Die amerikanische Konjunktur sendet widersprüchliche Signale. Eine Zinserhöhung im Juni steht nicht mehr zur Debatte.
Die amerikanische Konjunktur hat im Frühling an Schwung gewonnen. Doch der unerwartet schlechte Arbeitsmarktbericht vom Freitag weckt erneut Zweifel daran, wie robust die Lage wirklich ist.
Mehr zum ThemaYellen buchstabiert zurückEin Blick auf die jüngsten Wirtschaftsdaten zeigt ein widersprüchliches Bild: Die Konsumausgaben steigen, doch der Einzelhandel spürt davon wenig. Die Aussichten für die Industrie hellen sich auf, aber die Unternehmen schrauben ihre Ausgaben zurück. Der Arbeitsmarkt, der sich bislang stabil entwickelt hat, schwächelt. Klar scheint derzeit nur eins: Die US-Notenbank wird die zweite Zinserhöhung verschieben.
Steigende Gesundheitskosten
Das neue Jahr startete holprig: Im ersten Quartal legte das amerikanische Bruttoinlandprodukt (BIP) auf das Jahr hochgerechnet 0,8% zu und blieb hinter den Erwartungen zurück. Zwischenzeitlich kamen sogar Rezessionsängste auf. Für das zweite Quartal stehen die Vorzeichen besser. Das Modell der Distriktnotenbank Atlanta, dessen Prognose auf aktuellen Wirtschaftsdaten basiert, stellt ein Wachstum von 2,5% in Aussicht.
Erfreulich haben sich im Frühling die Haushaltausgaben entwickelt, der Hautpfeiler der US-Wirtschaft. Im April haben die Amerikaner 1% mehr ausgegeben als im Vormonat – das ist der stärkste Anstieg seit August 2009. Gestützt wird der Konsum von den steigenden Löhnen. Im düsteren Arbeitsmarktbericht waren sie ein Lichtblick. So sind die Gehälter im Jahresvergleich 2,5% gestiegen.
Doch das zusätzliche Geld hat kaum Kauflaune ausgelöst. So kämpfen etwa traditionelle Warenhäuser wie Macy’s oder Kohl’s mit schwindendem Umsatz. Eine Ursache ist in den steigenden Gesundheitskosten zu finden. «Ausgaben für Gesundheit und Krankenversicherungen machen 17% des Budgets aus und die Kosten steigen schnell», schreiben die Analysten von Barclays (BARC 177.95 -1.22%). Fast 150 $ oder 5,2% mehr als im Vorjahr gibt ein Haushalt heute für diesen Posten aus. «Diese Ausgaben sind für viele Amerikaner unumgänglich», meint Christopher Woods, Stratege beim Brokerhaus CLSA. Damit bleibt weniger Geld für andere Einkäufe, was die Konsumbranche belastet.
Unterschiedliche Signale sendet auch Corporate America. So ist der Einkaufsmanagerindex, der vom Institute for Supply Management (ISM) veröffentlicht wird, im Mai gestiegen: Die Chefeinkäufer bewerteten das Marktumfeld optimistischer. Seit März notiert der ISM-Index über der Schwelle von 50 und signalisiert ein Wachstum der Industrieaktivität. Der Index gilt als einer der zuverlässigsten Frühindikatoren für die US-Wirtschaft.
Sorge um den Arbeitsmarkt
Von diesem Optimismus ist an der Unternehmensfront allerdings wenig zu spüren. Ablesen lässt sich das etwa an der Investitionstätigkeit. So sind die Bestellungen für Kapitalgüter wie Maschinen und Computer im April erneut gesunken. Seit mehr als einem Jahr schrumpft die Nachfrage. Diese Einsparungen drohen, das zukünftige Unternehmenswachstum zu schmälern. Zudem dämpfen sie die Wirtschaftsleistung. Für Unsicherheit in den Führungsetagen sorgen der starke Dollar und die schwache globale Konjunkturlage. Diese Faktoren schränken die Absatzchancen im Ausland ein. Zudem muss die Energiebranche, die in Zeiten hoher Rohstoffpreise kräftig investiert hat, den Gürtel nun enger schnallen. Die Wende, die der ISM-Index signalisiert, lässt bislang auf sich warten.
Das grösste Fragezeichen ergibt sich im Arbeitsmarkt: Magere 38 000 Stellen sind im Mai entstanden. Die Zahlen der Vormonate wurden zudem nach unten revidiert. Gemäss den Analysten von Barclays signalisiert die nachlassende Dynamik eine wachsende Rezessionsgefahr. Entwarnung geben dagegen die Strategen von Credit Suisse (CSGN 12.91 -1.07%). «Keine Panik, so sieht es aus, wenn Vollbeschäftigung herrscht», schreiben sie. Habe die Wirtschaft diesen Status erreicht, sei ein monatlicher Stellenzuwachs von 100 000 realistisch, meinen die Analysten. Auch die Strategen von Bank of America (BAC 14.35 -1.17%) Merrill Lynch sehen Anzeichen für Vollbeschäftigung. Nicht richtig ins Bild passe aber die erneut sinkende Partizipationsrate, relativieren sie. Sie zeigt an, dass mehr Arbeitslose die Suche nach einer Stelle aufgegeben haben.
Einig sind sich die Ökonomen darin, dass die US-Notenbank abwarten wird, bevor sie die Zinsen erneut erhöht – das, bis sich mehr Gewissheit ergibt, in welche Richtung die amerikanische Wirtschaft sich tatsächlich entwickelt.
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