Der US-Wirtschaftsprofessor Luigi Zingales warnt, dass der Morast aus Vetternwirtschaft und politischer Einflussnahme in Washington immer mehr ausufert.
Krumme Deals, Nepotismus und die intransparente Rolle von Unternehmensverbänden bei politischen Entscheiden sorgen seit dem Antritt von US-Präsident Donald Trump vermehrt für Schlagzeilen aus Washington. Luigi Zingales warnt, dass dadurch das Vertrauen in den Kapitalismus untergraben werde. Eine ähnlich bedenkliche Entwicklung lasse sich in Europa beobachten, hält der renommierte Professor der Booth School of Business an der Universität Chicago fest. Er plädiert deshalb für mehr Wettbewerb und für strengere Kartellgesetze.
Herr Zingales, ob in Europa, in Amerika oder in Asien: Das kapitalistische Wirtschaftssystem wird zunehmend als unfair kritisiert. Wo liegt das Problem?
Der Kapitalismus hat in den letzten zwanzig Jahren nicht das geliefert, was er versprochen hat. Das Resultat ist eine enorme Gegenreaktion. Von der Wahl Trumps in den USA über den Brexit in Grossbritannien bis hin zur aktuellen Regierungskrise in Italien: Überall wächst die Kritik, dass das kapitalistische System in seiner heutigen Ausrichtung für die meisten Menschen nicht funktioniere.
Was könnte das für Folgen haben?
Es besteht die Gefahr, dass die Errungenschaften freier Märkte zunichtegemacht werden. Die gute Nachricht ist, dass es heute keine echte Alternative zum Kapitalismus gibt. Vor fünfzig Jahren war das anders, als die Leute in Italien, Frankreich und Deutschland auf die Strasse gingen, um für den Kommunismus zu demonstrieren. Inzwischen existiert im Westen keine fundamental andere Weltanschauung mehr. Es kommt zwar eine Sehnsucht nach einer vergangenen Welt ohne Globalisierung auf. Ausser einer allgemeinen Unzufriedenheit basiert diese Forderung aber nicht auf einem kohärenten ideologischen Konzept.
Ausgerechnet die USA als Hochburg des Kapitalismus verhängen jetzt aber protektionistische Massnahmen wie Tarife auf Stahl- und Aluminiumimporte.
Ich fürchte, dass wir das Schlimmste noch nicht gesehen haben. Dass populistische Plutokraten wie Trump so grossen Zulauf haben, liegt in erster Linie am Versagen der gesellschaftlichen Elite. Ihre abschätzige Haltung gegenüber existenziellen Problemen der breiten Bevölkerung macht die Leute wütend. Das hat sich auch am Beispiel ähnlicher Figuren wie Silvio Berlusconi in Italien, Thaksin Shinawatra in Thailand, Rodrigo Duterte auf den Philippinen oder Alberto Fujimori in Peru gezeigt. Je mehr etablierte Medien wie die «New York Times» deshalb über Trump herziehen, desto grösser wird seine Anhängerschaft.
Trump hat seinen Wählern denn auch versprochen, das Establishment zu entmachten und den «Sumpf von Korruption und Vetternwirtschaft» auszutrocknen. Wie sieht es damit aus?
Der Sumpf lebt und ist wohlauf. Trump wurde von einer Koalition aus zwei Gruppen gewählt. Die erste beruht auf einer populistischen Strömung, wie sie sein vormaliger Chefstratege Steve Bannon repräsentiert. Die zweite Gruppe besteht aus Vertretern des schwerreichen Establishment wie Hedge-Funds-Manager Robert Mercer. Ihrer Agenda hat Trump bislang den Vorzug gegeben. Nun muss er sich aber für populistische Forderungen einsetzen, denn sonst droht ihm bei den nächsten Wahlen ein Desaster. Ein erstes Anzeichen dafür sind die Zölle. Was er sonst noch im Sinn hat, wissen wir nicht.
Zu diesen Forderungen zählt auch, die Macht der Lobby-Verbände in Washington zu brechen. Wie steht es darum?
Die Situation hat sich sogar verschlimmert. Vor Trumps Antritt ging es Lobby-Verbänden in erster Linie darum, Druck aufzubauen und so die Ausarbeitung von Gesetzen zu beeinflussen. Auch wurde wenigstens der Anschein gewahrt, dass der legislative Prozess objektiv und unparteiisch sei. Unter Trump geht der Trend nun in Richtung völliger Willkür. Er agiert nicht wie der Präsident der weltgrössten Demokratie, sondern wie ein Despot Südamerikas: Jeder, der nicht auf seiner Seite steht, ist damit Angriffen der Regierung ausgeliefert.
Was hat der zunehmende Einfluss von Lobbyisten für Auswirkungen?
Wer wirtschaftliche Macht hat, für den ist es auch einfacher, politisch an Macht zu gewinnen. Diese Macht kann wiederum dazu instrumentalisiert werden, um Marktstellungen zu festigen und Eintrittsbarrieren gegen Konkurrenten aufzubauen. Historisch hat das die Dynastie der Medici in Florenz vorgemacht. Dank ihres Know-hows im Bankenwesen kamen sie in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu grossem Reichtum. Diesen ökonomischen Vorteil nutzten sie dann, um sich als Herrscher über die Toskana zu etablieren und sich exklusive Rechte im Bergbau und in anderen Wirtschaftsbereichen zu sichern. Dadurch prägten sie die politische Landschaft über Jahrhunderte. Das Fazit daraus ist, dass ökonomische Macht zeitlich limitiert ist. Wer viel Geld hat, versucht deshalb, es in politisches Kapital umzumünzen, um auf lange Sicht zu dominieren.
Passiert das Gleiche gegenwärtig in der amerikanischen Hauptstadt?
Absolut, das kann man in jedem Sektor sehen. Die Zahlungen von Novartis (NOVN 74.9 0.27%), AT&T (T 32.5899 0.37%) und anderen Grosskonzernen an Trumps Anwalt Michael Cohen machen das deutlich. Ziel dieser Transaktionen war es, eine engere Beziehung zum Weissen Haus aufzubauen, um in Zukunft mehr Einfluss zu gewinnen. Sämtliche Umtriebe der Lobbyverbände gehen in diese Richtung, was dem Wettbewerb entsprechend schadet.
Gerade an der Börse gilt Trump jedoch als Präsident, der ausgesprochen freundlich gegenüber Unternehmen ist.
Das heisst noch lange nicht, dass er gut für den Kapitalismus ist. In einem System, das auf Wettbewerb und freien Märkten basiert, haben alle die gleiche Chance. Im Gegensatz dazu bedeutet «unternehmensfreundlich» im Klartext doch, dass grosse Firmen gegenüber kleinen bevorzugt werden. Ein klassisches Beispiel dafür ist die 4 Mrd. $ umfassende Steuererleichterung, die der Bundesstaat Wisconsin dem chinesischen Auftragsproduzenten Foxconn für den Bau einer neuen Fabrik versprochen hat.
Was ist daran problematisch?
Solche Deals verzerren den Wettbewerb. Während Foxconn subventioniert wird, tragen andere Unternehmen aus Wisconsin über höhere Steuern die Kosten. Zudem tritt so eine Abwärtsspirale in Gang, in der es zur gegenseitigen Unterbietung kommt. Das zeigt das Ringen diverser Städte um den Standort für den zweiten Konzernsitz von Amazon (AMZN 1652.4553 0.66%). Die Gewinner sind damit letztlich Grosskonzerne und nicht die Steuerzahler. In dieser Hinsicht sind Rahmenbedingungen in der Europäischen Union für einmal besser.
Wie meinen Sie das?
Die EU verbieten es den Mitgliedstaaten, sich mit steuerlichen Bevorzugungen einzelner Unternehmen zu konkurrieren. In Irland beispielsweise sind die Steuern zwar tiefer als in anderen EU-Ländern. Davon profitieren aber alle Unternehmen in gleichem Umfang. Beliebige Steuerdeals, wie sie in den Vereinigten Staaten gemacht werden, schaden hingegen kompetitiven Märkten. Es ist damit ähnlich, wie wenn man Tiere in der Wildnis füttert.
Wie kommen Sie auf diesen Vergleich?
In Nationalparks gibt es nicht ohne Grund Warnschilder, die das Füttern der Tiere verbieten. Das, weil sie sonst die Fähigkeit verlieren, sich aus eigener Kraft zu ernähren. Ähnliche Tafeln sollte man in Washington, Rom und jeder anderen Hauptstadt gegen Subventionen an Unternehmen aufstellen. Im übertragenen Sinn meine ich damit, dass Unternehmen nicht durch Sonderbehandlungen verwöhnt werden dürfen, sondern sich Gewinne im Markt erkämpfen müssen. Sonst werden sie träge und sind auf Dauer nicht überlebensfähig.
Um sich Marktanteile zu sichern, investieren Unternehmen zudem vermehrt in Fusionen und Übernahmen. Was heisst das für den Wettbewerb?
Nach dem Motto «Laissez faire, laissez passer» lässt sich seit bald vierzig Jahren eine ausgeprägte Toleranz gegenüber allen möglichen Sorten von Übernahmetransaktionen feststellen. Doch jetzt ist es Zeit, kritisch zu hinterfragen, ob wir in diesem Bereich nicht zu weit gegangen sind. Ich bin zwar nicht grundsätzlich gegen Akquisitionen. Man sollte sie aber von Fall zu Fall genauer analysieren. Das gilt speziell in den USA, wogegen die EU restriktiver ist.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.