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08:06 Uhr - 29.10.2014

«Anleihen sind und bleiben attraktiv»

Nicholas Gartside, International Chief Investment Officer von J. P. Morgan Asset Management, findet im globalen Bond-Universum reichlich Gelegenheiten, wie er im Interview mit der FuW erläutert.

Herr Gartside, die Zinsen sind niedrig, in den USA dürfte frühestens für die zweite Hälfte 2015 mit einer Leitzinsanhebung zu rechnen sein. Europa mit Ausnahme Grossbritanniens ist noch weiter von einem solchen Schritt entfernt, die Inflation nimmt eher ab – wie erwirtschaften Sie in diesem Umfeld mit Anleihen noch Rendite?
Wenn wir die Zinsseite betrachten, gibt es eine Divergenz: In der Eurozone und in Japan gehen die Renditen eher noch weiter zurück – nicht weil die Leitsätze gesenkt werden, sondern weil die Notenbanken ihre Politik der quantitativen Lockerung fortsetzen. Auf der anderen Seite stehen die USA und Grossbritannien, wo die Zinsen etwa ab dem dritten oder dem vierten Quartal 2015 nach oben in Bewegung geraten dürften.

Was ist also zu tun?
Investoren sollten eine Checkliste führen und auf zwei wesentliche Punkte achten: Da sind erstens die Wachstumsraten, in Europa sind sie recht niedrig, in den USA und in Grossbritannien mit etwa 3% deutlich höher. Der zweite und wesentlichere Punkt ist die Inflation oder die fehlende Teuerung, um genauer zu sein.

Inflation ist eigentlich weltweit nirgendwo auszumachen.
Richtig, wo Sie auch hinschauen: Inflation findet nicht statt. In Teilen Europas herrscht Deflation, und sogar in Volkswirtschaften mit traditionell hoher Inflationsrate bewegen sich die Preise nicht. Nicholas Gartside, International Chief Investment Officer von J. P. Morgan Asset Management«Die Kompensation für das höhere Volatilitätsrisiko ist in verschiedenen Schwellenländern durchaus noch gegeben.» Bild: ZVGIn Grossbritannien liegt die Teuerung jetzt gerade leicht über 1%, das ist bemerkenswert niedrig. Und solange die Notenbanken keinen Preisauftrieb ausmachen, zögern sie mit Leitzinsanhebungen.

Woran liegt es, dass die Inflation überall so lange so niedrig bleibt?
Es sind hauptsächlich drei Gründe: Neben den tiefen Rohstoffpreisen gibt es schon lange keine Lohninflation mehr, ohne die in entwickelten Volkswirtschaften der Preisauftrieb beschränkt bleibt. Der öffentliche Sektor reduziert seine Verschuldung, und die Privatwirtschaft erhöht die Produktivität, indem sie tendenziell Personal abbaut. Der dritte Grund ist der Abwertungswettlauf. Zum Wohl der Wettbewerbsfähigkeit versuchen Regierungen, den Kurs der eigenen Währung niedrig zu halten. Der Euro war aber stärker, als viele Leute erwartet hatten, was die Inflation bislang bremste.

Wie sind Sie strategisch positioniert?
Wir haben verschiedene Wetten am Laufen. Unternehmensanleihen sehen sehr gut aus, die Fundamentaldaten der meisten Unternehmen sind recht solide.

Unternehmensanleihen in Anlagequalität oder aus dem Hochzinssegment?
Bei Anleihenqualität sind wir sehr selektiv. Wir bevorzugen zumeist Hochzinsanleihen, schliesslich sind die Ausfallraten sehr gering und werden es auch bleiben. Hinzu kommt, dass die Unternehmen selbst einen Stabilitätsbeitrag geleistet haben, indem sie in der gegenwärtigen Tiefzinsphase langfristig umgeschuldet und ihr Refinanzierungsrisiko massiv gesenkt haben. So kann die Risikoprämie, der Spread, gegenüber Staatsanleihen weiter schrumpfen.

Wie steht’s mit der Liquidität im Hochzinsbereich, zumal die Banken zwecks vorgeschriebener Risikoreduktion den Eigenhandel und das Market Making signifikant zurückgefahren haben?
Es gibt reichlich Liquidität im Primärmarkt. 2014 werden in Europa allein etwa 650 Mrd. € an IG-Anleihen – an Papieren mit Investment-Grade-Status – emittiert werden. In den USA wird es rund 1 Bio. $ sein. An Hochzinsanleihen sind es 330 Mrd. $ respektive 75 Mrd. €. Der Sekundärmarkt ist weniger liquide als 2006/07.

Wie managen Sie Wechselkursrisiken?
Neuerdings sind wir im Dollar übergewichtet. Anlagekapital fliesst dorthin, wo die höchsten Renditen winken. Und die gibt es im Moment nun mal in den USA. Das Wirtschaftswachstum ist höher, und die US-Notenbank ist der Straffung der Geldpolitik näher als ihr europäisches Pendant. Der Dollar wird sich gegenüber dem Euro weiter aufwerten.

Was passiert derweil in den Schwellenmärkten?
Da wird es interessant. Ein starker Dollar kann Schwellenländerwährungen etwas unter Druck bringen. Deshalb sehen wir uns solche Schwellenländer an, in denen die Bondrenditen vergleichsweise hoch sind – etwa Brasilien, Südafrika und die Türkei. In diesen Ländern kriegt man eine recht gute laufende Verzinsung.

Die Rede ist von Anleihen in Lokalwährungen. Ist das Volatilitätsrisiko nicht recht hoch, wenn der Dollar sich aufwertet?
Ja, es ist höher als anderswo. Aber nehmen wir beispielsweise Brasilien, wo man gut und gerne 12% Rendite erzielen kann. Die Kompensation für das höhere Volatilitätsrisiko ist also noch gegeben.

Das Ausfallrisiko von Hochzinsanleihen bleibt gering?
In Europa beträgt die Ausfallquote gegenwärtig etwa 0,75%. Sie wird sich auch in absehbarer Zeit nicht wesentlich erhöhen und sich bei rund 1% einpendeln. Es fehlen einfach die Voraussetzungen, dass Emittenten in Zahlungsverzug geraten. Die Unternehmen sind finanziell robust ausgestattet. Es gibt keinen unmittelbaren Zwang mehr zur Restrukturierung, denn diese ist zumeist bereits vollzogen.

Lindt & Sprüngli hat kürzlich problemlos 1 Mrd. Fr. platziert. Das Unternehmen ist weltbekannt, hat aber kein offizielles Rating. Finnland hat jüngst sein Toprating verloren, ohne dass dies Spuren hinterliess. Haben Bonitätsnoten an Bedeutung verloren?
Das kommt auf den Kunden an. Manche Anleger wollen nur in Unternehmen mit Rating investieren. Wir haben eine eigene Überwachungsliste von Unternehmen, die für uns in Frage kommen und die wir gründlich analysieren. Das Rating von Staaten ist eher von untergeordneter Bedeutung. Finnland bleibt einer der besten Staatsschuldner in der Eurozone.

Es kommt also wesentlich auf den guten Namen an?
Ja, aber wir lassen zumeist die Finger von derart prominenten Schuldnern ohne Rating, weil wegen des guten Namens die Renditen aus unserer Sicht nicht hoch genug sind.

Wie sieht denn Ihre globale Positionierung im Einzelnen aus?
Wir sind in US- und in europäischen Hochzinsanleihen übergewichtet. Im Sektor der Unternehmensanleihen mit Anlagequalität bevorzugen wir Bankanleihen, und zwar über die gesamte Kapitalstruktur von vorrangigen bis nachrangigen und Tier-1-Papieren. Unser Favorit unter den Staatsanleihen ist Australien. Das Land hat noch ein Triple-A-Rating, die Zinsen von derzeit 2,5 respektive rund 3,3% am längeren Ende können noch weiter sinken. Australiens rohstofflastige Wirtschaft ist sehr von der Konjunkturverlangsamung in den Schwellenländern betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Zinsen weiter gesenkt werden, ist also gegeben.

Wo sind Sie sonst noch übergewichtet?
Das mag den einen oder anderen überraschen, aber wir mögen nach wie vor spanische und italienische Staatsanleihen.

Was ist mit den Schwellenländern?
Dort konzentrieren wir uns auf ausgesuchte Länder. Wir bevorzugen neben den erwähnten Lokalwährungsanleihen aus Brasilien, Südafrika und der Türkei auch mexikanische Peso-Bonds.

Also auch Kandidaten aus den als fragil bezeichneten Schwellenländern?
Ja, denn wir halten die Fragile Five mittlerweile für gar nicht mehr so zerbrechlich. Sie haben schon viel getan, die Zinsen deutlich angehoben und die hohen Leistungsbilanzdefizite verringert.

Wo sind Sie untergewichtet?
In Staatsanleihen aus der Eurokernzone und in US-Treasuries sowie in einigen Unternehmensanleihen der Qualität A bis AA, deren Renditeprämie oft zu niedrig ist.

Die Anlageklasse Anleihen ist nach wie vor eine vielseitige Spielwiese?
Die globalen Anleihenmärkte bieten eine reiche Auswahl guter Gelegenheiten. Denjenigen, die sagen, Anleihen seien nicht mehr attraktiv, kann ich nur widersprechen. Anleiheninvestoren haben ja zwei Feinde: höhere Zinsen und Inflation. Von Zinserhöhungen sind wir noch mindestens ein Jahr entfernt, und Inflation ist weit und breit nicht zu sehen.

Wo werden die Zinsen in den USA und in Europa in zwölf Monaten sein?
In Europa immer noch sehr niedrig – ähnlich wie heute. In den USA wird in zwölf Monaten die erste Leitzinsverteuerung bereits vollzogen sein oder unmittelbar bevorstehen. US-Treasuries, die zurzeit rund 2,1% abwerfen, werden in einem Jahr viel näher an 3% heranreichen.

Wo sehen Sie den Dollar in einem Jahr?
Er wird sich zum Euro weiter aufwerten, bis auf etwa 1.10 bis 1.15 $/€.

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