Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Auswirkungen der britischen Parlamentswahlen auf den Brexit und die Finanzmärkte.
So hatte sich Britanniens Premierministerin Theresa May den Ausgang der Neuwahlen des Parlaments nicht vorgestellt. Statt die Stimmenmehrheit im britischen Unterhaus auszuweiten, büsste ihre konservative Tory-Partei Sitze und damit auch die absolute Mehrheit ein.
Trotz der Wahlschlappe will May die politische Führerin bleiben und sucht dafür Unterstützung in Nordirland bei der protestantischen Unionisten-Partei (DUP). Deren zehn Sitze genügen, um im Parlament die Stimmenmehrheit zu haben.
Doch welche Konsequenzen haben der Ausgang der Wahlen und die neue Konstellation für Politik, Wirtschaft und Finanzmärkte? «Finanz und Wirtschaft» hat die wichtigen Fragen und Antworten zusammengestellt.
Wer gehört zu den Gewinnern der Wahlen? Und gibt es neben Theresa May noch weitere Verlierer?
Moralischer Sieger ist Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei. Er hat bei den Wahlen viel besser abgeschnitten als erwartet. Damit hat er Premierministerin May empfindlich geschwächt, auch wenn es ihm nicht gelungen ist, sie aus dem Amt zu verdrängen. Neben May gehören die schottischen Nationalisten (SNP) und Ukip zu den grossen Verlierern. Die SNP hat ein Drittel ihrer Sitze und damit gewaltig an Schlagkraft eingebüsst. Eine neuerliche Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands dürfte vorerst kein Thema mehr sein. Bei der europakritischen Ukip, die vergangenes Jahr entscheidend zum Brexit-Votum beigetragen hatte, ist der Stimmenanteil von 12 auf 2% gefallen.
Wieso tritt May nicht zurück?
Sie sieht dazu keine Veranlassung, da die Tories weiterhin die grösste Partei im Parlament sind. Sie sieht sich weiterhin als die richtige Person an, um mit der Europäischen Union den Austritt Grossbritanniens zu verhandeln.
Wie geht es politisch nun weiter?
Theresa May bleibt Premierministerin, muss sich aber auf ein sogenanntes Hung Parliament – ein Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse – stützen. Das schwächt einerseits die Position Mays, andererseits könnten dem Land politisch instabilere Verhältnisse drohen.
Was heisst das für den Brexit?
Die Europäische Union hat klargemacht, dass ihre Positionen und der Zeitplan fix sind. Die Verhandlungen würden dann starten, wenn Grossbritannien bereit sei, liess Chefunterhändler Michel Barnier am Freitag im Anschluss an den Wahlausgang über Twitter (TWTR 17.1252 -2.64%) verlauten. Theresa May dürfte allerdings am 19. Juni als Starttermin für die Gespräche festhalten.
Hat der Wahlausgang Auswirkungen auf die Brexit-Verhandlungen?
Die Chance steigt, dass Theresa May an ihrer Vorstellung eines «Hard Brexit» Abstriche machen muss. Der Koalitionspartner DUP setzt sich für eine weichere Variante ein. Zudem dürfte die nordirische Partei ihre regionalen Interessen einbringen. Die Befürchtungen auf der irischen Insel, der EU-Austritt könnte zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen führen, sind noch nicht ausgeräumt.
Was sind die wirtschaftlichen Konsequenzen für Grossbritannien?
Es besteht die Gefahr, dass sich die zunehmende Unsicherheit negativ auf die Konsumentenstimmung auswirkt. Diese sorgte zuletzt dafür, dass sich das britische Wirtschaftswachstum erstaunlich stabil zeigte. Bröckelt dieser Pfeiler, dürfte sich die Konjunktur deutlicher als befürchtet abschwächen.
Was bedeutet das Wahlergebnis für das britische Pfund?
Unsicherheit mögen die Devisenmärkte nicht, zumal sie derzeit in Grossbritannien jeweils den positivsten Ausgang vorwegnehmen. Das erklärt, weshalb das Pfund sich bei der Ankündigung der Neuwahlen aufwertete. In den letzten Tagen, als der Wahlausgang unsicherer wurde, gab es die Gewinne ab. Am Freitag hielten sich die Verluste in Grenzen. Denn die derzeitige Konstellation macht es wahrscheinlicher, dass das Vereinigte Königreich nicht ohne Deal aus der EU ausscheidet. Grundsätzlich dürfte das Pfund nun aber für längere Zeit schwächeln, auch wenn die britische Valuta bezüglich Kaufkraftparität gegenüber anderen Währungen deutlich unterbewertet ist.
Was sind die Folgen für britische Aktien?
Grundsätzlich ist eine schwache Heimwährung für die Börsenentwicklung positiv. Vor allem exportorientierten Unternehmen, die im eigenen Land produzieren, verschafft diese Konstellation Kostenvorteile. Allerdings sind diese Unternehmen in Grossbritannien in der Minderheit. Mehrheitlich produzieren und verkaufen die Gesellschaften im Ausland. Hier kommt nur der Translationseffekt – die Umrechnung von Fremdwährungen in Pfund – zur Geltung. Seit dem Mini-Crash nach dem Brexit-Votum sind die britischen Indizes auf Rekordhöhen geklettert. Diese Rally könnte sich angesichts des günstig bleibenden Pfunds vorerst fortsetzen.
Welche Titel sind die Nutzniesser?
Diejenigen der grossen multinationalen Unternehmen, die zumeist im Leitindex FTSE 100 gelistet sind. Dazu gehören beispielsweise der Pharmawert AstraZeneca oder der Konsumgüterhersteller Reckitt Benckiser (RB. 7936 1.28%). Indexseitig sollten Anleger den FTSE 100 gegenüber dem Mid-Cap-Index FTSE 250 bevorzugen. Dessen Unternehmen erzielen einen höheren Umsatzanteil im Inland.
Welche Aktien sollten Anleger meiden?
Unternehmen, die im Ausland produzieren und in Grossbritannien einen hohen Umatzanteil haben, leiden unter einem schwachen Pfund. Zudem würde eine schlechtere Konsumentenstimmung Sektoren wie Transport und Retail treffen.
Welche Massnahmen sind von der Bank of England zu erwarten?
Die Notenbank wird die Zinsen unverändert lassen. Sie sind seit vergangenem August auf dem Rekordtief von 0,25%. Analysten schliessen eine Erhöhung für mindestens die nächsten zwei bis drei Jahre aus. Solange die Inflation hauptsächlich währungsgetrieben ist, wird die Bank of England an einer ultraexpansiven Geldpolitik festhalten. Einzig ein plötzlicher Abfall der Konsumentenstimmung könnte zu einer Politikänderung führen.
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