Die Tierversuchsinitiative ist überrissen und kontraproduktiv. Sie verdient ein Nein Mitte Februar. Ein Kommentar von FuW-Redaktor Arno Schmocker.
Niemand ist für Tierquälerei. Doch die Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot», die am 13. Februar zur Abstimmung gelangt, quält die menschliche Vernunft. Jegliche Tierversuche würden als Tierquälerei bis hin zu Verbrechen eingestuft und ausnahmslos untersagt, auch dann, wenn keine alternativen Forschungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Neue Medikamente, deren Entwicklung auf Tierversuchen basiert, wären verboten. Die in ihrer Radikalität kaum zu überbietende Vorlage gehört versenkt.
Das sehen auch der Bundesrat und das Parlament so, in rarer Einmütigkeit. Sämtliche Parteien haben sich gegen die Initiative ausgesprochen, sowohl im National- wie im Ständerat gab es keine einzige Ja-Stimme. Bundesrat Alain Berset sprach an einer Pressekonferenz im Dezember von «massiven Konsequenzen» und einer «wirklich sehr restriktiven» Vorlage.
Selbst der Schweizerische Tierschutz (STS) spricht sich klar gegen die Initiative aus: «Aus Sicht des STS kann keine Initiative unterstützt werden, die internationale Bestimmungen ignoriert und die Schweiz wirtschaftlich und geografisch abschottet.»
Tierversuche dienen dazu, wissenschaftliche Thesen zu bestätigen oder zu widerlegen. Bevor ein Wirkstoff für Menschen angewendet werden kann, muss er im Labor und in Tierversuchen eine ausreichende Wirkung zeigen. Der Belastung der Tiere ist dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen gegenüberzustellen.
Was die Belastung betrifft: Sie hat abgenommen. Die Zahl der Tierversuche ist gemäss Statistik des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen seit 1983 von etwa 2 Mio. pro Jahr auf zuletzt rund 550’000 gesunken.
Mittel- und vor allem schwerbelastende Versuche liefern emotional aufwühlende Bilder, doch machen sie «nur» etwa 30% des Totals aus. Gemäss der Nichtregierungsorganisation World Animal Protection rangiert die Schweiz in Bezug auf strenge Regulierung der Tierversuche in der Spitzengruppe, der sechs Länder angehören.
Eine Annahme der Initiative hätte enorme Konsequenzen. Die meisten Versuche finden in Universitäten statt. Grundlagenforschung wäre kaum mehr möglich. Ebenso würde sie die angewandte Forschung und die Entwicklung von Medikamenten in der Pharma- und Biotech-Industrie de facto verbieten. Die exportstärkste und wertschöpfungsintensivste Branche der Schweiz verlöre dramatisch an Wettbewerbskraft.
Nicht nur wegen Roche und Novartis: Es gibt mehr als tausend kleine und junge Biotech-Unternehmen, die 50’000 Arbeitsplätze geschaffen und 2020 fast 3,5 Mrd. Fr. Risikokapital angezogen haben.
Folge der Annahme der Initiative wäre eine Verlagerung ins Ausland, wo in den allermeisten Fällen weniger strenge Richtlinien herrschen – auch aus Sicht des Tierwohls ein klassisches Eigentor. Wirtschaftliche Konsequenzen allein hätten die Linke schwerlich dazu bewogen, die Tierversuchverbotsinitiative als «extrem» einzustufen. Es ist keine Schwarzmalerei vorauszusagen, dass die Schweiz vom medizinischen Fortschritt abgeschnitten und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung massiv beeinträchtigt würde.
Die Initiative wurde im März 2019 eingereicht, vor dem Ausbruch der Coronapandemie. Was, wären Produktion und Einfuhr von Impfstoffen seither verboten gewesen? Man mag es sich nicht ausmalen.
Man muss nicht einmal dieses besonders eklatante Beispiel gegen die Initiative ins Feld führen. Auch neuartige Behandlungsmethoden gegen Krebs bis hin zu relativ banalen Schmerzmitteln wären mit einem Bann belegt.
Statt drastische Verbote einzuführen, tut die Schweiz gut daran, die 3R-Forschung voranzutreiben. 3R steht für Replace (Tierversuche ersetzen), Reduce (weniger Tiere verwenden) und Refine (geringere Belastung). In einem Nationalen Forschungsprogramm über fünf Jahre haben Bundesrat und Parlament für die Förderung von 3R ein Budget von 20 Mio. Fr. gesprochen.
Ein Ausstieg aus Tierversuchen ist ein hehres Ziel, doch auf absehbare Zeit illusorisch. Er sollte schrittweise, in Kooperation mit Wissenschaft und Wirtschaft, vollzogen werden, nicht mit der Brechstange, wie die Initiative es anstrebt.
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