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09:51 Uhr - 19.04.2016

«Märkte können sich irren, aber dumm sind sie nicht»

Valentijn van Nieuwenhuijzen, Leiter Multi Asset von NN Investment Partners, plädiert im Interview mit FuW für Flexibilität und sieht in der Diversifikation eine wichtige Ertragsquelle.

Herr Van Nieuwenhuijzen, wie schätzen Sie die Marktsituation ein, hat sich das Börsentief verzogen?
Für Entwarnung ist es zu früh. Die Finanzmarktgeschichte lehrt uns, bescheiden zu sein, wenn wir nicht wissen, was die Zukunft bringt. Und Fragezeichen gibt es viele, auch wenn die Angst vor einer Rezession in den USA, die die Märkte noch Anfang Jahr umgetrieben hatte, übertrieben war. Die ökonomische Sicht sagt uns, dass sich die globale Wirtschaft in einem moderaten Aufschwung befindet. Aber die Phase hoher Volatilität, die seit April letzten Jahres andauert, werden wir nicht so schnell los.

Weshalb nicht?
Die Märkte signalisieren, dass sich die Welt in einem fragilen Zustand befindet.  Wenn Regierungen und Notenbanken einen Fehler begehen oder wenn die Wachstumsschwäche der Schwellenländer die ganze Welt befällt, kann das in eine Negativspirale münden und einen Schock auslösen.

Viele Beobachter sagen, die Stimmung sei schlechter als die Lage. Gleichzeitig gibt es die Regel, die besagt, der Markt hat immer recht. Was stimmt nun?
Medien-AnalyseAls Stimmungsmesser wertet der niederländische Asset-Manager NN Investment Partners auch Medienberichte aus. Online-Plattformen führender Wirtschaftspublikationen und Social-Media-Kanäle werden auf Fachbegriffe und Formulierungen untersucht. «Gleich zu Jahresbeginn häuften sich Wörter wie Konflikt, Stress, Unsicherheit und Risiko massiv», sagt Valentijn van Nieuwenhuijzen zur FuW. «Das half uns beim Timing. Risikopositionen haben wir so rechtzeitig reduziert.»Ich würde nicht behaupten, dass der Markt immer recht hat, ganz und gar nicht. Die Märkte respektive die Anleger, die den Handel  bestimmen, können sich irren. Oft handeln sie emotional, und es kommt zu Übertreibungen nach unten oder nach oben. Aber verrückt oder dumm sind die Märkte nicht. Als Investor muss man akzeptieren, dass es eine grosse Herausforderung ist, sie zu übertreffen. Man kann smarter sein, aber einfach ist es nicht.

Lange hatte die Geldpolitik den grössten Markteinfluss, dann war es der Ölpreis. Was wird es in Zukunft sein, worauf müssen Anleger achten?
Im Zentrum steht das Wachstum. In den Notenbanken haben die Tauben, die für eine expansive Geldpolitik einstehen, ihre Position gegenüber den Falken, den Hardlinern, gefestigt, auch im Fed. Die Europäische Zentralbank und die Bank von Japan haben weitere Stimulierungen beschlossen, Japan sogar Negativzinsen. Jetzt muss sich zeigen, was daraus wird. Am Markt sind die gröbsten Rezessionsängste verflogen, doch gleichzeitig haben  die Zweifel an der Wirksamkeit der ultralockeren Notenbankpolitik zugenommen.

Wie sieht Ihre Wachstumsprognose aus?
Wir gehen von einer geringfügigen Wachstumsbeschleunigung aus. Das wird nicht für einen nachhaltigen Börsenaufschwung reichen, aber es genügt, um den Risikoappetit der Anleger wieder etwas anzustacheln, wie wir es in diesen Tagen bereits feststellen. Dann wird sich das Augenmerk auf ein anderes grosses Thema richten: die Politik, die Diskussion über den Brexit, die Zukunft der EU und des Euros, das weitere Vorgehen der Notenbanken, Nahost, die US-Präsidentenwahl. Die Kursschwankungen bleiben vor diesem Hintergrund gross.

Ihre Meinung zum Brexit?
Gemäss unserem Basisszenario werden die Briten in der EU bleiben. Aber der Ausgang des Referendums ist aus heutiger Sicht sehr eng, die Wahrscheinlichkeit schätzen wir auf fünfzig zu fünfzig.

Was hätte der Brexit am Finanzmarkt, an der Börse zur Folge?
Das Pfund würde sich weiter abschwächen. Wer mit dem Brexit rechnet, sollte sich dagegen schützen. Die Marktstimmung würde sich verschlechtern, zuerst in Grossbritannien und dann in Kontinentaleuropa. Die europäischen Börsen würden gegenüber den anderen Regionen ins Hintertreffen geraten.

Was sie teils jetzt schon tun. Welches Gewicht hat Europa in Ihren Portfolios?
Wir halten eine übergewichtete Position in US-Aktien und haben Europa auf «Untergewichten» reduziert. Nehmen die Risiken zu, werden wir die USA weiter aus- und europäische Aktien abbauen.

Allein wegen des Brexit?
Nein, die politischen Risiken in Europa sind allgemein grösser als in den USA, Stichwort Flüchtlinge, Terrorgefahr. Auch die Schuldenkrise kann wieder aufblitzen. In den USA ist wichtig, was die Notenbank und als Resultat davon der Dollar machen und wie es um die Unternehmensgewinne steht. Auch wenn der Ausblick nicht grossartig ist, sehen wir die amerikanischen Unternehmen in einer besseren Situation.

Befürchten Sie keine Gewinnrezession?
Die Aktienmärkte, ob in den USA oder sonst irgendwo, dürfen nicht auf starke Unterstützung durch die Unternehmensgewinne zählen. Das Wachstum ist beschränkt, genauso wie der Spielraum nach unten. Insgesamt weisen die Aktienmärkte ziemlich hohe Risikoprämien auf. Falls sich die makroökonomische Lage stabilisiert und die Geldpolitik zurückhaltend bleibt, kommen die Risikoprämien zurück, und für Aktien zeichnet sich eine  positive Entwicklung ab.

Ihr Team verwaltet für institutionelle und private Anleger Fonds und Mandate in der Höhe von 25 Mrd. €. Welche Anlage dominiert in den Portfolios?
Die Anteile sind je nach Fonds und Risikoprofil des Kunden unterschiedlich, weshalb ich keine Prozentzahlen nennen kann. Allgemein halten wir eine neutrale Position in Aktien, waren aber sehr aktiv und haben seit Jahresanfang drei Mal von «Übergewichten» in «Neutral» und zurück umgeschichtet, mit gutem Erfolg. Übergewichtet sind wir in Immobilien – vorab in europäischen Immobiliengesellschaften – und in Spread-Produkten, ausgewählten Hochzinsobligationen sowie in Investment-Grade-Anleihen vor allem aus Europa, besonders nach der jüngsten Lockerung der EZB. Leicht untergewichtet sind wir in Regierungsanleihen und in Rohstoffen. Letztere profitieren von einer starken Konjunktur, wofür die Anzeichen aber fehlen. Die Cash-Quote ist mehr oder weniger neutral.

Multi-Asset-Produkte versprechen eine bessere Performance als der Markt. Wie smart sind Ihre Produkte?
Unsere Interpretation ist: Multi Asset umfasst alle Anlageklassen, die der Markt hergibt, regional und nach Produkten. Die Strategie muss flexibel sein und darf sich nicht straff an eine Benchmark halten. Wenn man eine Anlage nicht mag, kann man sie vollständig ignorieren, und umgekehrt.

Wie ein Hedge Fund?
Wir verwenden die gleichen Informationen wie globale Makro-Hedge-Funds. Hingegen setzen sie in der Regel viel stärker komplexe Derivate ein, verwenden auch illiquide Instrumente, sind teurer und für ein breites Publikum oft schwer zugänglich. Wir investieren nur in liquide Anlagen, in lineare Instrumente und setzen grundsätzlich auf steigende Kurse, also keine Long-Short-Strategie.

Mit welchem Ziel?
3% über Cash sind das Performanceziel. Der Flaggschifffonds First Class Multi Asset Fund hat seit der Lancierung 2011 eine durchschnittliche Rendite von 6,3% pro Jahr erzielt.

Gibt’s noch Ertragsquellen in dieser renditearmen, von Notenbankgeld überschwemmten Welt?
Aber ja. Der grosse Vorteil von Multi Asset ist Diversifikation. Selbst wenn die Korrelation zwischen den Anlageklassen im Sog der unkonventionellen monetären Politik gestiegen ist, schneiden die Vermögensklassen stark unterschiedlich ab. Die Diversität der Ertragsquellen, also die Diversifikation, funktioniert immer noch. Über die Zeit zahlt sie sich aus, eine Anlageklasse kompensiert die andere. Der Punkt ist, in einem ausgewogenen und flexiblen Verhältnis zu diversifizieren, keine Anlage darf komplett dominieren.

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