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12:20 Uhr - 06.02.2018

Was Marktexperten zum Börsengewitter sagen

Weltweit brechen die Aktienkurse ein. Wie die Geschehnisse einzuordnen sind und was Strategen jetzt empfehlen.

Lange ignorierten die Börsianer den steten Zinsanstieg am Markt für Staatsanleihen. Doch seit Freitag ist es vorbei mit der Sorglosigkeit.

Der Dow Jones (Dow Jones 24345.75 -4.6%) Industrial verlor am Montag über 1000 Zähler und rutschte wieder unter die Marke von 25’000. Der S&P 500 (SP500 2648.94 -4.1%) erlitt den grössten Tagesverlust in Prozent seit August 2011.

Der Ausverkauf hat sich schnell zu einem globalen Börsenbeben ausgeweitet: Der japanische Nikkei hat seit Wochenanfang über 7% nachgegeben. Der Swiss Market Index hat in vier Tagen 5% verloren und liegt jetzt 4,6% unter dem Niveau von Anfang Jahr.

Volatilitätsmass explodiert

Der Volatilitätsindex Vix, oft als Angstbarometer der Börse bezeichnet, ist auf über 40% geschossen. Solch einen hohen Schwankungswert gab es erst drei Mal seit der Finanzkrise. Die hohe Volatilität lässt Anleger wieder langfristige Staatsanleihen suchen.

Doch von Panik wollen die Strategen nichts wissen.

«Erstes Gebot ist jetzt, Ruhe zu bewahren», findet Thomas Härter, CIO vom Schweizer Vermögensverwalter Aquila. Denn technisch seien die US-Märkte jetzt bereits deutlich überverkauft. «Man sollte die Korrektur nutzen, um sich etwas defensiver zu positionieren», empfiehlt er.

Computer verstärken den Trend

Schuld an der Heftigkeit des Bebens sind die Computer, heisst es von den Strategen.

«Bis jetzt ist der Einbruch zwar beängstigend, aber relativ begrenzt», kommentiert John J. Hardy, Leiter der Währungsstrategie bei Saxo Bank. «Die wichtigsten Bewegungen wurden von schnellem Geld, automatisiertem Handel und Margin Calls getrieben.» Jetzt sei die Frage, wie das langsame Geld reagieren werde.

Ein Margin Call ist bei kreditfinanzierten Börsengeschäften die Aufforderung des Brokers, mehr Kapital als Sicherheit zu hinterlegen. Diese Nachschusspflicht entsteht, wenn der Kurs stark gefallen ist.

Auch Hedge Funds und Fonds, die die Anlageklassen nach dem Risikobeitrag gewichten (Risk Parity), könnten die Abwärtsspirale beschleunigt haben.

«Die Geschwindigkeit der Kursstürze wurde wahrscheinlich durch programmierte Verkaufsaufträge von Investmentfonds befeuert, darunter auch Fonds mit ausgeglichener Risikoparität. Automatisierte Handelssysteme trugen zum Crash bei», kommentiert etwa Hiroki Tsujimura, CIO des japanischen Vermögensverwalters Nikko Asset Management.

Soll man jetzt an der Börse zugreifen? Nein, findet Hilmar Langensand, CEO und Leiter Portfoliomanagement des Fondsanbieters zCapital: «Bis jetzt ist das, was da geschieht, eine blosse Konsolidierung. Wir wissen noch nicht, was die Auswirkungen der massiv gestiegenen Volatilitäten sind.»

«Normal im Spätstadium des Konjunkturzyklus»

Viele Beobachter sehen im aktuellen Börsengewitter das Ende einer Phase, in der es kaum mehr Kursschwankungen gab. Dafür ziehen sie ökonomische Argumente heran.

So erklärt etwa Torsten Slok, Chefökonom der Deutschen Bank in New York, in einem Kommentar: «Das ist kein Taper Tantrum, sondern The Real Thing.» Damit meint er, dass die US-Wirtschaft am Rande einer Überhitzung steht und das Inflationsrisiko stark zugenommen hat. Das würde die Renditen weiter steigen lassen.

Das war bei den Verwerfungen vom Sommer 2013 noch ganz anders. Damals sorgte die Ankündigung der US-Notenbank, die Anleihenkäufe zu reduzieren (Tapering), an den Finanzmärkten für Nervosität. Doch der Anstieg der Marktzinsen war damals nur vorübergehend.

Wegen der hohen Bewertungen reagieren die Finanzmärkte gemäss Slok nun empfindlich auf höhere Zinsen: «Deshalb wird es immer wieder schütteln, auch wenn die Erholung der Weltwirtschaft weitergeht.»

Ähnlich klingen die Strategen der Bank UniCredit (UCG 17.2 -2.11%): «Das ist nicht der Anfang einer Aktienbaisse, aber wir müssen uns im Spätstadium des Konjunkturzyklus an mehr Schwankungen gewöhnen.»

«Die Phase der tiefen Volatilität ist wahrscheinlich vorbei – 2017 und Anfang 2018 waren eine verrückte Anomalie», sagt Peter Garnry, Aktienstratege der Saxo Bank.

Ende der Rekordjagd 

Das Researchinstitut Capital Economics sieht ebenfalls die höheren Inflations- und Zinserwartungen hinter dem aktuellen Ausverkauf. «Da die Weltkonjunktur deswegen nicht aus dem Tritt fällt, ist es gut möglich, dass sich die Kurse rasch erholen. Nichtsdestotrotz liegt der grösste Teil der langjährigen Hausse hinter uns.»

Capital Economics erwartet, dass die Aktienbörsen weltweit Ende Jahr unter dem aktuellen Niveau schliessen werden.

Mit neuen Höchstständen im S&P 500 rechnet auch Thomas Härter von Aquila dieses Jahr nicht mehr. «Die Aktienmärkte werden weltweit durch steigende Zinsen und eine restriktivere Zentralbankpolitik belastet werden», kommentiert er.

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