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18:23 Uhr - 13.12.2016

Der Dow Jones prescht gegen 20’000 vor

Der bekannteste Börsenindikator ist seit den US-Präsidentschaftswahlen auf Rekordjagd. Schub geben ihm vor allem Finanzwerte wie Goldman Sachs.

An Wallstreet breitet sich das Rekordfieber aus. Die Börsen in New York eilen seit den US-Präsidentschaftswahlen von einer Bestmarke zur nächsten. Von der «Trump-Rally» profitiert besonders der Dow Jones (Dow Jones 19888.03 -0.12%) Industrial Average. Das traditionsreiche Blue-Chip-Barometer ist seit dem Sieg von Donald Trump annähernd 8% vorgeprescht und hat sich am Dienstag im frühen Handel weniger als 1% unter 20 000 bewegt.

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«Der Dow Jones ist der älteste und am meisten beachtete Börsenindikator der Welt. In seinem Kursverlauf spiegeln sich über 125 Jahre Geschichte», sagt Finanzhistoriker Richard Sylla. «Seine Entstehung reicht bis in die Zeit zurück, als in Amerika der industrielle Aufschwung begann und die Vereinigten Staaten Grossbritannien als führende Wirtschaftsmacht überholten», fügt er hinzu. Er erinnere sich gut daran, als der Index Mitte der Sechzigerjahre um 950 notierte und er selbst begonnen habe, in US-Aktien zu investieren. «Seither ist der Dow auf rund das Zwanzigfache gestiegen. Er war damit sehr gut zu mir und zu anderen Investoren», meint der renommierte Professor der New York University.

International an der Spitze

Dass sich der Dow Jones zu Jahresende um 20 000 bewegen würde, hätte im Januar kaum jemand gedacht. Turbulenzen an Chinas Devisenmarkt, der Ölcrash und Sorgen um die US-Wirtschaft hatten den Börsen zugesetzt. Investoren sahen sich damit konfrontiert, dass es mit der langen Hausse vorbei sein könnte. Diese Ängste scheinen verflogen. Gemessen am Stand von Ende 2015 notiert der Dow gut 15% im Plus und schneidet unter den wichtigsten Börsenindikatoren international am besten ab. Gut unterwegs sind ebenso der breiter gefasste S&P 500 (SP500 2270.75 -0.04%) und der technologielastige Nasdaq Composite mit Avancen von rund 12 respektive 10%.

zoom«Weil der Dow Jones so bekannt ist, schaut jetzt alles darauf, ob er den nächsten Meilenstein passieren kann», sagt David Blitzer, Chef des Indexkomitees von S&P Dow Jones Indices. In der Finanzbranche spielt der S&P 500 inzwischen zwar die Hauptrolle, da die meisten Indexfonds und ETF auf US-Aktien an ihn gekoppelt sind. Auch hat er in den letzten Jahren stets etwas besser abgeschnitten als der Dow. Besonders gefragt seien derzeit aber Valoren etablierter Grosskonzerne, erklärt Blitzer. Einen Grund dafür sieht er darin, dass Investoren nach politischen Erdbeben wie der Brexit-Abstimmung und den US-Wahlen unsicher sind, wie sich die Weltwirtschaft entwickelt. In einem solchen Umfeld halte man sich deshalb an Unternehmen aus dem Dow, die sich über lange Zeit bewährt haben, eine stattliche Dividende zahlen und auch in Zukunft Bestand haben.

zoom«Typische Dow-Konzerne wie ExxonMobil, Johnson & Johnson (JNJ 117.1 1.04%) oder Coca-Cola (KO 41.77 0.02%) kennt jeder. Wenn man sich hingegen die hinteren drei Viertel im S&P 500 anschaut, befinden sich darunter Firmen, von denen viele Anleger kaum je gehört haben», hält Blitzer fest. In Corporate America kommt ein Platz im Dow Jones damit einem Ritterschlag gleich. Präzise Kriterien für den Zutritt zum exklusiven Club gibt es zwar keine. Generell muss ein Konzern aber einen «exzellenten Ruf», Relevanz für Investoren und eine beträchtliche Grösse vorweisen können. So beträgt die Kapitalisierung der dreissig Dow-Konzerne im Schnitt 190 Mrd. $, wogegen es beim S&P 500 lediglich gut 40 Mrd. $ sind.

Kein gewöhnlicher Index

Erstmals veröffentlicht wurde das Börsenbarometer am 26. Mai 1896 auf dem Stand von 40,94. Die Finanzjournalisten Charles Dow und Edward Jones hatten kurz zuvor den Dow-Jones-Verlag gegründet, der eine Vorläuferversion des «Wall Street Journal» publizierte. Um ihre Artikel zu ergänzen, konstruierten sie ein Richtmass, das das Geschehen am Aktienmarkt zeitnah abbildete. Anders als etwa der 1957 lancierte S&P 500 oder der 1988 erstmals erstellte SMI (SMI 8146.1 -0.2%) gewichtet der Dow Jones Industrial Unternehmen aber nicht nach der Kapitalisierung und ist deshalb genau genommen kein Index. Sein Kurs kalkulierte sich anfänglich schlicht nach dem Durchschnittspreis seiner Aktien, woher die Bezeichnung «Average» kommt. Diese rudimentäre Methode wurde später mit einigen Kniffen verfeinert, grundlegend geändert hat sich daran aber wenig.

zoomDass der Dow derzeit auf Rekordkurs ist, hat primär mit dem Kurssprung in Finanzwerten zu tun. Goldman Sachs (GS 236.966 -0.66%) sind zum Kurs von rund 237 $ die schwersten Titel im Indikator und haben damit den grössten Einfluss auf seine Performance. Auch J. P. Morgan Chase, American Express und Travelers waren in den letzten Wochen gesucht. In ihren Avancen spiegelt sich die Erwartung steigender Zinsen, tieferer Steuern und einer Deregulierung im Bankensektor, wenn Trump als Präsident antritt. Internetaktien wie Google (GOOGL 817.96 0.32%), Facebook (FB 120.74 0.36%) oder Amazon (AMZN 777.9851 0.47%), die dem Markt seit den Wahlen hinterherhinken, sind hingegen nicht im Blue-Chip-Barometer vertreten.

Die Krux mit Meilensteinen

Was heisst es also für Investoren, wenn der Dow Jones an so einem grossen Meilenstein kratzt? «Die Vergangenheit zeigt, dass er mit runden Zahlen wie 100, 1000 und
10 000 oft Mühe hatte», sagt Jeffrey Hirsch, Herausgeber des «Stock Trader’s Almanac». 1916 etwa hat der Dow erstmals über 100 gehandelt. Danach brauchte er 26 Jahre, um die Marke endgültig hinter sich zu lassen. Bei anderen Meilensteinen wie 2000, 3000, 4000, 5000 und 6000 ist das hingegen leichter gegangen. «Wie es ab 20 000 mit dem Dow weitergeht, ist daher schwierig zu sagen. Die Bewertungen sind bereits strapaziert, weshalb Gewinnmitnahmen gut möglich sind», denkt Börsenchronist Hirsch.

zoomBasierend auf Schätzungen für 2017 sind Aktien aus dem Dow durchschnittlich zum Kurs-Gewinn-Verhältnis von 18 bewertet. Das liegt über dem historischen Mittel und stimmt auch den Finanzhistoriker Sylla vorsichtig. Die Euphorie um die Wahl von Trump erinnert ihn an die Rally von Ende 1972, als Präsident Richard Nixon wiedergewählt wurde und der Dow eine Woche später 1000 überschritt. Der Watergate-Skandal, der Ölschock und die steigende Inflation dämpften aber die Stimmung in den folgenden Jahren. «Ich habe das Gefühl, dass es auch unter der Trump-Regierung Probleme geben wird», befürchtet Sylla. «An der Börse geht es nicht immer nur gerade aufwärts, und es gibt immer wieder Rückschläge. Ich erwarte, dass bald einer fällig ist.»

Insider laden Aktien ausAn den Aktienmärkten wächst die Euphorie. Zu Wochenbeginn hat der Dow Jones zum 15. Mal seit den Präsidentschaftswahlen ein Rekordhoch markiert. An Wallstreet werden massenweise Studien publiziert, wie man die Trump-Rally am besten «spielt». Ein genauerer Blick auf das Handelsgeschehen zeigt jedoch, dass nicht alle an weitere Kursavancen im grossen Stil glauben. Wie Daten des Researchdiensts The Washington Service zeigen, haben Manager und Verwaltungsräte der grössten US-Konzerne in den letzten Wochen Aktienbeteiligungen an ihren Unternehmen mehrheitlich abgestossen. So hat die Zahl der Insiderverkäufe im November auf über 3000 zugenommen und fast das Hoch vom August erreicht. Die Zahl der Insiderkäufe ist zwar auch gestiegen, aber deutlich weniger.

Das könnte ein Warnsignal sein, zumal Manager die Geschäftsaussichten ihres Unternehmens in der Regel am besten kennen und so einschätzen können, wann ihre Aktien überbewertet sind. «Die Aktivität hat sich im Verlauf des Novembers negativ entwickelt», sagt auch David Santschi, CEO des Researchhauses TrimTabs. Gemäss seinen Daten haben Insider im letzten Monat für insgesamt 5,6 Mrd. $ Aktien verkauft und für 1,4 Mrd. $ gekauft. «Vor den Wahlen waren Insiderkäufe ziemlich ausgeprägt. Danach sind sie zu einem Rinnsal versickert, wogegen Verkäufe drastisch gestiegen sind», stellt Santschi fest. Er bemerkt zudem, dass 80% der Käufe in den ersten zehn Tagen des Monats abgewickelt worden sind. Primär betroffen waren Unternehmen, die vom Hedge-Fund-Investor Carl Icahn kontrolliert werden. Auch das ist bemerkenswert, zählt Icahn an Wallstreet doch zu den grössten Trump-Supportern.
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