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07:10 Uhr - 30.11.2017

«Beim Rückzug der EZB droht ein Taper Tantrum»

Torsten Sløk, Chefökonom der Deutschen Bank, beobachtet den Ausstieg der EZB aus der lockeren Geldpolitik mit Sorge und warnt vor einem plötzlichen Inflationsschub.

Herr Sløk, die mächtigsten Notenbanken haben den Rückzug aus der expansiven Geldpolitik eingeleitet. Ist der Kurswechsel gelungen?
Der grosse Test steht erst noch bevor. Als die Finanzkrise ausgebrochen ist, haben die US-Notenbank, die Europäische Zentralbank und auch die Schweizerische Nationalbank Notmassnahmen ergriffen. Sie haben die Zinsen drastisch gesenkt und Wertschriftenkaufprogramme, also QE, beschlossen. Das war sehr wichtig, um die Konjunktur zu stützen. Nun stehen wir an einem Punkt im Aufschwung, an dem wir, zumindest in den USA, diese Unterstützung nicht mehr benötigen. Das Fed hat mit dem Rückbau der Bilanz gerade erst begonnen, und die Reaktion der Finanzmärkte war bislang sehr limitiert. Das liegt auch daran, dass das Fed den Ausstieg sorgfältig kommuniziert und umgesetzt hat. Die Frage ist nun, ob die EZB ihren Rückzug ebenso reibungslos über die Bühne bringt.

Die EZB dreht den Geldhahn überraschend langsam zu. Welche Massnahmen erwarten Sie im kommenden Jahr?
Die EZB hat das QE bis kommenden September verlängert. Doch die Wirtschaft im Euroraum brummt. So notiert etwa der Ifo-Index auf dem höchsten Stand seit 48 Jahren. Die Einkaufsmanagerindizes entwickeln sich ebenfalls gut, und zwar nicht nur in den Kernländern, sondern auch in den Peripheriestaaten. Die europäische Konjunktur hat sich insgesamt deutlich besser entwickelt, als wir zu Beginn des Jahres erwartet haben. Die EZB dürfte daher im zweiten Quartal 2018 ankündigen, dass sie das Tempo beim Ausstieg aus QE erhöhen wird. Wir beobachten ihren Rückzug mit Sorge.

Welche Risiken sind damit verbunden?
Das Kaufprogramm der EZB ist deutlich grösser als das des Fed. Damit meine ich nicht das absolute Volumen, sondern die Anleihenkäufe im Vergleich zu den Nettoemissionen. So hat das Fed während des QE-Programms nie mehr Staatsanleihen gekauft, als das Schatzamt netto emittiert hat. Dagegen kauft die EZB derzeit siebenmal mehr Papiere, als die europäischen Regierungen emittieren. Die Grössenordnung des QE und die Negativzinsen erhöhen das Risiko für ein Taper Tantrum, also für einen plötzlichen Zinsanstieg.

Was bedeutet das genau?
Die Gefahr ist, dass Investoren plötzlich realisieren, dass die Renditen zehnjähriger deutscher Staatsanleihen die Stärke der deutschen Wirtschaft nicht richtig spiegeln. Zehnjährige Bunds werfen heute rund 40 Basispunkte ab. Das ist unglaublich niedrig. In den USA liegen die vergleichbaren Renditen bei knapp 240 Basispunkten, das ist eine Differenz von 2 Prozentpunkten. Und das, obwohl die deutsche Wirtschaft sich sehr gut entwickelt. Den Ifo-Index habe ich bereits erwähnt, aber auch die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung 1991.

Also sind Investoren nicht vorbereitet auf einen straffere Geldpolitik der EZB?
Nein. EZB-Präsident Mario Draghi hat deutlich gemacht, dass die Notenbank in den kommenden Monaten aus der lockeren Geldpolitik aussteigen wird. Die Frage ist also, warum die Renditen nicht schon heute steigen. Die Anleger reagieren nur sehr zögerlich. Doch wenn der Rückzug der EZB im Verlauf des nächsten Jahres konkreter wird und die Wirtschaftsdaten robust bleiben, dürften die Finanzmärkte plötzlich aufwachen und realisieren, dass die Zinsen zu niedrig sind. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für andere Euroländer.

Wann wird die EZB die Zinsen erhöhen?
Die Finanzmärkte erwarten den ersten Schritt weg von den Negativzinsen für 2020. Wir denken, dass die EZB bereits ein Jahr früher den Leitzins anhebt. Das klingt zwar nach einer langen Frist, es handelt sich aber um höchstens fünfzehn Monate. Die Negativzinsen werden also nicht ewig bestehen. Das ist eine wichtige Beobachtung: Anleger erwarten heute, dass die Zinsen im Euroraum noch für sehr lange Zeit unter der Nulllinie verharren. Doch die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass sie schon bald steigen, und es besteht das Risiko, dass sie unerwartet schnell steigen.

Welche Anlageklasse wird als erste auf eine härtere Gangart der EZB reagieren?
Zuerst werden deutsche Staatsanleihen die Auswirkungen spüren. Dicht darauf folgen Staatsanleihen von anderen Kernländern, dazu zählen die Niederlande, Belgien und Luxemburg. Zudem ist die Korrelation zwischen den Zinsen in Deutschland und in der Schweiz gross. Wenn also im Zuge des EZB-Ausstiegs die Marktzinsen in Deutschland steigen, dürfte das auch die langfristigen Zinsen in der Schweiz nach sich ziehen. In einem weiteren Schritt folgen die Staatsanleihen der Peripherieländer und Unternehmensanleihen. Der Anstieg der Zinsen wird indes nicht besorgniserregend sein. Wir erwarten eher eine Normalisierung des Zinsniveaus.

Welche Reaktion erwarten Sie an den europäischen Aktienmärkten?
Sie werden kaum unter dem Rückzug der EZB leiden. Die europäischen Börsen führen in dieser Hinsicht ein Eigenleben und entwickeln sich relativ unabhängig von den Obligationenmärkten. Solange die Wirtschaftsdaten robust sind, sind europäische Aktien weiterhin attraktiv.

Hochzinsanleihen haben einen Boom erlebt. Droht mit dem Anstieg des globalen Zinsniveaus nun der Crash?
In den letzten zwei Wochen haben wir eine Ausweitung der Risikoaufschläge beobachtet. Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass Vermögenswerte von minderwertiger Qualität unter Druck geraten, und dazu zählen natürlich Hochzinsanleihen. Wir beobachten die weitere Entwicklung am High-Yield-Markt aufmerksam. Wir glauben allerdings, dass sich die Anlageklasse weiterhin gut entwickelt, solange die Inflation in den USA niedrig ist und das Fed die Zinsen vorsichtig erhöht. Das könnte sich im kommenden Jahr ändern, wenn der Ausstieg der EZB näher rückt und insbesondere falls gleichzeitig die Teuerung in den USA anzieht. Dann mache ich mir Sorgen, dass das Risiko steigt.

Bislang ist die Inflation in den USA überraschend niedrig. Was sind die Gründe?
Eine Ursache ist die Lohnentwicklung. Das grösste Mysterium für die Notenbanker und die Marktteilnehmer ist heute, warum die Löhne angesichts der substanziellen Verbesserung der Beschäftigungslage nicht steigen. Die Arbeitslosenrate ist mit 4,1% extrem niedrig, und die Anzahl offener Stellen bewegt sich auf dem höchsten Niveau seit 2006. Es gibt aber Anzeichen, dass Bewegung in die Löhne kommt. So haben einzelne Fast-Food-Ketten und Detailhändler die Mindestlöhne angehoben.

Welche Faktoren gilt es mit Blick auf die Inflation sonst noch im Auge zu behalten?
Die Warenpreise sind eine wichtige Komponente. Sie machen ein Drittel des Konsumentenpreisindex CPI aus. Sie werden insbesondere von Importen aus China und Mexiko bestimmt, also von Ländern, in denen die Produktionskosten niedrig sind. Die Warenpreise waren in den vergangenen vier Jahren negativ. Dabei dürfte es sich um eine strukturelle Entwicklung handeln, die den Preisauftrieb in den USA auch in Zukunft dämpft. Die übrigen zwei Drittel bilden die inländische Teuerung ab, und die hat zugenommen. Sie lag in den vergangenen fünf Jahren zwischen 2 und 3%. Die inländische Inflation umfasst Häuserpreise, Gesundheitskosten sowie Bildungs- und Transportkosten. Wir erwarten, dass die Inflation im zweiten Quartal 2018 anziehen wird.

Was passiert, wenn die Teuerung schneller steigt als erwartet?
Das ist die Frage, die mich nachts wach hält. Das grösste Risiko für die Finanzmärkte ist heute ein plötzlicher Anstieg der Teuerung. Wenn das passiert, hat das Fed nicht länger den Luxus, die Zinsen langsam zu erhöhen und der Farbe beim Trocknen zuzusehen. Es wird aggressiv reagieren müssen. Das wäre ein Weckruf für die Anleger. Trifft dieses Szenario ein, müssen wir mit sinkenden Aktienkursen, steigenden Risikoaufschlägen für Unternehmensanleihen und einem schwachen Dollar rechnen. Investoren handeln heute unter der Annahme, dass die Inflation nicht steigen wird. Niemand ist vorbereitet, sollte es anders kommen.

Der Dollar hat gegenüber dem Euro stark an Wert verloren, und die jüngste Erholung scheint schon vorbei. Bleibt der Greenback unter Druck?
Der Dollar hat sich zwischen 2014 und 2016 kräftig aufgewertet. Der Aufwärtstrend wurde insbesondere von den Negativzinsen im Euroraum befeuert. Sie haben einen substanziellen Kapitalabfluss aus Europa in die USA verursacht und Anleger in amerikanische Aktien und Bonds gedrängt. Jetzt steigen die Zinsen in den USA, gleichzeitig verbessern sich aber die Wirtschaftsaussichten im Euroraum. In diesem Wettstreit schätze ich den europäischen Konjunkturzyklus als stärker ein. Wir erwarten daher, dass sich der Euro gegenüber dem Dollar aufwerten wird.

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