Für den Verband ist der Worst Case in der Umsetzung neuer EU-Marktregeln «realistisch» geworden.
Seit zwei Jahren hält ein Datum die Schweizer Medizinaltechnikbranche in Atem: Am 26. Mai 2020 tritt die neue EU-Verordnung über Medizinprodukte (MDR) in Kraft. Sie enthält strengere Richtlinien für Implantate, Hörgeräte, künstliche Gelenke etc. und zieht beträchtliche Kosten nach sich.
Mehr noch: Neuerdings interpretieren EU-Juristen die Regeln des Abkommens im Rahmen der Bilateralen (Mutual Recognition Agreement) zuungunsten der Schweiz – nun bereitet der Branchenverband Swiss Medtech seine Mitglieder auf den schlimmstmöglichen Fall vor.
In einer Mitteilung von heute Montag an die Mitglieder auf der Homepage von Swiss Medtech schreibt der Verband: «Die Auslegung von Juristen der EU-Kommission geht davon aus, dass das MRA nach dem 26. Mai für Medizinprodukte entfällt.» Der Worst Case, bei dem Schweizer Hersteller ab diesem Datum für alle Medizinprodukte die Anforderungen eines Drittstaats erfüllen müssen, sei «realistisch» geworden. Zuvor war dieses Szenario bloss als das dritte von drei Möglichkeiten eingestuft worden.
Direkter Marktzugang in Gefahr
Der vereinfachte, rasche und kostengünstige Marktzugang des Sektors zur Europäischen Union (EU) ist mithin in Gefahr. Würde die Schweiz tatsächlich als Drittstaat für Medizinprodukte eingestuft, büsste sie viele Vorteile ein. Die Produkte würden nicht mehr gegenseitig anerkannt. Zudem wären Hersteller mit Sitz in der Schweiz in der Pflicht, einen «Bevollmächtigten» (European Authorised Representative) zu ernennen, der in der EU im Namen des Herstellers handelt. Bislang war die Schweiz davon befreit.
Der Verband hatte seinen rund 1400 Mitgliedfirmen schon im vergangenen Jahr empfohlen, in der EU als Übergangslösung einen Bevollmächtigten zu installieren. Wie viele von ihnen diesen präventiven Zusatzaufwand geschultert haben, ist unbekannt.
Vor allem kleine Unternehmen dürften gehofft haben, der Knoten zwischen der Schweiz und der EU werde sich doch noch lösen. Nur schon die Umsetzung des neuen Regelwerks MDR verursacht einen hohen Zusatzaufwand, dem kein unmittelbarer Zusatznutzen gegenübersteht. Die grossen kotierten Unternehmen dürften sich auf die neue Situation rechtzeitig eingestellt haben. Für Aktionäre besteht deswegen kein Handlungsbedarf.
Gespräche auf höchster politischer Ebene
Swiss Medtech rät den Mitgliedern, die jüngste Auslegung des bilateralen Abkommens MRA «in ihren Geschäftsüberlegungen miteinzubeziehen». Dabei sei zu berücksichtigen, dass «eine politische Lösung in letzter Minute» vor dem 26. Mai nicht auszuschliessen sei.
Möglichweise nähern sich die beiden Seiten heute Montag am Wef in Davos einander etwas an. Eine Delegation des Bundesrats, bestehend aus Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter, trifft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Eine Einigung wäre wichtig für die hiesige Medizinaltechnikbranche und ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die Mitgliedfirmen des Verbands erwirtschaften einen Umsatz von 16 Mrd. Fr. Fast die Hälfte der Exporte von 11,7 Mrd. Fr. ging 2017 in die EU.
Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.