Zurück zur Übersicht
11:30 Uhr - 23.11.2016

«La thérapie de choc» – überfällig

Der frühere Premier François Fillon ist auf bestem Weg, der Präsidentschaftskandidat der französischen Bürgerlichen zu werden, und das mit einem liberalen Reformprogramm. 

Courant normal – das genügt nicht mehr. Endlich scheint das vielen Menschen in Frankreich zu dämmern. In den Vorwahlen der bürgerlichen Républicains ist der frühere Präsident Nicolas Sarkozy mit blamablen 20% abserviert worden; Alain Juppé, der zuvor als Favorit gehandelte Zentrist, hat mit 28% deutlich schlechter abgeschnitten als François Fillon (44%), der für ein klar wirtschaftsliberales Programm einsteht. Nächsten Sonntag findet die Stichwahl statt, und sofern nicht abermals Überraschendes geschieht, dürfte Fillon (62) dann der Präsidentschaftskandidat der Bürgerlichen sein.

«Ich stehe an der Spitze eines Staats, der bankrott ist. Wäre Frankreich ein Unternehmen oder ein Privathaushalt, dann wäre es zahlungsunfähig» – so sprach François Fillon 2007, als er Premierminister unter dem frischgebackenen Präsidenten Sarkozy wurde. Dieser Offenbarungseid wurde mit medialem Zetermordio quittiert. Fillons Chef Sarkozy, der bloss konjunkturelle statt strukturelle Schwächen erkennen wollte, verdrängte die bedenkliche Diagnose. Fillon konnte nur wenig ausrichten; das letzte Wort hat in Frankreich das Elysée, nicht das Hôtel Matignon.

Es ist kein Zufall, dass der Name Margaret Thatcher in Frankreich gegenwärtig recht häufig zu hören und zu lesen ist. Soeben ist eine Sammlung ihrer Reden in französischer Übersetzung erschienen. Das rechts der Mitte angesiedelte Magazin «Le Point» hat der «Dame de fer» Anfang Oktober eine Titelgeschichte gewidmet, ausdrücklich mit Verweis auf die Präsidentschaftswahlen 2017. «Le Point» stellt die These auf, dass Frankreich heute verblüffend ähnlich marode ist wie das Vereinigte Königreich Ende der 1970er-Jahre und daher ähnlich tiefgreifender Erneuerung bedarf. Genau das verspricht Fillons Regierungsprogramm. Dessen Hauptpunkt ist die Entfesselung der Wirtschaftskräfte. Fillon will so manches Tabu brechen: Die 35-Stunden-Woche streichen, das Budget binnen fünf Jahren um 100 Mrd. € entlasten, den Staatsapparat massiv verkleinern, die Steuerlast der Unternehmen um 40 Mrd. € erleichtern und das Rentenalter von 62 auf 65 Jahre erhöhen.

Fillon wird Respekt für Thatcher nachgesagt, was in Frankreich Zivilcourage voraussetzt. Überhaupt gilt er als anglophil; mag wohl sein, dass seine Ehe mit einer Waliserin dazu beiträgt. Fillon stammt aus Le Mans (und braust als Liebhaber rassigen Automobilsports immer mal wieder selbst über den legendären Rundkurs); das katholisch-konservative Milieu des ländlichen Westfrankreichs hat ihn geprägt.

Mit Fillon tritt ein Insider an, um die Verkrustungen der Republik aufzubrechen. Er ist kein frisches Gesicht. Ab 1993 hat er mehrmals als Minister gedient, auch unter dem seinerzeitigen Premier und jetzigen Rivalen Juppé. Dennoch nimmt man es Fillon, der lieber dicke Bretter bohrt, statt als Zappelphilipp à la Sarkozy aufzutreten, offenbar ab, dass er eine Schocktherapie nicht nur ankündigt, sondern macht – vor einem Jahr hat er ein Manifest veröffentlicht, das schlicht «Faire» heisst. Eine Rentenreform, die «Loi Fillon», hat er 2003 als Minister durchgesetzt, gegen heftigen Widerstand im Parlament und auf der Strasse.

Vielleicht ist Fillon gar der Wunschgegner von Marine Le Pen. Die Chefin des sozialnationalistischen Front National geifert bereits über Fillons Thatcherismus. Was das Patriotische anbelangt, bietet der Gaullist dagegen kaum Angriffspunkte, und er hat eben erst ein Buch unter dem unmissverständlichen Titel «Vaincre le totalitarisme islamique» vorgelegt. Für die Linke, allen voran die regierenden Sozialisten, ist eine liberale Rosskur des Teufels und Fillons wertkonservative Grundhaltung suspekt.

Der erste Wahlgang wird am 23. April stattfinden, die Stichwahl am 7. Mai. Wer für die abgewirtschafteten Sozialisten antritt, steht noch nicht fest. Angenommen, in der Stichwahl stehen sich Fillon und Le Pen gegenüber, wird es vielen Linken schwer fallen, Fillon zu wählen. Das Land ist längst reif für eine Sanierung nach seinen Vorstellungen. Ob es aber die Leute auch sind?

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.