Zurück zur Übersicht
11:45 Uhr - 24.11.2015

«Japans Börse ist für 2016 klarer Favorit»

Jesper Koll, der CEO von WisdomTree Japan, erläutert im Interview mit FuW, dass er die Früchte von Abenomics reifen sieht. Ausserdem ist er überzeugt, dass der Aktienindex bis 20% steigen wird.

Lange war Japan das Sorgenkind globaler Investoren. Anämische Wirtschaft, schwacher Wechselkurs und eine Börse, die es bei Strohfeuer bewenden liess. Das prägte das Bild eines Aktienmarktes, das Jesper Koll, langjähriger Japanstratege von Merrill Lynch, J. P. Morgan Chase und jetzt CEO des US-ETF-Anbieters WisdomTree, nicht gelten lässt. Tatsächlich bewegt sich auch der japanische Markt seit drei Jahren aufwärts, was in den Augen von Koll erst der Anfang ist.

Zur Person«Früher musste ich die hohen KGV von japanischen Aktien erklären, heute ist es umgekehrt, die Bewertung ist sehr attraktiv», sagt Jesper Koll im Gespräch. Sein Know-how kommt aus erster Hand. Seit 1986 lebt der 54-jährige Deutsche in Japan, war Chefvolkswirt von Merrill Lynch Japan, Managing Director von Tiger Fund und ab 2009 Leiter der Aktienanalyse von J. P. Morgan im Inselreich. Diesen Sommer hat der US-ETF-Anbieter WisdomTree ihn mit dem Aufbau der Japanaktivitäten betraut. Koll ist Berater verschiedener Wirtschafts- und Politgremien, bekannt von TV-Auftritten und als Buchautor. Er ist verheiratet mit Katy Mitsui, der langjährigen Japanstrategin von Goldman Sachs. Herr Koll, was liegt an der japanischen Börse im nächsten Jahr drin?
Es gibt kaum Gründe, für Japan negativ gestimmt zu sein, aber viele, die japanische Börse fürs neue Jahr in einem positiven Licht zu sehen. Der Markt wird noch immer unterschätzt und birgt grosses Überraschungspotenzial nach oben. Die vielen Veränderungen auf gesamtwirtschaftlicher wie auf Unternehmensebene werden noch zu wenig wahrgenommen. Der schlafende Riese in Asien ist erwacht.

Das Schlagwort vom Aufbruch ist nicht neu. Doch Enttäuschungen folgten jeweils schnell. Was ist diesmal anders?
Der strukturelle Umbruch ist keine Worthülse und auch kein Versprechen, sondern Tatsache. Zum Beispiel nimmt Japans Position als Nettogläubiger seit zwei Jahren ab, die Sparquote ist negativ. Das hat mit der Alterung der Bevölkerung zu tun, die wachsende Konsum- und Dienstleistungsbedürfnisse hat. Die Privathaushalte geben dieses Jahr 1,4% mehr aus, als sie einnehmen. Diese Entwicklung dauert an und wird den Binnenmarkt stärken, um nicht zu sagen dynamisieren. Vorboten sind bereits erkennbar.

Japans Wirtschaft ist im jüngsten Quartal per Ende September 0,8% geschrumpft. Welche Vorboten meinen Sie?
Vergessen Sie das Sozialprodukt und die –0,8%. Die Zahl ist rückwärts gerichtet. Was für den Wandel spricht, ist neben dem Entsparen die Tatsache, dass erstmals seit dreissig Jahren, also seit mehr als einer Generation, die Bodenpreise steigen – nicht nur im Zentrum von Tokio, sondern inzwischen in 90% der erfassten Regionen. Ein weiteres Indiz: Zum ersten Mal seit 22 Jahren hat Japan Vollbeschäftigung. Das heisst, dass die Qualität der Arbeit und damit die Wirtschaftsleistung zunehmen. Ein weiteres Argument für ein erstarktes Japan kommt aus der Unternehmenswelt.

Welches?
Im nächsten Jahr wird Japan die einzige Volkswirtschaft sein, in der die Unternehmenssteuern gesenkt werden: von 32 auf 29%. Japan ist 2016 das politisch und ordnungsrechtlich stabilste und am meisten pro Wirtschaft orientierte Land.

Sie sprechen von Abenomics, den Strukturreformen, die Japans Premier vor Jahren angestossen hat. Viele Ökonomen werten sie als Misserfolg, Resultate fehlten.
Wir können über Abes Politik lange streiten. Unbestritten ist: Alles, was er in die Wege leitet, ist pro Business.

Aber zahlt es sich auch aus?
Zum Beispiel hat die Börse Tokio im Frühjahr den sogenannten Corporate Governance Code eingeführt; im Sommer folgte der Stewardship Code. Beides sind Massnahmen, die von den Unternehmen eine bessere Kapitalbewirtschaftung verlangen. Die grossen japanischen Geldgeber – Pensionskassen und Lebensversicherer – wollen rentablere Gesellschaften, genauso wie die Investoren aus dem Ausland. Dem können sich die Unternehmen nicht widersetzen, die grossen nicht, die im internationalen Wettbewerb um Kapital stehen, aber auch die kleineren und die mittelgrossen nicht. Diese sind oft eigentümerkontrolliert und -geführt, und die Eigentümer wollen mehr von ihrem Geld sehen.

Wie wirkt sich das in Zahlen aus?
Die im breiten Aktienindex Topix vertretenen Unternehmen hatten vor drei Jahren eine durchschnittliche Eigenkapitalrendite von 5,5%. Heuer sind es knapp 10%, und in rund einem Jahr werden es nach unserer Schätzung 14% sein. Es mutet schon fast unjapanisch an, wie energisch Nippons Unternehmen den Shareholder Value vorantreiben. Cashreserven fliessen massiv in Dividendenerhöhungen und/oder den Aktienrückkauf.

Wie in den USA und in Europa drängt sich dabei die Frage auf: Weshalb wird nicht mehr investiert, ins langfristige Wachstum?
Die Investitionsnot ist leider auch in Asien ein Problem. Überkapazitäten stehen Neuinvestitionen vor dem Licht. Kräftig investiert wird einzig in Fusionen und Übernahmen. In dieser Hinsicht ist gerade der japanische Finanzsektor aus Investorensicht attraktiv. Weiterhin hat das Land zu viele Banken, sehr gut kapitalisiert, aber im harten Wettbewerb stehend. Dieser hat sich durch die jüngst privatisierte Postbank noch erheblich verschärft.

Auch und gerade für Japan als exportorientiertes Land ist der Gang der Weltwirtschaft wichtig. Der Konsens sagt: gedämpftes Wachstum, keine Inflation und anhaltend niedrige Zinsen. Sehen Sie das gleich?
Der Konsens hat in meinen Augen kapituliert. Alle reden vom «New Normal», mit knapp der Hälfte des Wachstums von vor dem Lehman-Schock. Für mich ist die Entwicklung etwas komplizierter.

Nämlich?
Die Wachstumsdifferenzen zwischen den Regionen und unter den einzelnen Volkswirtschaften werden zunehmen. Den Ausschlag geben Grösse, Stärke und Effizienz des Binnenmarktes. Da wird sich Japan aus demografischen Gründen und wegen steigender Einkommen positiv hervortun.

Trotz des nachlassenden Wachstums in China? Kein anderes Land hat so viel im Reich der Mitte investiert wie Japan.
Hochinteressant. Deswegen sage ich, dass es etwas komplizierter ist, als die meisten Ökonomen meinen. China ist Japans grösster Exportmarkt, aber: Die japanischen Unternehmen sind schon seit zwei Jahren sehr negativ für China gestimmt. Wer sich mit japanischen Managements unterhält, bekommt zur Antwort, dass sie von China in den nächsten Jahren ein Wirtschaftswachstum von nicht mehr als 4 bis 5% erwarten. Das ist weit weg von der Euphorie, wie sie bis vor kurzem noch in anderen Weltregionen teils zu verzeichnen war. In den USA gehen die Unternehmensprognosen tendenziell zurück – vor allem wegen China. In Japan gibt es fast keine Korrekturen. Unternehmen wie der Textilproduzent Fast Retailing mit der Marke Uniqlo investieren längst in den Tieflohnländern der Asean, des Verbands Südostasiatischer Länder, in Kambodscha, Laos, Bangladesch. Das wird übrigens ein ganz grosses Thema werden im neuen Jahr.

Was meinen Sie?
Unter dem Dach der Asean-Initiative machen die zugehörigen Länder erste Schritte zur Öffnung des Arbeitsmarktes, was die wirtschaftliche Aktivität beschleunigen soll. Japans Premier Abe hält viel von der Initiative, alle sechs Wochen besucht er ein Asean-Land und stellt die Teilnahme an umfangreichen Infrastrukturprojekten in Aussicht.

Japans Ersparnisse werden knapper. Weshalb steigen dann die Zinsen nicht?
US-Fondsmanager Kyle Bass von Hayman Capital, der in der Subprime-Krise ein Riesenvermögen verdient hat, sagt mir immer, in Japan würden die Zinsen explodieren, und das Land werde zum nächsten Griechenland. Ich antworte ihm: Kyle, du kommst aus Texas, ich aus Deutschland, und in Deutschland lernen wir schon im Kindergarten, don’t fight the Bundesbank. So funktioniert es auch in Japan. Die Notenbank hat die 100%ige Kontrolle über den Obligationenmarkt. Die Bank of Japan kauft mittlerweile Regierungsanleihen in 2,7-facher Höhe der Neuverschuldung des Staates. Der japanische Nominalzins bewegt sich um 0,3%, und wenn wir uns das nächste Mal treffen, werden es eher noch weniger als deutlich mehr sein.

Warum bleiben die Zinsen so tief?
Die Bank of Japan betreibt eine Geldpolitik, die es bisher nur im Kriegsfall gab – extrem locker und extrem unorthodox, nicht als Selbstzweck, sondern aus purer Notwendigkeit. Heute bezieht einer von vier Japanern Rente, bei den Olympischen Spielen in Japan im Jahr 2020 wird es einer von drei sein. Wie wird das finanziert? Durch eine negative Sparquote von 1,5 bis 2% plus ein Staatsdefizit von 4 bis 6% des Sozialprodukts. Es müssen also 5 bis 8% des BIP zur Rentenfinanzierung herhalten. Die Bank von Japan kauft deshalb nicht nur Anleihen, sondern auch Aktien – in Form von Indexfonds – und Titel von Immobilienbeteiligungsgesellschaften, für eine bessere Werterhaltung und zugunsten des Wohlstandeffekts.

Aktien und Immobilien sind Risikoanlagen. Wie riskant ist diese Politik?
Japan ist in der eigenen Währung verschuldet. Die Notenbank ist damit nicht nur autonom, sondern sie geniesst, weil sie in Yen investiert, fast unendliche Macht. Über Schwankungsrisiken von Aktien und Immobilien braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Leidtragender, wenn Sie so wollen, ist der Yen, der weiter zu Schwäche neigen wird. Deshalb sollten ausländische Investoren die Währung unbedingt absichern. Japan, das noch immer in der Deflation steckt, kommt ein schwächlicher Yen entgegen.

Welches ist Ihr Indexziel für 2016?
Zurzeit weist der Markt ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 14 auf, weniger als Europa und klar weniger als die USA. Fürs nächste Jahr erwarten wir eine deutliche Steigerung der japanischen Unternehmensgewinne um durchschnittlich 18%. Das heisst, dass selbst ohne Bewertungsanstieg dem japanischen Markt eine Steigerung bis 20% bevorsteht. Ich sehe beim besten Willen keinen attraktiveren Markt.

Was nennen Sie als grösstes Risiko für Japan, für Ihr zuversichtliches Szenario?
Ein externes und ein internes: Intern ist es die Knappheit am Arbeitsmarkt. Falls die Löhne die Produktivitätssteigerung übertreffen, also mehr als 2,5 bis 3% wachsen, wird das die Gewinnmargen der Unternehmen belasten. Ich halte dieses Risiko für die nächsten eineinhalb bis zwei Jahre allerdings für gering.

Und das externe Risiko?
China, aber nicht das schwächere Wachstum, sondern der Arbeitsmarkt. Bei zu hoher Arbeitslosigkeit wächst das Risiko, dass die Kommunistische Partei einen Währungskrieg in Asien lostritt. Das würde global für Aufruhr sorgen. Das Risiko halte ich aus heutiger Sicht jedoch deshalb für klein, weil Peking danach strebt, langfristig den Dollar als Weltwährung zu verdrängen. Da verträgt es keine Abwertungspolitik. Interessant war im August: Die Zentralbank, die chinesischen Finanzexperten, die Ökonomen waren alle gegen die Abwertung, die ja nur ein kleiner Schritt war. Es war die Kommunistische Partei, die den Amerikanern zeigen wollte: Wir sind auch noch da. Wie im El Corral: Wenn’s nötig wird, haben wir den Finger am Abzug.

Hat Ihnen der Artikel gefallen? Lösen Sie für 4 Wochen ein FuW-Testabo und lesen Sie auf www.fuw.ch Artikel, die nur unseren Abonnenten zugänglich sind.

Seite empfehlen



Kopieren Sie den Link [ctrl + c] und fügen Sie ihn in ein E-Mail ein [ctrl + v]. Aus Sicherheitsgründen ist kein Versand von E-Mails direkt vom VZ Finanzportal möglich.