Position in Temenos (TEMN 119.6 0.25%) in unserem Europafonds. Für unsere globalen Portfolios sind die meisten Schweizer Titel aber zu wenig liquide, um berücksichtigt zu werden.

In unsicheren Zeiten scheinen manchen defensive Aktien, etwa aus dem Telecomsektor, wieder interessant.
Der Sektor ist wenig attraktiv. Die meisten Telcos haben Mühe, Umsatzwachstum zu schaffen, sie haben wenig Preismacht und müssen sich in einem hoch kompetitiven Umfeld behaupten. Die Dividende ist nur dann ein Argument, wenn man von der langfristigen Stabilität des Aktienkurses überzeugt ist – und das sind wir nicht. Ausser T-Mobile in den USA, die eine Marktkonsolidierung anstrebt, sehen wir in anderen Sektoren bessere Alternativen.

Ihr rund 18-Mrd.-€ grosser Flaggschiff-Fonds, Patrimoine, durchläuft seit Jahren eine Durststrecke. Was läuft falsch?
Traditionell wurde das Aktienportfolio Top-Down, also mit einer starken Makroperspektive, verwaltet. Das führte dazu, dass bedeutende Positionen etwa in argentinischen Banken aufgebaut wurden und zu Verlusten führten. Wir wollen nun bei der Titelwahl eine Balance finden: Auf Basis von Fundamentalanalyse setzen wir auf Einzeltitel, die über den gesamten Zyklus hinweg überzeugen. Angesichts der aktuellen Unsicherheiten haben wir aber auch im Aktienteil eine eher konservative Haltung und reizen diesen nicht ganz aus.

Genügt das, um das Gesamtportfolio wieder auf eine positive Rendite zu bringen?
Wir müssen mindestens zu 50% in Obligationen investiert sein. Es bleibt schwierig, mit Anleihen eine gute Rendite zu erzielen. Diese Aufgabe fällt dem Aktienteil zu, also ist es für das Aktienportfolioteam wichtig zu performen.

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