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10:52 Uhr - 24.03.2017

James Watt: Kämpfer gegen das Bier-Establishment

Gemeinsam mit einem Freund aus Kindertagen mischt der 34-jährige Schotte den britischen Biermarkt auf. Nun sollen auch die USA daran glauben.

2002 ist das Jahr, in dem für britische Bierenthusiasten eine neue Zeitrechnung beginnt: Schatzkanzler Gordon Brown gewährt Klein- und Kleinstbrauereien weitreichende Steuervergünstigungen – und leitet damit eine wahre Renaissance des nationalen Biermarktes ein. Schnell zeigen die Anreize Wirkung. Über die letzten Jahre klettert die Zahl der Brauereien in Grossbritannien auf 1700, was gegenüber der Jahrtausendwende rund einer Verdreifachung entspricht.

Für die wohl grösste Erfolgsgeschichte innerhalb dieses Booms sorgen zwei Schotten: James Watt und Martin Dickie – 24 Jahre alt und Freunde aus Kindertagen – zapfen ihre Ersparnisse an, handeln mit der lokalen Bank einen Kredit über 20 000 £ aus, beschaffen sich Second-Hand-Ausrüstung und beginnen 2007 in Fraserburgh unter dem Namen Brewdog mit der Bierherstellung.

Professionelle Brauerfahrung bringt dabei nur Dickie mit, der die Hauptverantwortung für die Produktion übernimmt. Um den ganzen Rest kümmert sich Watt, der zuvor in der Nordsee auf dem Fischerboot seines Vaters gearbeitet hatte – und nun eine potenzielle Karriere als Anwalt opfert.

Der Bluff funktioniert

Inspiriert von der Musik- und Kulturbewegung, die in den späten Siebzigerjahren das Establishment aufmischt, erhält ihr erstes Bier den Namen «Punk IPA». Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Watt und Dickie bringen ihr Produkt nicht nur in diversen Gastrobetrieben unter, sondern fassen auch im Detailhandel Fuss. Kaum ein Jahr nach der Gründung schliesst Brewdog einen Liefervertrag mit Tesco – ohne freilich der Supermarktkette offenzulegen, dass die ausgehandelten Volumen die Produktionskapazität um 100% übersteigen.

Doch der Bluff funktioniert. Und von da an kennt die Entwicklung nur noch eine Richtung: steil nach oben. Eine wichtige Rolle kommt dabei provokativen Marketingstunts zu – etwa als man zu Ehren der royalen Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton ein mit pflanzlichem Viagra angereichertes Spezialbier namens «Royal Virility Performance» lanciert.

Gleich mehrere Jahre hintereinander sichert sich Brewdog den Titel des am schnellsten wachsenden Lebensmittelkonzerns Grossbritanniens. Um die kapitalintensive Expansion voranzutreiben, startet Brewdog 2010 mit dem Beteiligungsprogramm «Equity for Punks». Jeder interessierte Privatanleger kann nun Aktien des Unternehmens erwerben.

Sprung über den Atlantik

Gerade mal eine Dekade nach der Gründung erwirtschaftet Brewdog inzwischen mit rund 600 Arbeitnehmern einen Jahresumsatz von über 70 Mio. £. Bereits wird das Bier auch in eigenen Gastrobetrieben unters Volk gebracht: Vornehmlich in Grossbritannien, aber auch in Metropolen wie Rom und Tokio betreibt Brewdog knapp fünfzig Bars. Zudem soll längerfristig der amerikanische Biermarkt geknackt werden. Läuft alles nach Plan, dürfte die eigens dafür in Columbus, Ohio, gebaute Brauerei noch dieses Jahr den Betrieb aufnehmen.

Die Erfolgsgeschichte von Brewdog trägt Watt in Wirtschaftskreisen breite Anerkennung ein. Gleich mehrere «Unternehmer des Jahres»-Auszeichnungen zieren seinen Lebenslauf. Zudem wird er 2016 gemeinsam mit Dickie zum prestigeträchtigen MBE (Member of the Most Excellent Order of the British Empire) ernannt.

Integrität in Gefahr

Nun steht der nächste grosse Schritt von Brewdog unmittelbar bevor. Ende März werden 46 000 Teilhaber über eine tiefgreifende Änderung der Aktienstruktur befinden. Unter anderem soll potenziellen Grossinvestoren die Möglichkeit eröffnet werden, bis zu 30% der Gesellschaft zu übernehmen.

Ob bereits ein Akquisiteur Interesse angemeldet hat, wird von Watt nicht kommentiert. Fakt ist, dass Biergiganten wie Heineken und AB InBev jüngst gleich mehrere Craft-Bier-Produzenten geschluckt haben. Watt und Dickie müssen jetzt beweisen, dass es sich beim so oft propagierten Punk-Ethos nicht bloss um eine Floskel handelt – und sie letztlich nicht doch mit dem Bier-Establishment gemeinsame Sache machen.

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