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16:15 Uhr - 06.04.2016

Inflation ist nicht gleich Preisveränderung

Umfragen zu Inflationserwartungen fallen unterschiedlich aus, je nachdem, welche Regeln bei der Befragung angewendet werden.

Zinsen von 0% oder gar darunter sind in vielen Industrieländern inzwischen die Regel. Was Kreditnehmer erfreut – die Kosten, um Geld aufzunehmen, betragen einen Bruchteil dessen, was vergangene Generationen zahlten –, ängstigt die Sparer. Denn wie ohne Zinseszinseffekt die private Vorsorge langfristig funktionieren kann, ist ungeklärt. Auch Notenbanken haben darauf keine Antwort. Sie sind verantwortlich für die tiefen Zinsen, halten sie doch die Leitzinsen, mit denen sie die Marktsätze steuern, so niedrig wie nie zuvor. Dass die Währungshüter so vorgehen, begründen sie mit der viel zu niedrigen Inflation.

Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Erwartungen der Öffentlichkeit, wie sich die Teuerung mittelfristig entwickelt. Die meisten Notenbanken sind an den Auftrag gebunden, 2% Preissteigerung pro Jahr zu garantieren. Entfernen sich die Inflationserwartungen zu weit von diesem Ziel, läuten in den Notenbanken die Alarmglocken. Das ist derzeit der Fall.

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Entscheidend ist also, dass die Inflationserwartungen akkurat erhoben werden. So gibt es seit längerem Zweifel an der Aussagekraft der aus inflationsindexierten Anleihen abgeleiteten so genannten «Break-even-Inflation», dem wichtigsten Indikator für die Teuerungserwartung des Marktes (siehe Textkasten rechts). Ein Forscherteam der niederländischen Notenbank DNB (DNB 94.1 -1.93%) weist nun nach, dass auch Inflationsumfragen, die in der Bevölkerung durchgeführt werden, nicht über jeden Verdacht erhaben sind.

Sprachbarrieren

Je nachdem, wie die Umfrage abläuft, treten unterschiedliche Erwartungen zutage. So macht es einen Unterschied, ob im Fragebogen von «Inflation» die Rede ist oder von «Preisen». Personen, die nach der Inflation befragt werden, geben eine deutlich tiefere Rate an als jene, die über die Preisentwicklung Auskunft geben. Auch weichen die Antworten im zweiten Fall stärker voneinander ab als im ersten.

Zwar gilt die Regel, dass die Sprache bei Umfragen möglichst einfach gehalten werden soll, damit keine Missverständnisse auftreten. Obgleich Inflation ein Fachbegriff ist, scheinen die Befragten spezifische Vorstellungen von ihr zu haben. Hingegen, argumentieren die Autoren der Studie, wird bei der Frage nach den Preisen häufig an die persönliche Erfahrung erinnert. Da spielen aussergewöhnliche Ausschläge eine Rolle, beispielsweise bei Benzin. Das Ergebnis sind extremere Verläufe, als der offizielle Konsumentenpreisindex ausweist.

Die Beispiele sind nicht aus der Luft gegriffen. So gibt es in den USA drei Umfragen zu den Inflationserwartungen, und jede verwendet einen anderen Begriff. Die Distriktnotenbank von New York fragt nach der Inflation, das Forschungsinstitut Conference Board in seinem Consumer Confidence Survey hingegen nach der Veränderung der Preise. Und die Universität von Michigan spricht die «Preise im Allgemeinen» an. In der Tat weichen die Ergebnisse der Erhebungen regelmässig voneinander ab.

Online oder direkt?

Das kann auch an zwei anderen Aspekten liegen, denen die Notenbankökonomen in ihrer Analyse nachgehen. So gibt es systematische Unterschiede bei den Erwartungen, je nachdem ob die Befragung im direkten Gespräch (vor Ort oder am Telefon) abläuft oder ob sie online durchgeführt wird. Im Vier-Augen-Gespräch sind die Inflationserwartungen niedriger und fällt die Streuung der Antworten geringer aus als im Online-Modus.

Die Universität von Michigan führt ihre Verbraucherbefragung monatlich telefonisch durch. Die Umfrage besitzt eine Besonderheit: Wenn ein Teilnehmer eine Preisveränderung von über 5% in den nächsten zwölf Monaten erwartet, wird nachgefragt, ob er sich sicher ist. Er kann die Frage ein zweites Mal beantworten.

Die Untersuchung zeigt, dass Umfrageteilnehmer mit einer geringeren Schulbildung häufiger von dieser Option Gebrauch machen und ihre anfängliche Erwartung revidieren. Und dass sie dazu eher bereit sind, wenn sie einen Fragebogen online ausfüllen als im direkten Gespräch. Psychologen  erklären das damit, dass Personen eine stärkere Überzeugung vertreten, wenn sie sich dem Urteil durch eine andere Person ausgesetzt fühlen. Dieser Eindruck sei in einem Gespräch unter vier Augen oder am Telefon grösser, als wenn man allein für sich einen Fragebogen ausfülle.

Die DNB-Ökonomen gründen ihre Erkenntnisse auf einer eigens durchgeführten Befragung. Sie fand im April 2014 statt, an der Umfrage nahmen 1539 repräsentativ ausgewählte Personen teil.

Wie EZB und SNB vorgehen

Notenbanken nutzen umfragebasierte Inflationserwartungen in unterschiedlicher Art. In Europa verlassen sie sich hierbei vor allem auf Prognosen von Experten anstatt auf die Erwartungen der breiten Bevölkerung. Die Schweizerische Nationalbank (SNB (SNBN 1060 0.09%)) schaut auf die Ergebnisse der Gespräche, die die SNB-Delegierten alle drei Monate vor Ort mit Wirtschaftsvertretern führen. Die Gesprächspartner gehen aktuell von einer Inflationsrate von 0,7% in drei bis fünf Jahren aus. Ausserdem blickt die SNB auf die quartalsweise durchgeführte CFO-Umfrage von Deloitte. Sie prognostiziert derzeit ebenfalls 0,7% Teuerung – allerdings in zwei Jahren.

zoomDie Europäische Zentralbank verlässt sich bei den mittelfristigen Aussichten auf den Survey of Professional Forecasters sowie die Prognosen von Consensus Economics. Beide fielen weiterhin stabil aus, betont die Behörde in Frankfurt, obwohl die marktbasierten Indikatoren Anfang des Jahres markant gesunken sind.

Marktbasierte ErwartungenTeuerungserwartungen lassen sich aus Umfragen und aus Marktkursen ableiten. Letztere nutzen inflationsindexierte Anleihen und Derivate. Zieht man die Rendite einer inflationsgeschützten Anleihe von der Rendite einer Nominalanleihe gleicher Laufzeit ab, erhält man die Break-even-Inflationsrate. Es handelt sich um die über die Laufzeit erwartete Inflation. Eine Alternative stellen Inflationsswaps dar. Bei ihnen vereinbaren die Handelspartner, einen Festzins gegen die zu Laufzeitbeginn unbekannte Inflationsrate – den variablen Zahlungsstrom – zu tauschen. Der Festzins spiegelt die Inflationserwartung.

Aus den beiden Instrumenten lassen sich auch Termininflationsraten konstruieren. Sie liefern Aussagen über den Verlauf der aktuellen resp. künftigen Inflationsaussichten über verschiedene Zeithorizonte hinweg. Zum Beispiel die Termininflationsrate «5Y 5Y»: Sie gibt Auskunft über die in fünf Jahren erwartete Inflationsrate in den nachfolgenden fünf Jahren.

Da es sich dabei jeweils um Punktprognosen handelt, sucht die Forschung nach Wegen, um verlässliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu ermitteln. Als Basis dienen Inflationsoptionen.

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